FAHRTENSCHREIBER

FAHRTENSCHREIBER ...Es gibt viele Möglichkeiten, die Eindrücke, die minütlich herniederprasseln, zu verarbeiten. Man kann sie fotografieren, malen oder einen Song drumherum komponieren. Oder man macht kleine Geschichten draus. Dann wird der Eindruck zum Ausdruck und man kann wieder an etwas anderes denken. Und warum Fahrtenschreiber? Weil mir die meisten Texte beim Fahren einfallen!

Alle Fotos von Arnold Illhardt

 

1/8/23 … REISEPLANUNG … Damals, als es den Begriff „oldschool“ noch nicht gab und es sich stattdessen um normale Abläufe handelte, kaufte man sich vor dem Urlaub einen Reiseführer. Am besten den vom Müller-Verlag, um dann später festzustellen, dass die Geheimtipps des Autors oder der Autorin offenbar auch von anderen gelesen worden waren. Meistens hielt sich das aber in Grenzen und die einsame Bucht auf Korsika blieb trotz Lektüre durch Viele einsam, da der überwiegende Teil der Arbeitsversehrten Urlaub mit Extremtoasten in der Sonne bei maximal wenig Bewegung am Pool in Vollendung zelebrierte. Und dafür benötigt man vor allem gute Schutzmechanismen gegen Wundliegen, aber keinen Reiseführer. Doch die Zeiten ändern sich und wir uns in ihnen und so ändern sich auch die Urlaubsvorbereitungsrecherchen. Man klickt Google oder YouTube an und gibt das Reiseziel ein. Nachdem man sich durch unzählige Angler-, Kanuten- oder Wanderspezialvideos gequält hat, findet man endlich ein mehrminütiges Filmchen, das beschauliche Einsichten in das sommerliche Ziel seiner Träume verspricht. So landet man - bevor man sich versieht - auf der Seite von Heinz und Erika, die als professionelle Wohnmobilisten die Welt unsicher machen und dies zu allem Übel auch noch publizieren. Heinz und Erika, geschätzt Mittel- bis Endfünfziger stehen im unvermeidlichen atmungsaktiven Allwetterdress vor ihrem weißen Mobil und wirken dabei wie Teletubbies auf Koksentzug. Heinz bedient dabei einen Lachen-ist-gesund-Humor auf Fünf-Sterne-Kühlschrank-Niveau, während Erika entweder ins Bild nickt oder ihrem Gatten enthusiastisch zulächelt. Dabei entwickelt sich zum Beispiel folgender Gesprächsablauf: Hallo ihr Lieben, hier ist wieder euer Heinz … und dann zeigt er zu seiner Ehefrau, die den Faden aufnimmt und mit „uuuund eure Erika“ die Moderation fortführt. Dann macht Heinz einen auf Wetterberichtansager, etwa in der Form „Tja, das Wetter lässt uns leider etwas im Stich, aber das kann so richtige Camper nicht erschüttern! Und Erika ergänzt: Hauptsache wir sind gut drauf und wir hoffen, dass seid ihr auch. Beide Daumen schnellen nach oben! Und dann winken sie als hätten sie eine Art Schüttelleiden im Handgelenk und laden den nichtsahnenden Zuschauer ein, mit auf die Reise nach Soundso zu kommen. Wer bis hierhin durchgehalten hat - manchmal ist es aber auch purer Voyeurismus -, der wird nun vollends auf eine Härteprobe gestellt, denn die Filmkünste von Heinz (oder doch Erika?) lassen zu wünschen übrig. Es ruckelt und wackelt, Zoomeinstellungen werden im Hau-Ruck-Verfahren vorgenommen, so dass einem plötzlich die Kirchturmspitze um die Ohren fliegt und zudem besitzt der Videospezialist die Kunst, die wirklich langweiligsten Häuserzeilen und Straßenverläufe auf die digitale Speicherkarte zu bannen. All das wäre eventuell noch zu verzeihen, hätte das selbsternannte Urlaubsfilmteam nicht auch noch einen erbärmlichen Musikgeschmack. Ich frage mich immer, 1. woher nehmen diese Hobbyfilmer eigentlich die unterlegte Musik und 2. ab wann ist Musik Geräusch? Ein fürchterliches Franz-Lambert-Gedächtnis-Orgelgeleiere in Dauerschleife lässt jede noch so schöne Landschaft zur depressionsmodulierenden Ödnis werden. Und zwischendurch gibt Heinz Sätze zum Besten, die klingen, als würde er die Beerdigung der Queen kommentieren. Schon nach fünf Minuten entsteht das Gefühl, das man sein Urlaubsziel vielleicht doch noch überdenken sollte, da so viele unspektakuläre und gähnend langweilige Stadt- und Landschaftsszenen jegliche Lust auf die Reise im Sud des Trivialen ersticken lassen. Ganz schlimm wird’s, wenn Heinz oder Uwe Filmdrohnen besitzen und diese bis zum optischen Overkill über Gebäude und Strände kurven lassen. Bin ich ein Vogel oder wozu benötigt man Ansichten von oben nach unten? Und sollte man das Ende des Videos tatsächlich erreicht haben, rufen die beiden Profis für Ermüdungskommunikation noch ein Tschüüüüüss in die laufende Kamera und empfehlen abschließend, die Homepage zu liken. Ich like hier gar nichts, sondern schicke meinem örtlichen Buchladen eine E-Mail, mir bitte, bitte baldmöglichst den Müller-Reiseführer zu besorgen.

 

20/7/23 … DAS STRASSENEXPERIMENT VON TELGTE … In den nächsten Tagen läuft in der westfälischen Emsmetropole Telgte ein besonderes verkehrspsychologisches Experiment aus, das deutschlandweite Aufmerksamkeit erregte. In der historischen Herrenstraße, die als Sackgasse in der Altstadt ihr Dasein fristet, entstand eine Doppelbaustelle. Damit Kran, Baubude und Material ihren Platz finden konnten, wurde die Straße gesperrt und lediglich ein knapp zwei Meter breiter Gang, der entlang zweier Hauseingänge führte, blieb für den unmotorisierten Verkehr übrig. Da die Telgter Bürger und Bürgerinnen als entspanntes und rücksichtsvolles Völkchen gelten, gedachte man anfangs, ohne irgendwelche Regelungen auskommen zu können. Aber schon bald zeichnete sich ab, dass der Mensch, auch wenn er in Telgte wohnt, mit so viel Selbstverantwortung aber sowas von komplett überfordert ist. Und so knatterten und bretterten Mopeds, E-Roller, Fahrradfahrer und E-Biker ohne Rücksicht auf Verluste durch die enge Gasse, was so manchen Kollateralschaden, durch versehentlich aus dem Haus tretende Bewohner verursachte. Man hatte nicht bedacht, dass der Durchschnittsdeutsche ohne Schilder moralisch und verhaltenstechnisch schwer auf dem Schlauch steht. Ohne Schilder würden vermutlich so manche Dullis mit 120Km/h durch den Ort ballern oder auf den Marktplatz urinieren. Also stellte die Stadt Telgte zunächst – ich sag mal - niederschwellige Schilder mit dem Verweis auf, dass die Gasse von Fahrradfahrern “bitte“ nicht durchfahren werden sollte. Das Ergebnis: Es interessierte keine Sau, was vermutlich daran liegt, dass sich Motorrollerfahrer, E-Rollermenschen und E-Biker nicht als Fahrradfahrer sehen. Und vor allem letztere, und ich spreche hier als beobachtender Bewohner der Straße, scheinen insbesondere mit einer Sache Probleme zu haben: Mit dem Bremsen und Absteigen. Ein Mieter, der in der Gasse seinen Hauseingang hat, erzählte mir, dass ein vorbeirasender Radler seine Wasserkiste umgenietet habe. Eine andere Familie berichtete, dass sie Angst um ihre Kinder hätten, die bereits das ein oder andere Mal auf hektisch bremsende Wildradler gestoßen waren. Man hatte nicht bedacht, dass viele Menschen das Wörtchen „bitte“ für eine nette, aber zu vernachlässigende Schmonzette betrachteten. Es wurde also aufgerüstet und es erschienen immer mehr Schilder. Jetzt hieß es nicht mehr „Radfahrer bitte absteigen“, sondern „Radfahrer absteigen“. Erste Motzkowskis sprachen von Reglementierung und Eingriff in die Freiheit der Mobilität. Und auf Facebook, wo natürlich der Vorgang breit gefächert diskutiert wurde, las man: „Deutschland, dein Schilderwald. Großes Kino liebe Stadtverwaltung, ihr habt den Schuss nicht gehört.“ Entsprechend unbedeutend war der Erfolg der städtischen Aktion. Meine Beobachtung: Vor allem E-Roller-Fahrer, die neue Pest des 21. Jahrhunderts, sowie ältere Mitbürger mit E am Rad bretterten weiter durch die Passage, als seien sie allesamt von einer grassierenden Leseschwäche befallen. Sogar eine Teilabordnung der Grünen, vermutlich als letztes Aufbegehren gegen Was-auch-immer und im Gedenken an längst vergangene Sponti-Tage, fuhr scherzend durch die Gasse, wobei die Wortführerin ihren Followern zurief, dass man hier ruhig fahren dürfte. Als Krönung zwängte sich ein ausgewachsenes Motorrad durch die Enge, worauf der Fahrer wilde Flüche aus der Wohnung über ihm erntete. Kurzzeitig dachte ich über mit Emswasser gefüllte Pumpguns oder einer Festklebeaktion einer mit Mist gefüllten Schubkarre nach, doch dann kamen mir die Schwarzen Sheriffs zuvor, die von den Bewohnern aus der örtlichen Muckibude angeheuert worden waren. Es kam zu tumultartigen Szenen, wildem Gerangel und Massenkarambolagen, doch schlussendlich ergaben sich die aufmüpfigen Zweiradfahrer und schoben knurrend und fluchend ihre jeweiligen Mobilitätsuntersätze durch die hohle Gasse. Ich schloss seufzend das Küchenfenster und beendete meine Forschungsbeobachtungen. Paragraph 1 der StVo lautet: Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. Verdammt, dachte ich, wenn die Leute nicht mal das auf die Reihe kriegen…?!

 

10/6/23 … HOSENKAUF … Meine gute weiße Sommerhose hatte das Zeitige gesegnet und sich mit einem irreparablen Riss über der Hinterntasche und im Schritt von ihrer Tragbarkeit verabschiedet. Schade drum, aber Löcher in der Hose trägt man ja bekanntlich eher überm Knie! Und da auch die rote Jeans in die Jahre gekommen war, kam ich wohl nicht drum herum, mich auf Hosenkauf in die Münsteraner Kommerztempelzone zu begeben. Dazu muss man wissen: ich gehe gerne shoppen, hasse aber Fußgängerzonen und das Gedrängel in den Kaufhäusern wie die Pest; zu viele Menschen außerhalb von Rockfestivals und Anti-AfD-Demos sind für mich das reinste Gräuel. Es war ein heißer Sommervorabend und ich dem blöden Denkfehler aufgesessen, dass es in der Sommerhitze leerer in der Stadt sei. Das war zwar grundsätzlich auch richtig, aber hatte natürlich seinen Grund: Es macht nämlich noch weniger Spaß, sich durch den schwül-heißen Mief der Ludgeristraße zu quälen. Ich begab mich ohne Umwege in die Männerabteilung des Klamottenladens, um erst einmal festzustellen, dass aktuell vor allem kurze Hosen in den Auslagen liegen und mit kurzen Hosen habe ich nun mal keinerlei Vertrag. Männer, lasst euch gesagt sein, nicht jeder hat die geeigneten Beine dafür und manche Buxen sehen aus wie ausrangierte, aus der Form geratene Unterhosen. Damit würde ich nicht mal mit dem Hund rausgehen! Meine nächste Feststellung: Die langen Hosen sind heute alle unten zugenäht, um ihnen diesen sportlich-lässigen Jogginghosencharakter zu verleihen. Ich würde bei lebendigem Leibe keine Jogginghose tragen - nicht mal auf dem Sofa - und bei manchen in der Öffentlichkeit getragenen Jogginghosen denke ich zuweilen, wie viele Wochen wohl der letzte Vollwaschgang zurückliegt. Was die Dinger für schmutzige Geschichten erzählen können! Trotzdem werde ich in der Hosenabteilung bei Peek & Cloppenburg fündig. Die gute Nachricht: die Länge der Beinkleider hat sich bei mir über die Jahre nicht verändert, was wohl gegen einen einsetzenden Schrumpfungsprozess spricht. Die hinzugekommenen Breitengrade tuen jetzt nix zur Sache. Ich verschwinde mit drei Exemplaren in einer der freien Umziehkabinen, die für mich so etwas wie Vorhöllenstatus besitzen: Sie sind zu eng, zu miefig und zu hell. Ich ziehe meine Hose aus, die mir aufgrund der Hitze in diesem Schuppen fast am Leibe klebt und kriege Hitzewallungen. Wer die Beleuchtung in den Kabinen erfunden hat, sollte geteert und gefedert werden, denn in dem grellen Licht kommen Hautveränderungen zutage, die mir bislang gar nicht bewusst waren. Der große Spiegel wiederum sorgt dafür, dass mir mein Realkörperkonzept ungeschönt vor Augen geführt wird. Und kann es sein, dass in diesen unsäglichen Ausziehzellen auch Fußgerüche verstärkt werden? Zum Glück wird mir alsbald deutlich, dass dieser Mischgestank aus Fäulnis und Reifungsphase einer Käserei von der Nachbarkabine zu mir rüber wabert, wo sich ein kapitaler Junghirsch unter übelsten Verrenkungen und Stöhnen abmüht, sich die Klamotten vom Körper zu krempeln. In die erste Hose komme ich schon mal gar nicht erst rein, weil ja aktuell die Herrenhosen wadeneng getragen werden. Haben die Kerle heute keine Fußballwaden mehr oder warum sind die Dinger so prall am Bein, dass sie an Kompressionsstrümpfe oder Überzieher für Storchenbeine erinnern? Die nächste Hose ist hinten dermaßen ausgesackt, dass mir der alte Ausdruck „Küttelfänger“ wieder einfällt, Und beim dritten Exemplar assoziiere ich mich als Geldanlagenberater bei der örtlichen Spasskasse, wo die männlichen Angestellten ja auch immer in kommunionhosenähnlichen Fummeln nebst brauner Lederschuhe rumstolzieren. Eigentlich sollte es ja eine Sommerhose werden, ich habe mich aber schlussendlich für einen robusteren Stoff entschieden. Der hält ne Weile, denn so schnell kriegen mich keine zehn Pferde mehr in eine Umziehkabine.

 

13/6/23 … CALVINISMUS … Ich dachte, ich bräuchte mal wieder ein gutes T-Shirt. Nicht so einen Schlabberlappen, der nach 2x Waschen aussieht wie die Breitfock bei einem Dreimaster nach einem Sturmschaden. Einfach sollte es sein, denn Männer haben´s ja gerne schlicht, was man gerne auch im verallgemeinerten Sinne sehen darf. Also ging ich guter Dinge in den Klamottenladen meines Vertrauens (wer bei Amazon kauft, kann auch gleich die Scheiben seines Einzelhandels einwerfen), um ein solches Stückchen Stoff zu erwerben. Naja, vielleicht auch gleich zwei – besser isses. Es dauerte auch nicht lange, da bot mir eine nette Verkäuferin mit ihrem feinsten Verkäuferinnenlächeln ihre Dienste an. Ich hätte gerne ein T-Shirt, äußerte ich mein Begehren. Lieber was Buntes oder soll es eher schlicht sein, fragte sie fachfräulich nach. Bloß nix Buntes, antwortete ich, vielleicht blau oder grün. Typisch Mann, dachte sie vermutlich, einfallsreich wie der Hosenlatz von Berlusconi. Also der Hosenlatz vom ehemals lebendigen Berlusconi! Seitdem unsere Praktikantin mir eingebläut hat, dass man nicht mehr als drei Farben tragen sollte, vielleicht sogar eher nur zwei und diese gut abgestimmt, kriegte ich diese Botschaft nicht mehr aus dem Kopf. Die Verkäuferin zog ein blaues T-Shirt aus dem Regal, auf dem in großen Lettern CALVIN stand. Ich schaute abwechselnd entsetzt auf das Shirt und auf die Dame vor mir und sagte: Arnold heiße ich. Sie zog ein Gesicht als hätte ich soeben nach frottierten Hodenwärmern gefragt. CALVIN habe nichts mit Vornamen zu tun, sondern sei eine auch bei Männern sehr beliebte Modemarke. Mag sein, erwiderte ich, doch warum soll ich mir CALVIN auf die Brust kleben, wenn ich doch Arnold heiße. Ich sei ja kein Werbeträger, außerdem müsste ja dann das T-Shirt umsonst sein. Ich versuchte meine Replik vorsichtig und diplomatisch zu dosieren, vermutete aber, dass sich meine Sympathiewerte soeben im Untergeschoss bei den Sonderangeboten befanden. In diesem Moment kam eine Frau um die Ecke, die auf ihrem T-Shirt gleich dreimal CALVIN stehen hatte, jeweils in unterschiedlichen Farben. Mein Gott, brummte ich, das ist ja der reinste Calvinismus hier. In der Zwischenzeit war die Verkäuferin mit einem neuen Exemplar in Schwarz zurückgekehrt. Sie breitete es gekonnt vor meinen kritischen Blicken aus. Es trug lediglich einen weißen Haken auf Brustwarzenhöhe. Hinter ihr hing eine kleiderschrankgroße Werbung von NIKE mit dem Slogan: Just do it. Jesses, dachte ich, was für ein hohles Getue. Ich dachte es, sagte es aber nicht, um die Interaktion nicht zu sehr auf die Zerreißprobe zu stellen. Stattdessen strich ich sanft über das Emblem, umkreiste es dann und sagte: ich glaube, ich nehme das. Meine Schwiegermutter ist Schneiderin und hat sicherlich eine gute Idee. Vielleicht kann sie es auch rausschneiden oder einen Aufnäher drüberbügeln. Bei REWE gibt es putzige Aufnäher mit Piraten oder Luftballons. Die Verkäuferin seufzte leise, vielleicht riss sie sich auch zusammen und stopfte das Shirt in eine Papiertüte, die ich eigentlich nicht wollte. Aber ich dachte für mich, halte jetzt einfach mal zur Abwechslung die Klappe … relax ... don´t do it!

 

17/5/23 … ANTIKLIMAKLEBER … Ich kann ja gar nicht sagen, wie sehr ich von all den Idioten die Schnauze voll habe, die tagtäglich an Straßen, Autobahnen, Kreuzungen und sonstigen Verkehrswegen festkleben. Da will man als hart arbeitender Mensch Feierabend machen oder möchte in den wohl verdienten Urlaub reisen und was ist: Wieder kleben da irgendwelche Antiklimaaktivisten fest und sorgen für Stau. Meinen die etwa, so könnten sie mich von ihrem Denken, auf den Straßen herrsche das Gesetz der Rücksichtlosigkeit und Klima sei Geschwätz, überzeugen? Da kriege ich sooo`n Puls! Neulich noch, so eine Arschgeige auf der A3: Bretterte mit ich weiß nicht wieviel Stundenkilometern mit seinem 500PS-Boliden an mir vorbei, obschon nur 100km/h vorgegeben waren und man konnte die Uhr danach stellen: BAMM, Unfall, Stau und beim späteren Vorbeifahren klebte das Sackgesicht in seinem eigenen Blut am Lenkrad, weil er in eine Baustelle geheizt war! Und das nur, weil es all diesen Schwachmaten scheißegal ist, wie sie mit ihrem Gebretter, Geheize, Gebolze und Gerase die Umwelt verbratzen. Wahrscheinlich sind das auch die mental tiefergelegten Hornochsen, die später auf facebook posten: Wer meint, Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen haben Auswirkungen aufs Klima, hat die Sache nicht verstanden. Und dann liegen sie später auf dem Dach, hängen vor Brückenpfeilern oder knoten sich um Bäume, die mir dabei am meisten leidtun. Herrje! Irgendwann, wenn mal wieder jemand dahinsiechend auf der Straße festklebt, weil er oder sie Heizen sexy findet, dann gehe ich nach vorne, vorbei an dem ganzen Stau, und reiße diesen Antiklimakleber von der Straße. Und dann, Freundchen, werden wir mal ein paar Takte über Klimaschutz reden. Und wetten, dass dieses Mal niemand dafür Verständnis hat?

 

11.5.23 … IN DER HÖHLE DES DATENSCHUTZES … 7:30 Uhr … ich betrete zu dieser unmenschlichen Zeit die Arztpraxis und werde am Empfang eingecheckt. Ich sage wahrheitsgetreu meinen Namen, nenne mein Geburtsdatum und füge an, dass ich schon mal da war. Die junge Frau kommuniziert mit ihrem Computer (weniger mit mir) und fragt dann: Sie kommen wegen der Hüfte? Ich verneine und nenne meinen Ellenbogen als Ursache meines Arztbesuches. Sie bittet mich noch eine Weile im Wartezimmer Platz zu nehmen. Eine Weile ist in einem Wartezimmer meistens recht lang. Der Raum hat den Charme eines 5-Sterne-Kühlschranks, aber immerhin hängen hier statt der üblich Mark-Rothko-Praxis-Bilder extravagante Kunstwerke; also solche, die aussehen, als hätte der Künstler endlich mal seine Pinsel auf einem Blatt Papier gesäubert. Bestimmt heißen die Schinken „Metamorphose“ oder „Ohne Titel“. Dann betritt Jochen Müller (Name natürlich!!! verändert) die Bühne. Ich kenne ihn von früher, aber mir war sein Name entfallen. Jochen´s Geburtsdatum ist der 12.4.60. Guck an, denke ich, ich wusste gar nicht, dass er so viel jünger ist. Jochen wirkt sportlich, geradezu durchtrainiert, was mich etwas neidisch macht. Doch dann erfahre ich aufgrund des Nachfragens der Arzthelferin, dass er arge Rückenprobleme hat (die MRT-CD hat er dabei), jetzt aber vor allem der Hände wegen da ist. Siehste, denke ich, Sport nützt nicht immer was, was mein anfängliches Neidischsein leicht zerbröselt. Kurz darauf erscheint Gerda Schmidt, geboren am 23.8.61. Sie hat Hüftprobleme und wurde deswegen auch schon beidseits operiert. Mit dem Krankenhaus, in dem ich zufällig arbeite, war sie sehr zufrieden. Gerda kennt Jochen und beide starten eine interessante Unterhaltung über Gartenarbeit, wobei ich erfahre, dass Jochen kaum mehr in der Lage ist, die Gartenschere zu halten und Gerda bereits im Ruhestand ist. Als nächstes kommt Jelisaweta Zwetkov keuchend aus dem Aufzug. Eine Karte hat sie nicht dabei, das Geburtssdatum erfahre ich leider auch nicht. Sie habe Beine, sagt sie im gebrochenen Deutsch auf die Frage nach dem Behandlungsgrund. Also auch Beine, denn offensichtlich – sie zeigt mit beiden Händen auf den ganzen Körper – tut eigentlich alles weh. Viel weh, aber Beine, Beine, stöhnt sie. Trotz fehlender Karte darf sie sich setzen. Ausgerechnet neben mir. Sie bringt mich völlig aus dem Konzept: entweder zischelt sie irgendeine Melodie, gähnt, was sie jedes Mal mit einem wou, wou, wou beendet oder streicht sich stöhnend über die Oberschenkel und klagt: Beine, Beine. Dabei schaut sie mich intensiv von der Seite an, um meine Aufmerksamkeit zu erhaschen. Ich lasse mich auf das Spiel nicht ein. Ich habe keinen Bock, mir ihre Krankheitsgeschichte anzuhören. Nein, Jeslisaweta, auch nicht wenn du lauter stöhnst! Außerdem bekomme ich so die Unterhaltung von Jochen und Gerda nicht mit. Herbert Krause ist bei der Feuerwehr, verbeamtet und privatversichert. Er ist fünf Jahre jünger als ich, sieht aber älter aus. Bestimmt von der Sauferei; er hat ne Schnapsnase. Er ist mit dem Fahrrad gestürzt und hat den Finger verstaucht! Gerne hätte ich noch mitbekommen, was die junge Frau – Nina Wagner, geboren am 30.1.82 - für Wehwehchen hat, aber da werde ich reingerufen. Schade, das hätte mich noch interessiert, denn sie wohnt ein paar Häuser weiter.

 

28/4/23 ... PSYCHO IN DER BÄCKEREI ... Neulich in der Bäckerei. Die freundliche Verkäuferin wendet sich mir zu: "Was kann ich für sie tun?" Ich tue für einen Moment so, als befände ich mich noch im Entscheidungsprozess und sage dann: "Ich nehme die Elsässer Goldkruste." "Gerne", freut sie sich über meine Wahl. "So oder geschnitten?", hakt sie nach. Eigentlich lasse ich Brot nie schneiden, aber da es ja heißt „Es geht weg wie geschnitten Brot“ antworte ich "Geschnitten, bitte." Ich achte auf ihren Blick: Die Zusatzaufgabe scheint ihr nichts auszumachen. "Eher dünn geschnitten?" "Ne, so mittel", sag ich. Mittel ist immer gut, außer in der Politik. Dann legt sie das Brot auf die Monsterschneidemaschine, stellt mittel ein und drückt auf Start. Das Geräusch kommt mir verdammt bekannt vor: Dscht, dscht, dscht… usw. Ich frage sie in den Lärm hinein, ob sie Hitchcock kennt. "Ist das ein Getränk?" ruft sie durch das Dscht zurück. "Ne", sag ich, "das ist ein Regisseur." "Aha", ist ihr Kommentar. "Der hat u.a. den Film die Vögel gemacht", rufe ich. "Der hat einen Film über Vögel gemacht?" fragt sie nach. Nein, sage ich, der Film hieß ´die Vögel´. "Kenne ich nicht", sagt sie und tütet die Goldkruste ein. "Na jedenfalls", versuche ich meine Konversation zu einem glücklichen Ende zu bringen, "gab es einen Film von ihm, Psycho hieß der, da gab es immer ein Geräusch wie bei der Brotschneidemaschine...Dscht, dscht, dscht...." Während sie das Brot auf die Theke legt, starrt sie mich an. Ich muss sie mit dem Nachahmen des Dscht verwirrt haben. "Macht Vierzwanzig", sagt sie und ich habe das Gefühl beim Geldzurückgeben, dass sie mich merkwürdig findet. Beim Rausgehen blickt sie hinter mir her und ich denke, ich sollte künftig Alltagskonversationen etwas anders aufziehen.

 

31/3/23 … LOVEMOBIL … Unser Kastenwohnmobil ist eine Art rollende Litfaßsäule: es ist von allen Seiten mit selbstgemachten Ornamenten, Schriftzügen, politischen Aussagen, Konzertaufklebern, sowie großen Konterfeis von uns beklebt. Lovemobil steht dick auf der Fahrertür. Auf diese Weise kommt etwas Farbe in die trostlose Autowelt; zudem ärgern die Beklebungen stramme Automobilisten, die nie im Leben das geheiligte Blech verunzieren würden. Mal abgesehen von einem „Fuck You, Greta“- Aufkleber über dem Auspuff. Sei´s drum, jedenfalls hatte Lomo, wie wir unser Gefährt liebevoll nennen, eine Schramme an der Hintertür. Fremdverschulden. Also betrete ich den FIAT-Laden unseres Vertrauens und werde von dem mir bislang unbekannten Auftragsentgegennehmangestellten freundlichst begrüßt. Ich erkläre ihm … langjährige Kunden … Schramme am Wohnmobil … mögliche Überlackierung … blablabla. „Wo steht denn ihr Wagen“, fragt er. Als ich auf den anthrazitfarbenen, aber ansonsten bunten Wagen am Straßenrand zeigte, ruft er freudestrahlend aus: „Ach, das Lovemobil. Sagen sie das doch gleich. Den kennt doch jeder hier. Hach, den finde ich richtig toll. Individuell …“ Er schaut sich die Schramme an und setzt sein professionellstes Checkergesicht auf. „Also, es gibt drei Möglichkeiten“, fachsimpelt er, nachdem er zärtlich über unseren großen Wacken-Aufkleber gestrichen hat. „Möglichkeit No 1:…“ (er macht eine gekonnte Kunstpause, breitet seine Arme aus und beschreibt in der Luft einen raumfordernden Prozess) ... „die ganze Tür rauuuusssss, abschleifen und neulackieren. Radikal!“ Ich nicke, er merkt aber gleich, dass mir der Vorschlag wenig gefällt, auch wenn es ein Versicherungsfall ist. „No.2: Wir besorgen ihnen einen Lackstift und sie lackieren den Kratzer einfach über.“ „Und drittens?“ frage ich. „Drittens…“ nun beginnt er um Lomo (von Lovemobil) herumzustreifen und zeigt mir dabei all die Ornamente und Aufkleber, so als wären sie mir selbst nie vorher aufgefallen. Teilweise streichelt er liebevoll über die Spiralen, Schriftzüge und Ornamente. „Mein Gott, sie sind doch so kreativ. Kleben sie doch einfach was drüber.“ Und dann, als wäre er nicht Autoverkäufer, sondern Galerist, macht er kunstfertige, verschnörkelte Handbewegungen, um mir sein Vorschlag No.3 schmackhaft zu machen. Er scheint dabei völlig über sich hinauszuwachsen und man spürt, wie in seinem Kopf Girlanden wachsen und orientalische Fruchtbarkeitssymbole durch sein Fantasiezentrum huschen. „Sie haben ein Lovemobil und kein normales Wohnmobil“, ist sein Fazit. Ich entscheide mich für Möglichkeit 2 und 3, verlasse aber einigermaßen irritiert, aber auch inspiriert den Laden. Tse, man wundert sich doch immer wieder über die Menschen. Auch über Autoverkäufer!

 

3/3/23 … ALTES KUSCHELTIER …In dem kleinen Café wurden auch alte Bücher, CDs, Accessoires und jede Menge Plüschtiere verkauft. Für bedürftige Kinder - stand auf einem Schild. Neben uns saß ein altes Paar. Beide sicherlich über 80. "Naja", sagte sie in Gedanken verloren, "Kuscheltiere brauchen wir nicht mehr. Die Enkel sind groß und für uns ist das ja nichts." Er schaute von seinem Lumumba mit viel Sahne auf und legte seine prankige Hand in ihren Schoß: "Und außerdem sitzt dein größtes Kuscheltier neben dir." Beide lächelten sich an und man sah ihre Geschichten durch den Raum schweben.

 

15/2/23 … LOTTOGEWINN … Ich bin reich! Also so gut wie! Natürlich fühle ich mich schon seit Jahrzehnten als Millionär der Momente, aber nun schaut es gut aus, dass ich künftig mein Dasein als Millionär fristen kann. Natürlich werden die geneigten Leser*innen sofort denken, dass ich bei „Wer wird Millionär“ (gibt´s das eigentlich noch?) abgesahnt habe, endlich als Schwarm aller Schwiegermütter als Schlagersänger zu Ruhm gekommen bin oder die freie Stelle am Schlagzeug bei den Rolling Stones übernommen habe. Natürlich fühle ich mich über derartiges Ansinnen geehrt (mal abgesehen von der Sache mit der Schlagerbranche), aber die Wahrheit ist eine ganz andere. Ich bekam aktuell Post von Robert Bailey. Der gute Robert hat mich auserwählt, da er der größte Jackpot-Gewinner in der Geschichte der New York Lottery im US-Bundesstaat Amerika (seit wann ist Amerika Bundesstaat???) ist und – welch Großherzigkeit – seine 3.000.000,00 Mio. mit mir teilen möchte. Der gute Robert ist zudem ein großer Wortakrobat, denn er schreibt wörtlich: „Ich möchte Ihnen mitteilen, dass Google in Kooperation mit Microsoft Ihre E-Mail-Adresse auf meine Anfrage zur Verfügung gestellt hat, um eine Spende in Höhe von 3.000.000,00 Mio. zu tätigen. machen. tun. machen. tun. Leisten. tun. machen. Euro zu machen.“ Ich habe natürlich sofort Vertrauen gefasst, denn wer so schreibt und zudem eine interessante Emailadresse à la chinwubaeze11@gmail.com besitzt, muss schon ein vertrauenswürdiger Zeitgenosse sein. Dreimillionen Euro, mein lieber Herr Gesangsverein, das ist schon eine unwiderstehliche Ansage. Dass good old Robert dabei an mich gedacht hat, kann ich natürlich absolut nachvollziehen. Die ein oder andere Nacht habe ich wachgelegen und mir überlegt, was ich mit der ganzen Kohle mache. Natürlich würde ich noch heute in den wohlverdienten Vorruhestand gehen, mir einen Bentley Continental GT Range mit Windantrieb kaufen und unser Wohnmobil endlich mit einer Dolby-Surround-Anlage versehen, aber ansonsten bin ich ja – wie bereits erwähnt – vom Leben verwöhnt. Doch dann fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren: er hatte nämlich ganz vergessen zu erwähnen, WIEVIEL von der geteilten Summe an mich gehen würde. Ne, ne, Robert, du Lottoclown … verarschen kann ich mich auch alleine.

 

13/1/23 … AJAX … Ich war noch ein kleiner Junge, als meine Eltern das erste Schwarz-Weiß-Fernseh-Gerät in das freie Fach im Furnierwohnzimmerschrank stellten. Damals gab es zwei Programme, die auf die einfallsreichen Namen Erstes und Zweites Deutsches Fernsehen hörten. Neben Lassie, Fury, Bonanza und Daktari waren vor allem die Werbeblöcke meine Favoriten. Über die Reklamefilmchen erhielt ich einen ersten Einblick in die mysteriöse Erwachsenenwelt, wenn es zum Beispiel um Playtex-Büstenhalter und Camel-Filter-Zigaretten ging. Die coolen Camel-Cowboys waren schon eine Nummer für sich und sind vermutlich ausschlaggebend, dass aus mir so ein harter Bursche geworden ist! Doch eine Werbung hatte es mir besonders angetan und zwar die Werbung für AJAX- Badreiniger. Das Reklamefilmchen lief in etwa so ab: Die adrett gekleidete und immer frohgelaunte Hausfrau mit der weißen Trägerschürze stellt fest, dass die Kacheln im Bad verschmutzt sind. Sie holt die Flasche AJAX aus dem Schrank, öffnet die Kappe und schon saust ein weißer Wirbelwind durch das Bad oder die Küche und reinigt alles blitzeblank. Einfach so, ohne Zutun der Hausfrau. Am Ende blinken nicht nur die Kacheln, sondern auch die glückliche Frau Saubermann schaut mit einem glitzernden Ganzkörperlächeln in die Kamera. Heimlich schlich ich mich ins Badezimmer zum Schrank mit den Reinigungsmitteln und durchforstete ihn auf der Suche nach dem magischen Wirbelwindwunder. Ich entdeckte zwar „00“ fürs Klo und „Ata“-Scheuerpulver, aber kein AJAX. Mir wurde klar, dass sich meine Mutter haushaltstechnisch auf einem Oldschool-Modus befand und überzeugte sie erfolgreich beim nächsten gemeinsamen Einkauf im Supermarkt, der früher noch Einkaufsladen hieß, AJAX zu kaufen. Zuhause angekommen konnte ich es kaum abwarten, die Flasche zu öffnen. Was für eine bittere Enttäuschung: Statt eines über die Kacheln sausenden Wirbelwinds nahm ich ausschließlich einen beißenden Chemiegestank wahr. Ich sage nur: Eine Lektion fürs Leben, denn dies war die Geburtsstunde einer lebenslang anhaltenden Skepsis gegenüber hohlen Versprechungen, Verneblungen und äußerem Schein.

 

Als ich nun nach fast 60 Jahren an die Geschichte mit AJAX dachte, musste ich direkt an politischen Parteien denken: Viel Wind und viel Schein, aber am Ende des Tages keine Flasche im Schrank.

 

15/12/22 … MENSCH & HUND … Als ich vor über einem Jahr einem Bekannten erzählte, dass wir uns einen Hund zuzulegen wollten, war seine Antwort: Dann wirst du die Menschen in dieser Stadt einmal von einer ganz anderen Seite erleben. Ich dachte mir nicht viel dabei, zumal mein Kontakt zu Menschen in der Freizeit eh sehr stark begrenzt ist. Mit Grund! Nun lebt seit einem Jahr unser Hund bei uns und ich muss sagen: Der Bekannte hatte recht! Grob lassen sich die Leute, denen ich begegne, in zwei Gruppen einteilen: Menschen mit und ohne Hund. Beginnen wir mit letzteren. Bei den Menschen ohne Hund gibt es zunächst die freundlichen Zeitgenossen, die Mensch und Tier zuvorkommend gegenüberstehen, den Vierbeiner auch kraulen oder Sachen sagen wie „du bist ja ein Süßer“, für die aber aus unterschiedlichen Gründen ein Zusammenleben mit einem Tier nicht infrage kommt. Dann gibt es die Desinteressierten, die vermutlich auch nichts mitbekommen würden, wenn ein Elefant an der Leine mitlaufen würde. So weit so gut, doch nun geht’s bergab. Da wären die Genervten, die mit den Augen rollen, wenn der Vierbeiner im Weg steht oder aber die Nase - die Schuhe manchmal auch - voll haben, weil sie in einen der Hundehaufen getreten sind. By the way: Tierische Tretminen sind auch für Hundebesitzer im wahrsten Sinne des Wortes „scheiße“ und ärgerlich. Dazu später. Und schließlich gibt es noch die Hundehasser, die rumschnauzen, man solle den scheiß Köter wegtun. Vermutlich sinnieren sie auch nächtens darüber, wie sie vergiftete Köder auslegen oder Hundehalter vergrätzen können. Mein Verdacht ist allerdings, dass sie außer ihrer eigenen schlechten Laune die ganze Welt blöd finden. Jedenfalls drückt das allein ihre Physiognomie aus! Ein anonymer Kommentierer schrieb im Netz: „Ich würde private Hundehaltung ganz, vollständig und komplett verbieten. Polizisten, Wachleute, Blinde, Jäger etc. dürfen nach gründlicher Ausbildung Hunde halten, aber nicht Hinz und Kunz.“

 

Kommen wir zu den Menschen mit Hund – also Hinz und Kunz. Da erlebe ich zunächst einmal die freundlichen Hundeliebhaber: Hund und Mensch strahlen eine natürliche Unkompliziertheit aus. Zumeist sind das die Hunde, mit denen das gemeinsame Rumtollen Spaß macht, während die Menschen zu netten Gesprächen beieinander stehen. Man kennt sich und den jeweiligen Hund wie Mitglieder einer großen Familie. Aber auch in dem Genre der Hundemenschen gibt es Wahrnehmungs- und Interaktionsanalphabeten. Das sind dann die Leute, die aufs Handy glotzend oder radfahrend durch die Gegend geistern, während sich der Hund sonst wo befindet oder eben auch sonst wo entledigt. Für diese Menschen gibt es auch keine Kackbeutel, da sie vermutlich nicht mal wissen, ob und wo sich das Tier entleert hat. Gerne sind das auch die pubertierenden Sprösslinge, die sich mit entnervtem Blick auf Gassigang befinden. Und da es keine Hundeaufsichts-App für Smartphones gibt, ist der Hund sozusagen auch nur nebensächlicher Teil einer zu erledigenden Pflicht. Dann kommen die Hundelehrer! Strammen Schrittes schreiten sie durch die Landschaft, während der Hund devot an ihren Augen klebt. Es ist ihnen ein inneres Laubhüttenfest, wenn das Felltier Gehorsam zeigt oder auf Zuruf Kopfstand macht. Man darf weder Tier noch Mensch ansprechen, da sie sich selbst genügen und auf Kommunikation keinen Wert legen. Manchmal zweifle ich daran, ob es sich überhaupt um lebendige Hunde handelt oder nicht vielmehr um so eine Art computergesteuerte Roboter-Tamagotchis. Kommt man dann doch schlimmstenfalls mit Hundelehrern in Kontakt, verlässt man das Gespräch mit Minderwertigkeitskomplexen, da man zwar einen glücklichen Hund hat, aber erziehungstechnisch in ihren Augen eine absolute Graupe ist. Eine ganz besondere Gattung Hundehalter sind die Menschen mit Minihunden, die nicht selten auch Mäntelchen oder Söckchen tragen. Da die armen Lebewesen - gemeint sind die Hunde - keinerlei soziale Hundekontakte hatten, sind sie die reinsten Giftspritzen und gehen mit fürchterlichem Gekeife auf an sich harmlose Hunde egal welcher Größe los. Meist hört man dann von den hilflosen Haltern, die in der Regel noch nie was von Hundeerziehung gehört haben, Kommentare wie: „Mimi, mein Mädchen, nun sei doch nicht so schnippisch!“ Und schlussendlich - nicht zu vergessen - vor allem nicht zu unterschätzen - sind die Hundeabrichter. Der Hund muss vor allem eins: Gefährlich aussehen, wirken und handeln. Der Maulkorb zeigt unmissverständlich: Keinen Schritt näher oder Finger ab! Ein Hundeabrichterhund führt kein Leben, sondern muss ausschließlich funktionieren. Die Besitzer, die neben den Kampfhunden auch ihre tiefergelegten, in Jogginghosen drapierten Hoden spazieren führen, haben immer etwas hulkhaftes und verfügen über den bösen Blick. Und um das Klischee totzureiten: Der Hund ist häufig ihre einzige Persönlichkeitseigenschaft.

 

Ich las mal, Hunde seien die besseren Menschen. Sagen wir mal so: Seitdem ich einen Hund habe, rede ich wieder mehr mit ihnen – den Menschen. Immerhin!

 

9/12/22 … KÖNIG VON DEUTSCHLAND … Man hat ja immer mal so Ideen, die sich bei Lichte betrachtet und vor allem nach Abflauen des Alkoholeinflusses als absoluter Bullshit erweisen. Als der leider verstorbene Rio Reiser 1986 das Lied „König von Deutschland“ komponierte und sang, hatte einer dieser ideenschwangeren Momente bei mir seine Hochkonjunktur: Warum nicht König werden? Denn „…das alles und noch viel mehr … würd ich machen … wenn ich König von Deutschland wär.“ Eigentlich bin ich ja strikter Antimonarchist und habe bis heute nicht verstanden, welchen Sinn und Zweck der Adel hat. Die ganzen Blaublütler haben ja richtig genommen keine wirkliche Funktion, außer für Aufsehen zu sorgen, das dann in der Regenbogenpresse für ein erstaunlich skandalbegieriges Publikum ausgeschlachtet wird. Aber wenn man das mal ausschaltet, so bleiben doch attraktive Beschäftigungen übrig, die man als König so betreiben könnte: Luxuriös essen gehen, die hübschesten Frauen angraben, in fetten Palästen leben, den ganzen Tag auf´m Thron sitzen und sich abends die teuersten Weine reinpfeifen. Das wäre ein Leben. Natürlich wäre ich als König voll der dufte Typ: Ich würde für mehr öffentliche Toiletten sorgen (im Alter muss man ja auch öfter), für jede Stadt ein jährliches Rockfestival zur Verpflichtung machen, statt Parteien eine versierte Expertengruppe zur Lösung von Problemen einsetzen und für eine Vollvergrünung der Städte sorgen. Ach, mir fielen da jede Menge schicke Sachen ein, um mein Volk zu begeistern.

 

Nun wurde ja aktuell der Reichsbürger und Oberschwurbler Seine Durchhaucht Heinrich XIII. Prinz Reuß polizeilich festgesetzt, da er mit einer Horde von bewaffneten Oberdullis mit rechtsdrehender Einstellung den Bundestag stürmen wollte. Man sprach auch von Staatsstreich. Herrje, halten gewisse Männer eine Waffe in die Hand, bekommen sie augenblicklich präorgasmatisches Hodensausen und fühlen sich wie leibhaftig gewordene Kampfboliden aus einer dieser unsäglichen Computerballerspiele. Der Olle Heinrich sollte nach dem Umsturz Deutschlands, trotz jeder Menge Quark im Großhirn oder gerade deswegen, neues Staatsoberhaupt werden. Ich weiß auch nicht, warum ich mich bei dem Gedanken an einen König als Oberhaupt so schwer tue und augenblicklich an Begriffe wie Schachmatt, Guillotine und französische Revolution denken muss. Allerdings gibt es einen König, den ich sehr schätze und das ist Richard Booth, der König von Hay-on-Wye. Hay-on-Wye ist ein wunderschönes, magisches Dorf in Südwales und bekannt als das Büchermekka der Welt mit unzähligen Antiquariaten. Vor ein paar Jahren liefen wir wie staunende Kinder durch den Ort. Am 1. April 1977 trat Booth in Hay mit Hermelinrobe, Reichsapfel und goldener Krone vor eine Gruppe britischer Journalisten und erklärte feierlich die Abspaltung Hays vom Vereinigten Königreich sowie den Austritt aus der Europäischen Gemeinschaft. Sich selbst ernannte Booth vor den schmunzelnden Journalisten zum König Richard des Unabhängigen Königreichs Hay-on-Wye. Und sein Pferd zum Premierminister. Ich halte das für ein hervorragendes Modell für Deutschland, denn jedes Pferd hat mehr Menschenkenntnis als – sagen wir - ein Friedrich Merz.

 

7/12/22… IGNORANZ… In dem Umsonst-Bücherregal entdeckte ich beim Durchstöbern ein altes dtv-Taschenbuch. "So grün war mein Tal", das der Autor Richard Liewellyn 1950 geschrieben hatte. Verlockend für mich war, dass es um Wales ging, eines meiner Herzensorte. Doch dann las ich den Klappentext weiter: "Ein Tal wird das Opfer uneingeschränkter Industrialisierung. Kohlenstaub überzieht die einstmals liebliche Landschaft, die Häuser werden von Schlacke erdrückt und die Menschen durch den zunehmenden sozialen Druck mehr und mehr ins Elend gestürzt. Ein Roman, der heute aktueller ist denn je." Der Text stammt von der Neuauflage 1985. Und ich denke, das mit dem" aktueller denn je" würde auch noch 2022 passen. Irgendwie hat sich nichts geändert. Noch im September habe ich den Klimaforscher Mojib Latif in Berlin gehört. Ich muss an seine Worte denken: "Wir haben kein Wissensproblem, sondern ein Umsetzungsproblem." Ignoranz schlägt Verstand.

 

21/11/22 … WOKE-SEIN … So, seit neulich ist es amtlich: Ich bin woke bzw. substantiviert: Ich bin ein Woker. Die Erkenntnis kam überraschend, etwa so, als hätte ich als ständiger Pumpenkönig beim Kaiserkegeln meines Vereins „Alle Neune“ plötzlich den ersten Platz belegt. Ich musste zunächst googlen, um zu kapieren, was woke überhaupt bedeutet. Übrigens finde ich diese ganzen Anglizismen hochgradig bescheuert. Woke heißt, so meine Recherche, wach sein. Somit bin ich also ein Wacher, was mich wiederum nicht wundert, da schon mein Grundschullehrer meinte, ich sei ein waches Bürschchen. Nun wird man nicht automatisch woke, sondern man muss aus berufenem Mund dazu ernannt werden. Und zwar von Personen, die sich auskennen und logischerweise unwoke = unwach, also Penntüten oder Schnarchnasen sind. Und so wurde ich beim wilden Kommentieren im sozialen Netz durch ebensolche Unwachen geoutet. Da schwante mir erstmalig, dass Woke-Sein etwas Ultranegatives ist, denn so bezeichnet man nervige und übersensible Menschen, die sich vom Sofa aus für die Rechte von vermeintlich unpreviligierten oder unterdrückten Lebewesen einsetzen und zu allem Überdruss die restliche Menschheit davon überzeugen wollen. Dagegen Leben Unwoke in einer Dunstwolke der sozialen und damit gesellschaftlichen Verpeiltheit. Ihre Selbst- und Fremdwahrnehmung ist derart verschrumpelt, dass sie gar nicht in der Lage sind, Ungerechtigkeiten und Benachteiligung ihrer Mitmenschen überhaupt wahrzunehmen. Da entsteht natürlich ein gewisser Neid auf uns Wache. Hinzu kommen all die schrulligen Anhänger der konservativen Politgesinnung, die von dem zehrenden Wunsch beseelt sind, Werte zu bewahren, wobei sie in der Regel nicht einmal wissen, welche Werte das grade sind. Seitdem der Kommunismus existenztechnisch die Grätsche gemacht hat, sind sie auf der stetigen Suche nach einem neuen, dankbaren Feindbild. Da kommen so Woke wie ich gerade recht.  Bei meinen genaueren Nachforschungen stellte ich fest, dass dieser Ausdruck vor allem von Personen genutzt wird, die ständig über den Verfall der deutschen Sprache - ach was sag ich: des gesamten Abendlandes (wo immer das geografisch liegt) - wehklagen. Und da ich ja eben wach = auf Zack bin, leuchtete mir auch direkt die dahinter befindliche Masche ein: Es sind die gleichen Leute, die stets von Political Correctness (was ja auch nicht richtig Deutsch ist) schwafeln und diese blöd finden. Nun wäre es ja taktisch unklug, Leute die man ablehnt, in verständlicher Weise und somit in deutscher Sprache als „Wache“ oder „Politisch Korrekte“ zu bezeichnen, da ja dann im Gegenzug deutlich wird, das man selbst ein verpeilter Döspaddel ist und zu alledem auch politisch unkorrekt handelt. Ganz schön gewieft und gleichzeitig grottenblöd.

 

Da ich ja nun mal ein von sensiblen Kräften gelenkter, radikalversiffter Ungerechtigkeitsdraufhinweiser bin, habe ich eine innere Einkehr vorgenommen und mich gefragt: War es vielleicht tatsächlich falsch, sich für entrechtete Urvölker, verfolgte Flüchtlinge oder Tier- und Klimaschutz einzusetzen? Ist es wirklich rechtens, auf obrigkeitshörigen Faschisten rumzutrampeln oder mit 120Km/h durch die Wohngegend heizende Schrumpfhirne mit rohen Eiern zu bewerfen? Ich denke: JA, denn ich wäre ja nicht authentisch, wenn ich dies nicht zu meiner Sache machen würde. Ich bin sogar zu dem Entschluss gekommen, das Tätigkeitsfeld weiter auszubauen. Ich meine, es tut einem ja wirklich in der Seele weh, dass so viele Menschen unwoke, statt woke sind. Sollte man sie nicht wecken und damit von ihrer Trantütigkeit befreien? Und sollte ich mich nicht auch um all die politisch Unkorrekten und gesellschaftlichen Schlafmützen kümmern? Dann kann man mir – wie neulich auf facebook geschehen - auch nicht mehr „ungenierte moralische Selbstüberhöhung und Verachtung für den Rest der Welt“ vorwerfen. Und jetzt, wo ich weiß, dass sich Konservativlinge mangels existierenden Feindbildes an mir abarbeiten können, fühlt es sich richtig gut an, ein Woker zu sein. Ein bisschen Masochismus schlummert in jedem Woken und außerdem wurde mir das Gebot „Jeden Tag eine gute Tat“ schon mit der Muttermilch eingeimpft. Also: Nichts für ungut, liebe Minuskumpel; ich bin gerne wach für euch.

 

 

4/11/22 … PLATINEN-PUTIN … Der Tag war bislang normal verlaufen. Keine besonderen „Hervorkommnisse!“ Ich hatte den PC angeworfen, um zu recherchieren, wie man lästige Fruchtfliegen im November loswird. Scheiß Klimakrise, dachte ich. Neben mir stand eine Tasse Kräutertee mit dem vielversprechenden Namen „Love“ – kann nie schaden. Soeben tippte ich die Worte „wie werde ich lästige Fruchtfliegen los“ bei Google ein, das heißt, ich kam bis läst…, da platzierte sich eine Pfote auf der Tastatur. Mein Hund findet Online-Recherchen zum Kotzen und präsentierte mir stattdessen sein Spielzeug im Maul: Komm Herrchen, spielen! Seine Pfote hatte offenbar eine merkwürdige Buchstaben- und Zahlenkombination inklusive Eingabebefehl ausgelöst. Jedenfalls rauschten plötzlich nie dagewesene Streifen über den Bildschirm, die sich schlussendlich zu einer Art Binärcode formierten. Heilige Scheiße, dachte ich, ist das jetzt der finale Absturz? Ade, Computer! Doch die Nullen und Einsen bildeten eine 3D-Spirale und aus dem Chaos entstand … trara … das Anonymous-Symbol. Mein Hund legte den besabberten Ball auf meinen Schoß. Normalerweise kann ich seinen auffordernden Blicken nicht widerstehen, doch heute schubste ich den Ball weg und bewegte vorsichtig den Cursor in Richtung Emblem. Ein umrahmtes Eingabefeld mit dem Schriftzeichen „Cassiopeia calling“ erschien, darunter ein Leerfeld zur Codeeingabe. Ich pfiff durch die Zähne. Was nun? Das durch-die-Zähne-Pfeifen nahm mein folgsamer Hund zum Anlass, erneut hochzuspringen und seine Tatze auf dem Tastenfeld zu positionieren. Und was soll ich sagen: Voller Erfolg – man sagt, dass Collies sehr klug sind. Eine bläuliche, sich drehende Weltkugel erschien, die von rötlichen Koordinaten umringt war. Die Knotenpunkte bildeten sensible Orte auf dem Globus: Berlin, Paris, London und … Moskau. Ich klickte den Punkt über Moskau an und wie von Google Earth bekannt, wurde eine Stadtkarte der russischen Metropole hochgebeamt. Ein weiterer Knotenpunkt leuchtete über dem Kreml auf. Kurze Zeit überlegte ich, meine Frau zu rufen, lasse aber dann von dem Gedanken ab, da sie mich gerne bremst, wenn ich bescheuerte Sache aushecken will. Stattdessen bediente ich die Eingabetaste und es erschien Выполнение действия, was Aktion ausführen bedeutet. Ab jetzt musste ich den Russisch-Deutsch-Translator nutzen. Wenig später wurde ich aufgefordert, das Einfallstor zu wählen. Heiliger Bimbam … Einfallstor??? Jetzt gab es kein Zurück mehr. Neulich las ich noch, dass die digitale Schwachstelle jeder Firma die Überwachungskamera ist. Also hin da und wenig später konnte ich auswählen … ääähm, natürlich wählte ich „Arbeitszimmer Präsident“. Dann: „Operation erfolgreich“, gefolgt von dem Wortlaut „Knowledge is free“. Ab dann hatte ich das Gefühl, in eine Art Trance zu verfallen, denn was ich nun zu sehen bekam, ließ mich schwitzen und frieren zugleich. Mitten in dem großen, prunkvollen Arbeitszimmer stand tatsächlich Wladimir Wladimirowitsch Putin. Ich erkannte ihn sofort an seinem gruseligen Haarschnitt. Doch Putin war in der Mitte aufgeklappt und beim Ranzoomen erblickte ich in seinem Inneren einen Haufen Kabel, Prozessoren und Platinen. Ein langes Kabel führte zu einem Diagnosegerät auf Rollen, wie man es aus Autowerkstätten kennt. Die rot blinkende Digitalanzeige zeigte die Worte „Error“ und „Procedure necessary“. Ich machte ein paar Screenshots, dachte aber, dass mir das eh niemand glauben würde. Über das Darknet, zu dem mir freundlicherweise Anonymous Zugang gewährte, schickte ich die Ergebnisse an die großen Zeitungen dieser Welt und schon am nächsten Tag war der ganze Globus informiert. Es wurde zu DEM Skandal, wogegen Watergate niedlicher Pillepalle war! Aber so was von! Es war von „Fake-Putin“ und „Robotomir“ die Rede. Die Meldungen überschlugen sich. Doch … ich konnte es nicht fassen: Viele Russen interessierte es nicht. Die Tagesschau brachte Interviews mit Passanten. Sie liebten ihren Putin auch als Maschine. Och jo, lächelte Mütterchen Olga zahnlos in die Kamera: er war nie sehr lebendig, der Herr Putin. Und dann wachte ich auf – verwirrt und nass geschwitzt. Ich schaute auf die Wand, an die normalerweise unser Wecker die Zeit projizierte und las: „We are Legion – Cassiopeia calling“.

 

26/10/22 … GEBT IHNEN FLEISCH … Das deutsche Volk hat´s ja momentan überhaupt nicht leicht: Erst die Pandemie, dann die Auswirkungen des russischen Massakers in der Ukraine und schließlich die mediale Dauerpräsenz des Trauerrednergesichts Friederich Merz. Doch das berühmte Fass (wo steht das eigentlich?) zum Überlaufen brachte nun eine erneute Horrormeldung von unglaublicher Brisanz: Die vegetarische Verköstigung von Kitakindern in Freiburg. Und auch Bielefeld und Fickelwerder sollen schon infiziert sein. In den sozialen Medien hyperventilieren die Kommentatoren und es ist von Freiheitsberaubung, Staatsterror und Infiltration durch linksgrünversiffte Hirnamputierte die Rede. Und die Ächzbürger wittern schlimme Zeiten auf sich zukommen, z.B. dass schon im Kindergarten Friday-For-Future-Aktivisten herangezüchtet werden, die dann Kunstwerke mit Kartoffelsuppe (wäre es doch wenigstens Zwiebelmett – halb und halb) überschütten. Thorsten P. aus D. wetterte im Radio, er würde seine Tochter sofort aus dem Kindergarten abmelden, würde dies auch in D. eines Tages der Fall sein. Ich kenne Thorsten P. zwar nicht, kann ihn mir aber dank meiner lebhaften Fantasie als wahren Mann vorstellen, der beim Reinbeißen in bluttriefende Steaks (in der Fachsprache heißt das „medium rare“ oder nur „rare“) Sätze wie „Fleisch ist mein Gemüse“ oder „ich esse nur, was Augen hatte“ von sich gibt. Solche Männer haben bei ihren inszenierten Weber-Grillshows stets dieses Neandertaleske in ihrer Mimik.

 

Liebe Karnivoren, regt euch ab – die Lösung ist nah. Denn natürlich habe ich mir Gedanken gemacht, schließlich wollen wir keine 278. Spaltung in dieser harmonisch, ausgeglichenen Gesellschaft. Da ja Fleischesser harte Kost gewohnt sind und vor nix fies sind, schlage ich das „Foie Gras-Verfahren“ vor. „Foie Gras“ ist die berühmte Stopfleber, die gerne bei Gänsen angewendet wird, aber inzwischen aus Frankreich importiert werden muss, weil irgendwelche anderen hirnamputierten Tierschützer den Prozess als massive Tierquälerei bezeichnen. Tse, woher wissen die das? Waren die mal Gans? Wie wäre es also, wenn Thorsten P. bei der Heimkehr seines vegetarisierten Sprösslings per Tortenspritzbeutel ein passiertes Gemisch aus Press- oder Blutwurst, paniertem Schnitzel, Hackbraten und angedicktem Fleischsaft appliziert? Sozusagen als Fleischdessert! Auf diese Weise wäre schlussendlich eine rosige Zukunft durch fürsorglich gemästete Jungstaatsbürger doch noch gewährleistet. Nichts zu danken! Bin selbst überrascht über meinen Gedankenoutput – und das als verweichlichter Vegetarier.

 

19/10/22 … SPIELPLATZ MILITÄR … Die jugendliche Patientin antwortete auf meine Frage, was ihre beruflichen Pläne bzw. Vorstellungen seien: Ich will zur Bundeswehr. Dreimal durchatmen - meinerseits. Man muss dazu wissen. ich bin Verweigerer und Antimilitarist und halte allgemein Militarismus für den besten Beweis dafür, wie dämlich die Spezies Mensch, die Krönung der Schöpfung, tatsächlich ist. Meiner Meinung nach ist es nicht sonderlich ruhmbekleckerlich, wenn vermeintlich normal denkende Menschen nach dem Willen von offenbar nicht normal denkenden Oberhäuptern bzw. OberENThäuptern in den Krieg gegen andere Völker ziehen. Ich fragte das Mädchen, wie sie zu dieser Überlegung gekommen sei. Sie strahlte mich an: Weil sie kein Mensch für den Schreibtisch sei und Action und Abenteuer liebe. Innerlich verdrehte ich die Augen, denn es ist mir ein absolutes Rätsel, wie wacker sich die Legende von der Bundeswehr als Abenteuerspielplatz hält. Offenbar scheinen sich Männer und inzwischen auch Frauen in einem präorgasmatischen Zustand zu befinden, wenn sie sich mit schwerem Gerät in irgendwelchen Panzerübungsgebieten im Dreck suhlen, ihr Gesicht mit Lehm verschmieren und zur Tarnung vertrocknete Birkenzweige vor dem Gesicht spazieren tragen. Nun gibt es ja neuerdings selbst in ansonsten militärkritischen Zeitungen Diskussionen, ob Militär nicht vielleicht doch auch etwas sexy sei und das frühere Friedensgelaber a la „Frieden schaffen ohne Waffen“ kompletter Blödsinn war. Langsam beginne ich, mich heimlich zu schämen, weil ich 1982 im Bonner Hofgarten mit 300.000 anderen Friedensspinnern für ein atomfreies Europa demonstriert habe (ich persönlich war übrigens für ein komplett waffenfreies Europa, was natürlich völlig hirngespinstiger Unfug war und ist - wie konnte ich nur so naiv sein, wo doch jeder zweite humanoide Zweibeiner die Gene einer morchelnden Schlächtermentalität in sich trägt!).

 

Nun las ich halbaktuell in der TAZ ein Interview mit dem Militäranalysten und Politikwissenschaftler Carlo Masala, dass in der Politik nie der Kernaspekt der Armeen thematisiert würde. Der da wäre, "...unter gewissen Umständen zu töten beziehungsweise getötet zu werden.“ Hossa, denke ich, darf man so etwas einfach so raushauen? Sollte es nicht eigentlich geheim bleiben, dass es bei militärischen Operationen (früher hieß das Krieg) um Hauen und Stechen geht? Auch ich stellte dem Mädel die Kernfrage: „Du weißt schon, dass ein Einsatz bei der Bundeswehr immer auch bedeutet, andere Menschen zu töten bzw. selbst getötet zu werden!“ Schweigen! Ein paar große Augen, die mich anstarrten! So Kernaspekte können offenbar auch zu Kernspaltungen führen!

 

7.10.22 … DIE MASTLÜGE… Es ist schon eine Weile her (2019), da wurde der Verlag Klett-Kinderbuch von einem wahren Shitstorm überzogen. Die „Scheißestürmer“ waren Bauern, die sich ja nun mit Shit (also nicht das zum Rauchen!) besonders gut auskennen. Der Grund ihrer Aufregung: Der als recht kritisch bekannte Verlag hatte es gewagt, in einem Kinderbuch Massentierhaltung darzustellen (siehe Foto). Das Buch war zu dem Zeitpunkt zwar schon sieben Jahre auf dem Markt, aber wie man ja weiß, tickt die Zeit auf dem Land etwas langsamer. Die Aufregung nahm in ungeahntem Maß ihren Lauf. Man wetterte, dass 99% (sic!) der Landwirte mit Bio-Propaganda in den Dreck gezogen würden. Wie sich herausstelle – der Klett-Verlag recherchierte -, hatten die meisten erbosten Landwirte die Darstellungen im Buch selbst nie gesehen. Es ging ihnen schlicht und ergreifend darum, die Legende von lustig auf der Wiese rumtollenden Schweinen und Rindern aufrecht zu erhalten. Die Menschen sollen wacker Fleisch von frohlockenden Tieren essen, aber nicht wissen, unter welchen Bedingungen die Tiere vor ihrer Schlachtung gequält und kasteit wurden. Massentierhaltung, so auch die Tierschutzpartei CDU, sei lediglich – ich glaub´s nicht – ein ideologischer Begriff, denn ihrer Meinung nach handelt es sich bei der industriellen Haltung von Mastvieh offenbar um eine artgerechte und somit dem Tierwohl entsprechende spieltherapeutische Wohnstätte zum Zwecke der achtsamen Tierbeglückung. Als ich die Geschichte las, musste ich plötzlich an Kalbsbraten an Portweinsauce und Spanferkelkeule provenzalischer Art, also Tierkinderkadaverspezialitäten denken. Aber hey, wie gut, dass jedes menschliche Kind weiß, das Fleisch normalerweise an Bäumen wächst!

 

29/9/22 … Freundschaft Plus … Obschon ich tagtäglich mit Jugendlichen zu tun habe, stehe ich immer wieder vor dem Problem, mit einem Phänomen konfrontiert zu werden, das ich bis dato nicht kannte bzw. den Ausdruck dafür nicht. So lernte ich kürzlich von einer Patientin, dass es neuerdings „Freundschaft Plus“ gibt. Hat sich zum Beispiel ein Paar getrennt, beschließt aber eine gewisse Freundschaft zu halten und hin und wieder Sex zu haben, dann ist das „Freundschaft plus“. Sex also gleich „plus“. Wichtig ist es, so wurde mir erklärt, dies zu verabreden. Let´s talk about sex, quasi oder Sex mit der Ex auf Freundschaftsebene. Ja guck, dachte ich, so hat das Elend, getrennt zu sein, aber nicht so richtig voneinander loszukommen, endlich eine Bezeichnung. Nun ging mir aber dieser Begriff nicht aus dem Kopf und ich überlegte, dass er sich ja genial ausweiten ließe, um endlich mal Licht in das Wirrwarr der ganzen elendigen Techtelmechtelei zu bringen. Da wir ja nun „Freundschaft“ und „Freundschaft plus“ schon kennen, könnte man ja auch noch „Beziehung plus“ (man hat in der Beziehung Sex, was ja keine Selbstverständlichkeit ist), sowie von „Beziehung minus plus“ sprechen (sexuell läuft nix (mehr) in der Beziehung). Interessant wäre natürlich noch „Beziehung plus minus plus“ (Es gibt noch außerbeziehungsmäßiges Poppen, wovon der Partner nichts weiß: Altdeutsch: Fremdgehen) und „Beziehung minus plus plus“ (Sex läuft nicht mehr, dafür aber insgeheim mit der z.B. Kollegin). Der Vollständigkeit halber sollte noch „Beziehung plus plus“ erwähnt werden (man hat Sex in der Beziehung und offiziell noch mit dem besten Freund) und "Beziehung plus doppelplus" (beide haben Sex mit der gleichen dritten Person). Richtig spannend wird’s dann noch mit „Nur Plus“ (man hat Sex mit irgendwem, aber ohne Freundschaft oder Beziehung, z.B, Onenight stand) und „Plus ohne Plus“ (nur Sex im Kopf). Einfallen würde mir noch „Doppelplus“ (Sex mit beiden Geschlechtern) und „Minusplus“ (mir ist Sex scheißegal). Werde ich also z.B. als sexfreier Mensch auf einer Party gefragt, was ich so für ein Typ bin, kann ich einfach sagen: ich bin „Minusplus“ und habe für den Rest des Abends meine Ruhe. So einfach kann das Leben sein.

 

20/9/22…KAPITALISMUS… Bacharach. Hübsche Perle der touristischen Weinseligkeit am Rhein. Wir waren vor Jahren schon mal dort. Jetzt sind wir erschrocken: Leerstand überall, heruntergekommene Häuser und eigenartig seelenlose Atmosphäre. Später in der netten Kneipe treffen wir zwei Ur-Bacharacher: Ralf und der Wirt. Wir kommen ins Gespräch. Sie scheinen frustriert. Die Bus- und Schiffsladungen an "R(h)einguckern" rennen nur noch durch den Ort. Keine Zeit mehr zum Einkehren. Gegessen wird vor dem Bus. Durch die Pandemie sind die Arbeitskräfte weggebrochen. Die Arbeit hier… Restaurants, Cafés und so… will keiner mehr machen. Der scheiß Krieg hat alles verteuert. Und dann drückt Ralf seine Fluppe aus und schimpft: Den Rest erledigen Amazon & Co. Ein Teufelskreis: Keine Angestellten, Geschäfte machen dicht und die Leute bestellen im Internet. Ich sage, dass ich Amazon für einen kapitalistischen Scheißladen halte und seit eh und je boykottiere. Man nickt in die Runde! Und dann, so der Wirt, kommen die Bänker aus Frankfurt und kaufen die runtergewirtschafteten Häuser auf. Instandsetzung: Fehlanzeige. Dort wohnen dann nur noch Spezielle, so nennt er sie. Er stellt mir noch ein Bier hin, für meine Frau einen Grauburgunder und gibt dem Hund ein Leckerchen. Die Leute hier sind anders geworden. Aggressiver. Krimineller. Der Drogenkonsum hat zugenommen. Ralf versteht was davon. Er war früher selbst im Knast. Das erzählt er mir aber nur, weil ich Psychologie bin. Ich muss an das Buch denken, was ich grade lese: Deutschlandreise von Roger Willemsen. Irgendwo heißt es darin: Kapitalismus ist vor allem eins: Betrug. Dem ist nichts hinzuzufügen.

 

14/9/22 … DAS ENDE NAHT … Schon seit geraumer Zeit pfeifen es die Spatzen und andere komischen Vögel vom Dach: Das Ende ist nah. Also jetzt noch nicht direkt das Ende der Welt, sondern das Ende von speziellen Weltunterbereichen wie zum Beispiel der deutschen Welt. Und bei den komischen Vögeln handelt es sich auch nicht um die Zeugen Jehovas, die ja alle naselang einen neuen Untergangstermin fabulieren, sondern um eigenartige Zeitgenossen in den brodelnden Tiefen des wörld weit wepps. Neuerdings werden mir auf Fatzebuck Seiten empfohlen, die vor tiefergelegtem Schwachmatentum nur so triefen und die wahren und daher wichtigen Themen der Jetztzeit aufs Tableau bringen. Und so ging es neulich um Pommesgabeln. Offenbar scheint es eine Verordnung zu geben, Pommes künftig mit Holzgabeln zu essen. Nein – falsch: Essen zu müssen! Und es gibt eine Community, die sich darüber bis zum Speiseröhrenkatarrh auskotzt. „Mir wird schon schlecht, wenn ich nur daran denke! Wie ekelig ist das denn“, schimpft Hannelore F. aus D. und legt nach mit: „Kein Wunder bei dieser unfähigen Regierung.“ „Was vill mann uns noch nemen?“ schnaubt Herbert S. aus U. und macht Anspielungen auf Winnetou. „Das ist doch Diktatur“, weiß Rotlinde aus G. festgestellt zu haben. „Diese rotgrünverseuchte Bande in Berlin wird Deutschland völlig zugrunde richten“, wortschreit Dietmar P. aus P. und bricht dann eine Lanze für die guten alten Zeiten. Ich schaue von meinem Smartphone auf und blicke auf den unaufgeregt vorbeifließenden Fluss, die einzige Konstante in der Umtriebigkeit des Lebens. Offenbar ist es für einen Teil der Bevölkerung von immenser Bedeutung, wenn Pommesgabeln aus Plastik sind. Vermutlich weil Plastik das bunte Gold der Gegenwart ist und dem Nutzer das heimelige Gefühl von kunststofflich umgarnter Geborgenheit gibt. Nun geht mit den neu eingeführten Holzpommesgabeln das christliche Abendland und die preußische Weltordnung zugrunde!

 

Und dann muss ich viele Jahrzehnte zurückdenken, als die erste Pommesbude in meiner Heimatstadt eröffnete und die angebrannten Analogkartoffelschnipsel plötzlich der letzte Schrei waren. Ich erinnere mich, wie ich damals, in die fetttriefende Frittenhütte, die damals noch Imbissbude hieß, eintrat, meine Pommes bestellte (bis heute mit Mayonnaise) und meine kleine putzige Pommesgabel in die knusprigen Freudenspender spießte. Und was soll ich sagen: Die Pommesgabeln waren damals, als die Welt noch in Ordnung war … AUS HOLZ!!!

 

8/9/22 … GRETA & ICH … Es gab und gibt nur eine Handvoll, mir persönlich bekannte und somit real existierende Menschen in meinen über sechs Lebensjahrzehnten, die mir auf ihre ganz eigene Weise imponiert haben. Ich mache mir nichts aus Äußerlichkeiten, Titel, Reichtum oder Berühmtheit, wohl aber faszinieren mich Eigenschaften wie Durchsetzungsvermögen, Mut, ziviler Ungehorsam oder Gradlinigkeit. Und manchmal – dann und wann – schleicht sich bei mir ein gewisser bitterer Beigeschmack ein, selbst nicht zu den mir imponierenden Gestalten zu gehören. Vor ein paar Jahren entdeckte ich in der Nähe eines Münchner Friedhofs den alten Spontispruch: „Die Schönheit des Lebens liegt in der eigenen Ununterworfenheit!“, der seitdem zu einer Art Lebensparole für mich geworden ist. (Da gern übersehen: Man beachte die Vorsilbe UN!) Aber mit der Ununterworfenheit ist es wie mit den klugen Sprüchen auf manchen Teebeuteletiketten: Sie lesen sich nett, führen aber zu nix. Herrje, wie oft habe ich mich selbst dabei erwischt, meinen Idealen untreu geworden zu sein. Einzuknicken, weil ich berufliche Ressentiments, sozialmediale Shitstorms oder rechtliche Auswirkungen fürchtete. Neulich unterhielt ich mich mit einem Bekannten über emotionale Belastungen am Arbeitsplatz durch asoziales Kollegentum. Wir waren uns einig, dass die Hauptbelastung oftmals darin liegt, geschwiegen zu haben, anstatt sich mit aller Vehemenz und ohne Rücksicht auf Anfeindungen aufzulehnen.

 

Und dann tauchte vor Jahren Greta aus dem Nichts auf. Greta Tintin Eleonora Ernman Thunberg, die kleine, große schwedische Klimaaktivistin. Ich kenne sie zwar nicht persönlich, aber mein Respekt und meine Anerkennung vor ihrer konsequenten Haltung und Unbeugsamkeit sind enorm. Natürlich sind mir all die Hetzkommentare im weltweiten Netz der menschlichen Ausdünstungen nicht verborgen geblieben. Kommentare von kleinkarierten Nichtsnutzen, klimafeindlichen Hohlpfosten, neoliberalen (was für ein beschissenes Wort) WELT-Lesern und rechtsradikalen Quarkhirnen. Das ganze Leben in einer Untätigkeitsdauerschleife, klimatechnisch noch auf Neanderthalniveau und reflektiert wie eine in der Wüste schmorende Nacktschnecke, aber sich über engagierte Jugendliche belustigen. Das öffentlich ausgetragene Amüsement über die Größe, das Alter, das Fernbleiben von der Schule, das Autismus-Syndrom oder die Lebensführung des Mädels aus Stockholm zeigt das komplette soziale Kompetenzamöbentum dieser Kritikasten und Nörgelpötte. Neulich erreichten mich ein paar dieser blöden, farbig aufgepeppten Internet- und Handysprüche von mir bekannten Personen, in denen Greta verunglimpft wird oder ein akademischer Telgter Gurkenbürger gar androhte, er wisse nicht, was er der Göre bei einer Begegnung antuen würde. (Letzteres überlege ich mir bei der Begegnung mit ihm auch immer!) Das sind MERZerisierte oder LINDNERisierte Personen, die sich sonst im Leben vor allem durch anales Paragliding auszeichnen und Müll-Runterbringen ohne Kleckern für eine drastisch umgesetzte Umweltschutzmaßnahme halten. Ich finde, Greta macht mir als Mensch mit Faltenwurf Mut, dass a) ein Teil der Nachkommenschaft auf gutem Kurs ist und b) ich mal wieder mehr Tacheles reden und tun sollte. Und zwar ohne Rücksicht auf Verluste!

 

2/9/22…IK GLOTZ TV… Der Tag war hart, der Untergrund sowieso. Berlin... unter seinem Pflaster weit und breit kein Strand - mehr. 11 km zeigt meine Bewegungs-App an und lässt Luftballons steigen. Mein ramponiertes Knie applaudiert nicht. Und so sinke ich denn tagendlich auf mein Hotelbett, nachdem ich in der Hotelbar ein sündhaft teures Bier verkostet habe. Neben mir auf dem Schränkchen lungert eine Fernbedienung rum, die offensichtlich mit dem kühlschrankgroßen Fernseher mir gegenüber in Fernbeziehung steht. Aufgrund der Größe der Glotze hat man auf eine Bebilderung der Räumlichkeiten verzichtet. Träge ziehe ich das Tastenteil zu mir rüber und musterte es. Ich besitze seit fuffzehn Jahren keinen Flimmerkasten mehr. Irgendwann reichte es mir mit dem ganzen infantilisierten Scheiß. Ich drücke irgendeine Taste, dann noch eine…nix passiert. Batterien alle, denke ich, doch dann entdecke ich, dass ich den beknopften Handschmeichler falsch rum halte. Nach der Ausmerzung dieses Fehlers - irgendwie fühle ich mich plötzlich alt - springt die Kiste an und bewegte Bilder in rasanter Farbgebung flirren über die Mattscheibe, die vermutlich heute auf den Namen Dischplei oder so hört. Kann es sein, dass bei billigen Fernsehern alle Gesichter Zellulitis kriegen? Ich zappe durch die Programme und bin erstaunt, wie viele Sender es gibt, von denen ich noch nie gehört habe. Von den türkischen und arabischen mal ganz zu schweigen. Aber egal wo ich lande: Ich bin geflashed von der galoppierenden Einfältigkeit. Ich schwöre bei meiner Mudda, wie man hier allerorts hört, es gibt allen Ernstes Sendungen, in denen die ganze Zeit Dinge zur Verbimmelung angepriesen werden. Wer guckt sowas? Und wurden eigentlich die MTV-Musikvideos eingestellt? Völlig desillusioniert und vom Entsetzen gepeinigt, drücke ich die Aus-Taste. Von mir aus auch den Selbstzerstörungsknopf. Ich bin jetzt im vermutlich letzten Lebensdrittel und es ist ein befreiendes Gefühl zu erkennen: No more TV forever. Schaut den Scheiß ohne mich! Für den Rest der Zeit hänge ich mein Badehandtuch drüber. Alternativprogramm!

 

17/8/22 … RIO IN BERLIN … In Berlin soll ein Platz nach dem Musiker und Frontsänger von Ton Steine Scherben Rio Reiser umbenannt werden. Vorher hieß der Ort Heinrichplatz, was ja nun wirklich nicht sonderlich spannend klingt. An der Stelle frage ich mich immer, welche einfallslosen Dösköppe in Städten für die Straßenbenennung zuständig sind. Der Liedtexter wurde 1950 in Berlin geboren und starb 1996 in Nordfriesland. 2011 wurde sein Leichnam auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin umgebettet. Also ein nachträglicher Komplettberliner. Sein Spruch „Keine Macht für Niemand“ prägt bis heute mein politisches Denken. Wie zu erwarten, gab es in Berlin natürlich Zoff wegen der Platzumbenennung. Um nur mal einen Kommentar im „Tagesspiegel“ zu zitieren: „Völlig überflüssig einen linksradikalen Krawallmacher so ehren zu wollen. Ach ja, Musik hat er ja auch gemacht.“ Und irgendwer meinte, dass Reiser nicht mal einen Nummer 1 Hit hinbekommen hätte. Ich habe zwar in Berlin nix zu melden, aber ich wollte mal kommentieren, dass in meiner Heimatstadt eine Straße nach Mozart benannt wurde: Der hatte nicht nur eine scheußliche Frisur, sondern machte auch klebrig-langweilige „Leierkastenmusik“ (1). Und in den Charts war er auch nicht, geschweige denn irgendwann mal in Telgte. Ich wäre ja für eine Umbenennung der Herrenstraße (ebenfalls bescheuerter Name), in der ich wohne, in Kurt-Cobain-Straße. Ich höre schon die CDU-Seniorenortsgruppe schimpfen: De kunn ja nich mal Plattdüüt snacken.

(1) Eckhard Henscheid im Tagesspiegel 27.1.2006)

 

10/8/22 … HOLLAND … Die Niederlande, die ja eigentlich Holland heißt - jedenfalls bei den Deutschen, war das erste außerdeutsche Land, das ich als kleiner Junge kennenlernte. Katwijk, die kleine Stadt an der hollän… ääähm niederländischen Nordseeküste wurde damit sozusagen zur Blaupause meiner künftigen Ferienorte. Ich lernte, dass die wichtigsten Aspekte einer Reise sind: 1. Wie schmecken dort Pommes? 2. Gibt es besonders salzige Lakritz? 3. Wie freundlich - auch zu Tieren - sind die Menschen? Und 4. Wie hübsch sind die Mädchen? Meine Mutter war nämlich seinerzeit der Meinung, die Holländerinnen – damals nannte man sie noch so – seien die Hübschesten; also direkt nach den Schwedinnen. Als 16 Jähriger fuhr ich mit einem damaligen Kumpel erneut nach Katwijk. Die Reihenfolge der Wertigkeiten kehrte sich um und mit Marianne lernte ich ein echt „mooi meisje“ kennen, was aber später nur drei Briefwechsel lang anhielt. Noch heute ist die Niederlande ein Reiseland, in dem mir das Herz aufgeht, auch wenn der berühmte Gouda nur ansatzweise wie Käse schmeckt, die Pommes genauso fettig sind wie überall und auch dort rechtsdrehende Menschen mit braunem Quark im Hirn fröhlichen Urstand feiern.

Nun waren wir kürzlich wieder in Enkhuizen, unserem imaginierten Zweitwohnsitz am Ijsselmeer. Dort am Hafen zu sitzen, am Genever zu nippen und den Schiffen beim Ein- und Ausfahren zuzuschauen ist für uns geballtes Lebensgefühl. Bei unseren Gassigängen hatte man den Eindruck, sich im Land des Lächelns zu befinden: Kein Overkill an Miesepampel, Kotzbrocken und Pestzecken, wie sie einem zuhause ständig begegnen. Und auch militante Hundeabrichter wie in meiner Stadt: Fehlanzeige. Und dann zurück in der kalten Heimat: Drängler auf der Autobahn, Griesgrame auf der Straße und eben wieder "mein-Hund-soll-nicht-spielen-Analoghundeversteher. Es ist ein Graus. Und dann dachte ich: Wir kaufen uns ne alte Yacht, binden die im Hafen von Enkhuizen fest (was – glaube ich – vertauen heißt) und rühren uns nicht mehr vom Fleck. Nur manchmal würden wir zur Genever- und Bierverköstigung ins „Het Wapen van Urk“ wechseln. Was für ein Leben – irgendwie doch eben holländisch. Ich check heute Abend mal den Kontostand!

 

1/8/22 …  ORDNUNG IM CHAOS … "Nun, da sich der Vorhang der Nacht von der Bühne hebt, kann das Spiel beginnen, das uns vom Drama einer Kultur berichtet." (Fanta 4) Wir sitzen ausgestattet mit einer Flasche Retsina und aus dem Hotel ungefragt geliehenen Gläsern auf einem Felsen oberhalb des Hafens einer griechischen Insel. Die Sonne hat sich bereits für den Untergang kostümiert, während unter uns ein anderes Naturspektakel aufwartet. Das Fährschiff ist bereits eingelaufen und hat die Bugklappe gesenkt. Jede Menge Fahrzeuge verlassen den Bauch des Schiffes, um sich auf dem eher kleinen Eiland, das Teil unseres Inselhoppings ist, ihr Ziel zu suchen. Währenddessen hat sich der große Parkplatz unter uns mit Fahrzeugen unterschiedlicher Art gefüllt, um für die Abfahrt in etwa einer halben Stunde bereitzustehen. Nun kommt der Auftritt des Weißen-Mützen-Mannes, der offensichtlich für die weitere Koordination zuständig ist. Neben der Offiziersmütze trägt er weiße Hose und weißes, knitterfreies Hemd, was ja immer mordsmäßig viel Eindruck macht. Seine Gesichtszüge, die bis zu uns oben deutlich zu erkennen sind, lassen keinen Zweifel auf, dass hier Kompetenz und Obrigkeit Hand in Hand gehen. Da wird nichts dem Zufall und der Schlampigkeit überlassen. Jetzt wird´s spannend und ich gieße mir das Glas noch einmal voll. Der Weiße-Mützen-Mann beginnt mit klaren Handzeichen, sowie Armbewegungen von beeindruckender Prägnanz die wartenden Fahrzeuge zu sortieren. Ordnung ist das halbe Leben. Im weiteren Verlauf entsteht so eine Bahn mit LKW´s, eine mit normalen PKWs, eine mit Motorrädern und was sonst noch so keucht und Lärm macht. Die auf diese Weise kunstvoll aufgebaute Struktur macht Eindruck und – was ja das Wichtigste ist – Sinn. Und vermutlich steckt langjähriges Wissen gepaart mit Erfahrung hinter diesem Ordnungssystem. Als Laie denke ich ja immer wieder, wie doof es sein muss, wenn links auf dem Schiff die Laster stehen und rechts die Kleinwagen; das muss ja dauerhaft zum Schiefstand führen – wie im Leben. Ich beginne also, den Ordnungsbewahrer für sein Vorgehen zu bewundern und proste ihm symbolisch zu. Und dann der große Moment, wo der Fähroffizier unmissverständlich das Signal gibt, die Schranke, die bisher die Fahrzeuge vom Schiffsmaul trennte, zu öffnen. Es beginnt ein Schauspiel von eleganter Faszination: Anstatt in der vorgesehenen Reihenfolge auf die Fähre zu fahren, starten alle Fahrzeuge gleichzeitig unter fürchterlichem Gehupe, um sich hinter der Absperrung kreuz und quer, durcheinander und gemischt, eben in vollendetem Chaos zu vereinen. Und mittendrin ein wild wedelnder und vermutlich schreiender Weiße-Mützen-Mann. Die Flasche ist leer, der Vorhang senkt sich und tief in mir drin denke ich: Das Schauspiel, dem ich beigewohnt habe, ist ein wundervolles Lehrstück für Bürokratie – all over the world. Retsina gibt auf Dauer Pfötchen, deswegen wird es Zeit für einen Absacker in der Hafenbar. Struktur ist so wichtig!

 

26/7/22 … DUALES SYSTEM AUTOBAHN … Aktuell ist es ja wieder in aller Munde: Geschwindigkeitsbegrenzungen auf deutschen Autobahnen und sonst wo. Mein lieber Krokoschinski, man hat das Gefühl, das deutsche Volk besteht aus einem Konglomerat von geknechteten und eingepferchten Lebewesen, die sich als geschändetes Schlachtvieh in Großmastbetrieben wähnen. Nur dass ihnen normalerweise geschändetes Schlachtvieh am Arsch vorbei geht. Von DDR 2.0 ist die Rede, von Diktatur und Freiheitsberaubung. Man hat das Gefühl, für so einen richtigen Autofetischisten ist das langsamere Fahren schlimmer, als wenn die eigene Mutter exekutiert würde. Spannend bei der Sache ist, dass ich als libertär denkender Mensch, der sehr empfindlich auf Freiheitsbegrenzungen reagiert, gar nicht auf die Idee käme, dass 120 Km/h auf Autobahnen eine Reglementierung darstellt. Da ich viel in Europa unterwegs war und bin, habe ich das langsamere Dahingleiten auf Autostraßen durch Tempovorgaben genießen gelernt. Hey, da nähert sich langsam von hinten ein Porsche und Porsche-Fahrer fahren ja normalerweise nicht, sondern „porschen“, und man kann sogar für einen Moment sehen, dass der Fahrer auf dem rosa-weiß gestreiftem Hemd neben dem Schlips mit Kaffee gekleckert hat. Alles ist gechillter und weniger gehetzt. All das Lichtgehupe, Drängeln, Rechtsüberholen, Beschimpfen, Stinkefinger-Gezeige, Gebolze, Motorgebrülle und Gerammel hat plötzlich ein Ende und über allen Zipfeln…ääähm Gipfeln ist Ruh. Apropos Zipfel: Ohne mich psychoanalytisch zu sehr aus dem Fenster zu lehnen, werde ich das Gefühl nicht los, dass dieses Gebrake und Gebrettere eine Art Kompensation für chronisches Untervögeltsein darstellt und der Triebstau durch gewagte Überholmanöver ausgeglichen wird. Ist jetzt nur mal so in die Tüte gedacht! Geschwindigkeitsbegrenzung bedeutet für mich Freiheit und zwar Freiheit vor Kamikazefahrern und pathologischen Heizdullis – übrigens jeden Geschlechts!

Da ich als toleranter Typ natürlich niemanden in seinen Freiheiten eingrenzen möchte, habe ich mir nach reiflicher Überlegung eine Lösung ausgedacht: Das duale Autobahnsystem. Das Ganze ist denkbar einfach. Es gibt eine Oldschool-Autobahn mit Begrenzung auf 120 km pro Stunde. Man fährt durch schöne Landschaften, es gibt entzückende Raststätten, in denen nicht nur Sättigungsbeilagemmassaker angeboten werden, sondern gesunde Kost, Entspannungsräume, Wassertretbecken, Massagesalons und Ruhezonen. Wunderbar! Und dann gibt es ein unterirdisches Straßentunnelsystem, das man erst ab einer Geschwindigkeit von 180km/h befahren darf. Dort kann man sich die Kante geben, dass die Schwarte kracht. Und abends kommt der Abschleppdienst, die Müllabfuhr, Kranken- und Leichenwagen und kümmern sich um mögliche Desaster und Kollateralschäden auf dem Streckennetzt. Gut, etwas Verlust ist immer, aber alle wären glücklich! Nichts zu danken, ich helfe gerne!

 

24/7/22 ... LAYLA ... Es gibt ja so eine Art journalistische Sorgfaltspflicht und genau der bin ich heute nachgegangen: Ich habe mir den Partysong Layla von DJ Robin und Schürze angehört. OK, es war eher so ein Presshören.  Puuuh, das war schon ein Gang durch die musikalische Hölle, kurz vor dem paroxysmalen Ohrenbluten und eitrigem Trommelfellexzem. Ich muss auch gestehen, dass ich es nicht bis zum Schluss durchgehalten habe. Mein Fazit: Ein schönes Beispiel für einen Teil unserer tiefergelegten, infantilisierten Musikkultur in Deutschland: grottenschlechter Gesang, Text sprachlich auf Vorkindergartenniveau und ein Sound, bei dem ich mich frage: Ab wann ist Geräusch Musik? Aber hey, jedem das Seine. Schlussendlich bin ich zu folgendem Ergebnis gekommen: Layla sollte unbedingt zu später Stunde auf Partys gespielt werden. Erstens: Man weiß unmissverständlich, wann der Zeitpunkt des Partyendes erreicht ist. Zweitens: Erspäht man auf jener Party die Dame seines pulsierenden Herzens und bekommt mit, wie sie darauf steil abgeht, sollte man weitere Annäherungsversuche nebst Zukunftsplänen jäh im Keim ersticken: Weiß man, was sie zuhause noch so hört?

 

15/7/22 … LINDENBERG … Irgendwann Mitte der 70er spielte Udo Lindenberg mit seinem Panikorchester im Kolpinghaus Telgte. Keine Sau kannte damals Udo Lindenberg, außer irgendwelche Tanten von der Kirchengemeinde. Und genau die wussten, dass Go-Go-Girls auftreten würden, was wiederum meine Mutter veranlasste, mir den Konzertbesuch zu verbieten. Verrohung der Sitten nannte sich das damals. Habe trotzdem draußen gelauscht und aus gut unterrichteten Quellen hörte ich, dass an dem Abend weit und breit kein Go-Go-Girl zu sehen war.

Vorletzte Woche saß auf dem Weg nach Koblenz meine 82jährige Schwiegermutter mit im Auto und erzählte, dass sie Lindenberg super findet. Das ist so ein Verrückter, sagt sie immer, wenn ihr Musiker besonders gefallen, weswegen sie auch Iggy Pop und Alice Cooper verrückt findet. Und dann wählte ich „Cello“ auf Spotify an und wir sangen zu dritt mit: … Cello, du warst eine Göttin für mich ... dödödödödööö ... Und SchwiMa war glücklich. Wie sich die Zeiten ändern!

 

11/7/22… CHECKER… Mit einem Hund kommt man viel rum. Und wenn man viel rumkommt, kriegt man viel mit. Ich kenne jeden Park…Dümmert, Emsauen, Pappelwald, Klatenberge…da macht man mir nix vor. Zeige mir den nicht weggeräumten Hundekackhaufen und ich sag dir, wessen Hundes Dullimensch das war. Und da ich viel rumkomme, höre ich auch viel. So wie neulich am Pavillon, wo sich die Checker treffen. Ein Checkerpoint, sozusagen. In diesem Fall waren es eineinhalb Checker (einer war nur'n Halbchecker) und zwei blassgesichtige Mädels, wovon eine an den Nägeln kaute, während die andere ihre Lippen dauerverLABELLOisierte. Für Checker sind Zuhörer unabdinglich. Der Oberchecker, der auch in einer Walt-Disney-Produktion hätte mitspielen können, lief in Funktionsunterwäsche im Tarnlook rum. Manche nennen es auch Jogginganzug. Mein Hund inhalierte gerade die Pinkelecke am Busch dahinter, als ich mitbekam, wie der Oberchecker sagte: Münster ist voll die Pussy- Stadt. Dabei zog er an seiner Selbstgedrehten und kniff ein Auge zu. Die Sache mit dem Auge kenne ich von Charles Bronson, hab sie aber nie verstanden. Voll die Pussy-Stadt, wiederholte er. (Ich dachte immer, Münster wäre ne Beamtenstadt?) Eine Bleichgesichtige nickte und kaute am Nagel. Mein Hund begann mit den Vorbereitungen fürs Haufenlegen. Aber Köln, so der Real-Checker, ist cooler. Ich sag dir, Digga, voll cool. Jetzt nickte auch die mit den Labellolippen. Aber Berlin, setzte der mit der langen Nahkampfunterhose nach, da müsst ihr hin. Voll der Burner, sach ich euch. Warste da schon, wollte der Halb-Checker wissen. Er trug ebenfalls am lebendigen Leib eine Jogging-Hose, deren letztes Waschdatum unbestimmbar war; was die für Geschichten erzählen konnte. Der Typ mit dem Durchblick kniff wieder ein Auge zu und antwortete: Ne, aber'n Kumpel war dort. Alle nickten beeindruckt. Und wo ihr unbedingt hin müsst, Alta, is Amsterdam. Da war mein Kumpel auch. Das ist ja noch weiter wech als Berlin, nuschelte die Nagelkauerin. Mein Hund hatte sich inzwischen erleichtert und ich kümmerte mich um die Plastinierung der Erleichterung. Da hörte ich den Oberchecker sagen: Wenn dir was echt wichtig ist, Digga, dann fährste auch nach Amsterdam. Ihr müsst einfach mal aus der verfickten Stadt hier raus. Ich warf meinen Stinkbeutel in den Mülleimer. Und ich sag noch, dachte ich bei mir, man muss nur rumkommen.

 

7/7/22…GERÄUSCHE… Ich hielt inne unter dem Fenster eines Nachbarhauses. Und auch mein Hund spitzte irritiert seine Pommestütenohren. Die Geräusche, die da aus dem Inneren des Zimmers im 1. Stockwerk zu mir auf die Straße drangen, waren befremdlich, ja vielleicht sogar besorgniserregend. Ok, dieses "Uuuuh aaaah, jaaaaaa" kannte ich und wusste: Die haben Spaß. Und auch das "Aaarg - neeeee… faaaaak" ließ sich zumeist zuordnen, vor allem dann, wenn irgendein Fußball-Länderspiel übertragen wurde oder der Welpe auf den Teppich gepieselt hat. Doch das kehlige, eher gebrüllt, mal gestöhnte Geräusch dort oben klang anders. Etwa so: Grrrrrsssing…Haaaaaa…uumpf…. Toroooo….Huutuuu… Neiiiii….Brfffft. Usw. Ich weiß, es gibt schlimme Krankheiten, bei denen die Patienten Stammellaute von sich geben. Sollte ich etwa den Notdienst benachrichtigen? Dann löste sich das Rätsel. Das Fenster öffnete sich kurz, ein bleichgesichtiger Jungspund mit Headset trat luftschnappend an selbiges, murmelte "graampf" ins Mikro und setzte sich dann wieder vor sein Computerspiel, das sich im Fenster spiegelte. Das war "nerdisch" , dachte ich und der Sauerstoff wurde sicherlich knapp. Umpf!

 

29/6/22…KLAPPTISCH… Feierabend. Ich habe glänzende Laune. So ein bisschen auf dem Niveau: Habe heute einen Clown gefrühstückt. Ich mache einen Abstecher nach Münster in den Möbelladen meines Vertrauens. Neben mir an der Kasse ein altersloses Ehepaar, Marke Münsteraner Bildungsbürger in Mephistoschuhen. Ich weiß, das heißt gar nix. Er zur Verkäuferin: "Ich möchte meiner Frau diesen Klapptisch kaufen." Bei ihm hörte sich das an, als hätte er den Satz soeben aus dem Altgriechischen übersetzt. Ich wittere meine Gute-Laune-Chance und Wortspielmorgenluft. Also drehe ich mich süffisant zur Seite und sage: "Na, dann klappt's ja bald wieder zu Hause." Scheiße, denke ich, als ich seine entgleisten, unamüsierten Blicke sehe: Warum kannst du manchmal nicht einfach deine Klappe halten!!

 

23/6/22 … AUTOLIEBE … Natürlich liebe ich Autos! Ich meine, wo kämen wir hin, wenn wir keine Autos hätten? Mal abgesehen davon, dass es ästhetisch possierliche Gegenstände sind, bringen sie einen von A nach B und das mit den schönsten Annehmlichkeiten wie Sitzheizung, Bordcomputer und Abstellvorrichtung für Kaffeebecher. Die überwiegende Zeit mutiert das Fahrzeug zwar zum Stehzeug, aber – welch treue Seele: Es wartet auf uns. Wo hat man das sonst im Leben? Und es ist ja schon fast meditativ, die Herzenskisten freitags in der Waschanalage unseres Vertrauens vom Alltagsstaub zu befreien und den kleinen oder großen Rackern eine Politur zukommen zu lassen. Ja gut, nicht bei jedem Fahrzeug hat es mit dem Design gut hingehauen; ich finde, dass manche PKWs aussehen, wie zu groß geratene Turnschuhe oder Gürteltiere mit Hüftschaden. Dagegen sind manche Schlitten natürlich phallische Schönheiten, anmutig wie eine Diva oder bullig wie ein brunftiger Stier. Ok, mir will bis heute nicht einleuchten, warum Leute Autos fahren müssen, die bequem ein Kreuzfahrtschiff vom Trockendock ziehen könnten, aber – hey – jedem das Seine! Ich meine, wenn man sonst nix im Leben hat, möchte man sich ja wenigstens über so einen Boliden unterm Hintern definieren. Nichts lässt den Nachbarn mehr vor Neid erblassen, als acht Auspuffe unterm Autoheck und fünfhundert PS unter der Haube.

Nun kann das Auto ja nichts für seine Fahrer und genau bei denen hört meine Autoliebe dann doch auf. Die deutschen Straßen - und nicht nur die - sind übersäht mit Knalltüten, Lackaffen und Vollpfosten. Genauso eine Mischung aus Knalltüte, Lackaffe und Vollpfosten parkte neulich seinen blitzblankpolierten Mercedes Cabrio mit beigen Ledersitzen vor unserem Haus. Ich war gerade damit beschäftigt, unser Wohnmobil zu „enturlauben“, als dieser sonnenbebrillte Schnösel auftauchte. Nicht jedem Mann ist es beintechnisch gegeben, sommertags kurze Hosen und dazu Lederschühchen zu tragen. Aber Schwamm drüber: viel schlimmer war sein Bratzengesicht und seine Arroganz. Mein freundlicher Gruß blieb unbeantwortet und auch seine Frau, die vor lauter Gesichtstakelage schon mimisch erstarrt war, würdigte mich keines Blickes. Arschgeigen! Übrigens schien sich das Erstarrte auch auf ihre Beziehung übertragen zu haben; da besitzt jede Parkuhr mehr Liebenswürdigkeit. Ich sollte erwähnen: Zur allgemeinen Begutachtung durch die Passanten stand der Mercedes nach dem Fortgehen der Insassen offen, wie es sich für ein Cabrio gebührt. Sei´s drum, jedenfalls parkte der Wagen unter dem dicken Laubbaum, in dem normalerweise auch Gertrud zuhause ist. Gertrud ist unsere Straßentaube, die hin und wieder zusammen mit Kumpels ein Wettscheißen auf parkende Autos veranstaltet. Ich blickte nach oben ins Geäst und hielt Ausschau nach dem grauen Vogel. Kurz musste ich an den Heiligen Franziskus denken, der ja vermeintlich mit Tieren sprechen konnte. Und so rief auch ich nach der Taube und ich schwöre Stein und Bein: Es dauerte keine zwei Minuten, da schwebte das Flügeltier ein, setzte sich auf ihren Lieblingsast direkt über das Cabrio und machte zunächst gar nichts. Gertrud, rief ich, warum musst du immer nur auf mein Auto kacken? Die Taube blickte stumm auf mich herab, als würde sie über meine Frage sinnieren. Ich glaube, Tauben sind jetzt nicht die Cleversten! Und dann – heiliger Himmel – wurde meine Bitte erhört und das erste Frrrrrt landete zielsicher auf der Kühlerhaube. Und da Gertrud wohl rote Beeren gefrühstückt hatte, ergab das Gekleckere interessante Farbnuancen auf dem spiegelnden Schwarz des Flitzers. Wie ich Gertrud kannte, hatte sie mehr auf Lager und so hörte ich immer wieder während meiner Tätigkeit dieses gefällige Frrrrt und dann Platsch, wobei ein Schiss eine sehr interessante Landungsposition oben auf dem Vorderscheibenbügel einnahm, so dass auch das ledereingefasste Lenkrad farblich umdekoriert wurde. Beinah franziskusmäßig legte sich ein gütiges Lächeln auf meinen Mund und tief in mir drin dachte ich: Bei allem Strunzdämlichen, was uns die Menschheit aktuell präsentiert - es gibt es doch noch: Das Gute …. im Tier!

 

4/6/22 … CHUCKY AM MORGEN … Wir waren die ersten in der Hunde-Lounge - saudämliches Wort - des Fährschiffs von Bornholm nach Sassnitz. Es war 7:50 Uhr morgens und wir ergatterten mit unserem Junghund den besten Platz mit Blick auf die heute unruhige Ostsee. Trotz der unchristlichen Zeit waren wir bester Stimmung und zelebrierten unser nachgeholtes Frühstück. Die ersten Passagiere - mit und ohne Hund - betraten die Szenerie des jungfräulichen Morgens. Das rührige Rentnerpaar - sie putzte ihm gleich zu Beginn zwecks besserer Klarsicht trotz heftiger Proteste "Hertha, nun lass es doch" die Brille. Die beiden gut situierten Damen, die in den nächsten drei Stunden Jahrzehnte an Bornholmbesuchen Revue passieren ließen. Das freundliche Paar, das sich zu zweit in das Sudokuheft vertiefte - sie linke, er rechte Seite des Hefts. Die sympathisch wirkende Kleingruppe mit zwei offenbar fährschifferfahrenen Hunden und die beiden alten Frauen, die immer wieder von ihrer Reisegruppenbetreuerin mit Informationen z.B. über die Sozialisation von Busfahrern versorgt wurden. Und nicht zu vergessen: die junge Mutter im fluddrigen Landhauslook mit dem Ganzkörperlächeln, das sie 1 zu 1 auf ihre drei Töchter übertragen hatte. Doch dann wurde es dunkel im Saal und ein unsichtbarer, aber spürbarer Nebel des Grauens legte sich über alles Lebendige des bisher so stimmigen Tagesanfangs. Eisige Kälte wehte durch die Tischreihen und sogar der selbst mitgebrachte heiße Kaffee in den für teuer Geld erstandenen Pappbechern fröstelte plötzlich vor sich hin. Eine Jugendliche, ich schätze sie auf 15something, hatte die Lounge betreten. Ihre missmutig dreinschauenden Augen bildeten zusammen mit ihrer Sidecutfrisur und den bratzig nach unten gezogenen Mundwinkeln den für die Kreuzigungsszene der Oberammergauer Passionsspiele passenden Endzeitstimmungsgesichtsausdruck. Vermutlich trug sie ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Fuck the whole world". Jede Pore ihres Selbst drückte das Statement "ihr verdammten Erwachsenenarschlöcher könnt nicht von mir erwarten, dass ich schon um 10 nach 8 frühstmorgens mit einem Lächeln durch eure verfickte Welt laufe" aus, wozu durch ihre Bluetooth-Kopfhörer sicherlich der Soundtrack zur Apokalypse Now in RAP-moll bollerte. Zu allem Überfluss pflanze sie sich rotzig-genervt mir gegenüber in die Polster, um hier das Leiden Christi für den Rest der Überfahrt in Szene setzen zu wollen. Sogar unser Hund winselte leise unter dem Tisch. Ich hatte Urlaub und war nicht gewillt, mir schon vor Arbeitsantritt die Zeit durch pubertäre Interaktionsdesaster versauen zu lassen. Also tat ich das, was ich in diesem Moment für das einzig richtige hielt und ich betone, dass es mir nicht leicht über die Lippen ging, aber ich lächelte sie an. Einfach so! Entsetzen in ihren kajalverkrusteten Blicken, ihre Mundwinkel und der Rest ihres Artikulierungsorgans signalisierte: Glotz mich nicht so an, du dahinsiechender Dattergreis. Und dann stand sie auf und schlürfte in Richtung Ruheraum. Der Rest der Schifffahrt gestaltete sich wie gewohnt…"luschtig" und die schon im Vorfeld geschmierten Brötchen mundeten köstlich.

 

20/5/22 … GROWLING BEI EDEKA … Donnerstag war Einkaufstag! Also schlenderte ich innerlich frohlockend in den Supermarkt meines Vertrauens und schob meinen Einkaufswagen von der Bioabteilung, über Obst und Gemüse langsam zum Kühlregal. Spätestens hier erwischte es mich kalt. Bis dato war ich noch bester Laune, da ich tatsächlich gerne einkaufe, aber who the fuck braucht „Liege wieder wach“ von Jamule als Beschallung, was so klingt, als hätte jemand aufgeweichte Tütensuppe ins Mischpult gekippt. Oder Whitney, ich werd dir was Houston mit „I Wanna Dance With Somebody“ – wollen die jetzt, dass ich mit einem freudestrahlenden RAMA-Lächeln durch die Gänge tänzele oder was? Au Weia, und dann auch noch „Ohne Dich schlaf ich heut nicht ein“ von Münchner Freiheit. Da wird einem ja das Gurkenglas beim in-den- Wagen-Stellen schon ranzig. Nein - sorry, ich kann auch mit Ed Sheeran rein gar nix anfangen und auch dieser ganze deutsche Einbauküchenpop a la Philipp Poisel, Johannes Oerding oder Wincent Weiss ist für mich keine Sinnesfreude. Aber gut, dass es keiner gesehen hat, ich erwische mich kurzzeitig dabei, beim leeren Ölregal zu „Bad Habits“ mitzupfeifen. Ist das hier musikalische Infiltration? Steckt dahinter eine tiefe Macht, die mich hörtechnisch verschmalzen will? Sicherlich, um da mal ganz vorurteilslos dranzugehen, hat die Mitvierzigerin mit den lässig-löchrigen Jeans und dem Strassapplikations-T-Shirt Spaß an Max Giesinger und auch der glattrasierte Schreibtischtyp mit dem obligatorischen rosa-weiß gestreiften Slim-Fit-Hemd bekommt vermutlich bei Katy Perry nicht nur schwitzige Hände, aber mich nervt dieses glibbrige Gegnautsche aus den Boxen. Und da kam mir eine Idee. Jeder, der einen Laden betritt, darf vorne an der automatischen Einlassschranke seine persönliche EDEKA-Musikwunschkarte einführen und bei genügend langer Einkaufszeit dann eben die Musik seiner Wahl hören. Immer schön der Reihe nach! Ok, ich müsste dann vielleicht auch Felix Mendelssohn Bartholdy, Richard, den Claydermann oder gar Helene „Seifenspender“ Fischer ertragen, dafür bekäme ich aber auch feinen Death- oder Prog-Metal auf die Ohren. Ich sehe mich schon, wie ich headbangend zu Gojira oder Machine Head durch die Gänge moshe und mit Hafermilch und Sojajoghurt jongliere. Weg mit dem Discounter-Einheitsbrei und gleiches Supermarktbeschallungsrecht für alle.

 

6/5/22 … SMELLS LIKE WUNDFLÜSSIGKEIT … Es ist überaus faszinierend, wie sich Musikstücke mit bestimmten Sinneseindrücken vermischen und sogar Jahrzehnte später beim Hören eines Songs Gerüche, Geschmäcker oder Körperempfindungen wachrufen können. Eine Bekannte erzählte mir mal, dass während ihrer sehr schwer verlaufenden Schwangerschaft immer wieder das Lied „Verdamp lang her“ von BAP lief. Noch heute würde ihr schlecht, wenn der Song mal im Radio gespielt würde, obschon sie ihn eigentlich gemocht hatte. Bei mir selbst sind das zunächst eher positive Erinnerungen. Gestern hörte ich seit Jahren mal wieder „A Whiter Shade Of Pale“, allerdings in der Version von Gov't Mule. Und – zack – da war er, der Duft nach Apfelshampoo, wonach meine erste Freundin in den Mittesiebzigern immer roch. Oder bei „Tattoo'd Lady“ von Rory Gallagher habe ich noch heute den Geschmack von billigem Whisky mit Cola auf der Zunge, den wir stets bei einem Kumpel im umgebauten Hühnerstall gesoffen haben. Bei „Paranoid“ von Black Sabbath muss ich an den rauchverhangenen Partykeller meiner Nachbarin denken, dessen Wände mit den Bildern vom Pink-Floyd-Plattencover „The Dark Side Of The Moon“ bemalt waren. Montag war ich beim Zahnchirurgen, um die Wurzeln eines entzündeten Zahns kappen zu lassen. Während ich unter dem Abdecktuch im OP lag, dudelte aus dem Radio „Crazy“ von Aerosmith. Gut, ich mochte den Song vorher schon nicht, doch ab Montag ist das verbrannte Erde. It smells like Wundflüssigkeit!

 

29/4/22 … HUND & MENSCH … Es gibt Sprüche, die sind selbst für Teebeuteletiketten zu doof. Gestern beim Einkaufen hörte ich einen dieser Sprüche. „Spaß muss sein“, sagte eine Mittfünfzigerin, „wer nicht lacht, kommt auf den Hund.“ Danach folgte prompt das röchelnde Raucherhustenlachen, bei dem man immer befürchten muss, von herumfliegenden Lungenpartikeln getroffen zu werden. Leider war es mir bis heute nicht möglich, die ursprüngliche Bedeutung dieses Satzes zu eruieren.  Aber vermutlich will uns dieser Spruch sagen, dass die Anschaffung eines Hundes bei Menschen, deren Mundwinkel in pazifischer Marianengrabentiefe baumeln, für eine kolossale Aufheiterung sorgt. Mal abgesehen davon, dass Spaß nicht sein MUSS, sondern KANN,  ist das mit dem Zusammenhang zwischen Hund und menschlichen Frohsinn so eine Sache für sich. Seit Anfang des Jahres haben wir in unserem menschlichen Kleinrudel einen jungen Hund aufgenommen. Nun waren wir schon vorher keine Kinder der Traurigkeit, aber seitdem der inzwischen halbstarke Vierbeiner unser Leben aufmischt, liegt der Glückshormonspiegel um Längen höher. Doch ist das bei allen so? Das Zusammenleben mit einem Hund führte vor allem bei mir dazu, meine zunehmend zu beobachtende Zurückgezogenheit und Menschenflucht aufzugeben und sich wieder unter Leute zu mischen, was in diesem Fall vor allem Hundebesitzer sind. Und da macht man natürlich so seine Beobachtungen. Da gibt es die wohlgestimmten Zeitgenossen, die einem schon von weitem ihr Ganzkörperlächeln entgegenstrahlen, was sich in der Regel auch auf den Hund auswirkt. Hunde von Positivisten sind meistens verspielt, neugierig und absolut unaggressiv. Dann gibt es die zwar netten Zeitgenossen, denen aber die tierischen Freunde entweder über den Kopf gewachsen sind oder die ihre eigene Angst und Hilflosigkeit im Zusammenleben mit Hunden mit sich spazieren führen: Ich gehe besser weiter, mein Hund hat immer so viel Angst … und dann sieht man sie vom Hund fortgezerrt am Gassihighwayhorizont verschwinden. So und nun komme ich zum bitteren Ende. Es gibt nämlich noch – mal abgesehen von ein paar Zwischentypen - die Spezies Menschen, bei der launentechnisch Hopfen und Hund verloren sind. Begegnet man ihnen, erinnern solche Typen – männliche, wie weibliche – immer an Klaus Kinski in seinen fiesesten Rollen. „Gehen sie mit ihrem Tier weg: Mein Hund soll nicht spielen!“ donnern sie einen mit finsterer Miene an und dann folgt zumeist irgendein harsches Hundekommando a la „Hasso folg“ oder so, womit sie ihre Rolle als Oberhundeleutnant und Tiertotalversteher zum unvermissverständlichen Ausdruck bringen wollen. Die dazugehörigen Hunde sind zumeist Persönlichkeitsverlängerungen ihrer Menschen und verfügen über putineske Wesensstörungen. Will heißen: Sie beißen! Ein glücklicher Hund sieht anders aus. Bei solchen Stimmungskabachen hilft also auch kein Hund mehr; die lachen höchsten bei Atze Schröder oder Kriegsberichten in der Tagesschau. Was lernen wir daraus? Zeig mir deinen Menschen und ich sag dir, welcher Hund du bist.

 

4/4/22 … MEIN LÄCHELKONZEPT … Wir Menschen verfügen ja über ein ganzes Regal voller innerer Landkarten, die man auch Konzepte oder wahlweise Konstrukte nennt. Da gibt es das „wie-verhalte-ich-mich-beim-Betreten-einer-Bäckerei-Konzept“ (bei vielen schon nicht mehr existent), das „wie-steuer-ich-meine-Impulskontrolle-Konzept“ oder das „welches-innere-Bild-habe-ich-von-meinem-Körper-Konzept“. Das letzte Konzept, auch Körperkonzept genannt, wurde bei mir die letzten Jahrzehnte leider nicht mehr upgedatet, so dass meine innere Körperlandkarte immer noch imaginiert, ich würde 20kg weniger wiegen und hätte die Kraft der zwei Herzen – also in etwa auf dem Stand als Vierzigjähriger. Denkste Puppe, wenn ich morgens in den Spiegel schaue, bin ich oft froh, dass auch meine Sehkraft nachgelassen hat. Doch was mich schon längere Zeit nachdenklich macht, ist mein ureigenes Lächelkonzept. Meine innere Lächellandkarte krückt mir vor, ich würde wie Terence Hill in seinen besten Jahren in die Welt strahlen, doch irgendwann, als ich ein Foto von mir im weltweiten Fressenbuch veröffentlichte, kommentierte das eine alte Bekannte mit „warum guckst du eigentlich immer so miesgelaunt?“ Ich miesgelaunt?? Ich führte mehrere Experimente durch. So sprang ich beispielsweise abrupt vor irgendeinen Spiegel und betrachtete mein Gesicht. Oder ich schaute beim Autofahren in den Rückspiegel. Tja, was soll ich sagen … die Bekannte schien recht zu haben, denn tatsächlich hatten meine Gesichtszüge etwas von Putin, nachdem er von seiner Impotenz erfahren hatte. Meine Mundwinkel waren sogar anatomisch von Terence Hill zu Bud Spencer mutiert. Heilige Scheiße, was war los mit mir? Nun stieß ich neulich durch puren Zufall auf ein Video von Boris Lukács, ein Esoteriker mit Heilsengelgesamtkörperlächeln. Der Boris weiß wie´s geht: Man muss Heilung aus dem Inneren erfahren, man muss sich mit der göttlichen Führung verbunden fühlen und – ganz wichtig – das Ich-Bin-Bewusstsein in sich spüren. Ich saß vor dem Video wie ein hypnotisiertes Kaninchen und konnte nicht glauben, wieviel gequirlter Schwachsinn zu Erfolg führen kann. Ich schaute wieder in den Spiegel, machte ein paar Grimassen und hatte eine Erleuchtung: Ich sollte mal wieder alte Cowboy-Filme schauen. Ich stellte mir vor, wie ich mitten über die Hauptstraße meines Wohnorts mit schwarzer Schlaghose, einem großen schwarzen Hut, Lederjacke, abgelatschten Stiefeln und einer Mordswumme im Anschlag nach Hause laufe und den kompletten Verkehr blockiere. So kann ich sicher sein, dass auch noch andere um mich herum garstig gucken. Und wenn dann die Bullerei mit dem Sheriffstern ins Spiel kommt, werde ich sagen: Gringo, geh mir aus der Sonne; ich bin nicht zum Vergnügen hier. Denn auch das wurde mir beim Betrachten von Grinse-Boris bewusst: In mir singen die Stimmen aufgestiegener Geister zu der Melodie von „Spiel mir das Lied vom Tod!“ Ich bin die Inkarnation aller Griesgrame! Und das ist – verdammt – kein Spaß!

 

10/4/22 … SPÄTE EINSICHTEN … Vor ein paar Monaten fand ich das Buch „Mephisto“ von Klaus Mann in einem öffentlichen Bücherregal. Irgendetwas reizte mich, dieses Buch ein zweites Mal zu lesen; vielleicht, um es besser zu verstehen. Jedes Mal, wenn ich nun in den sozialen Netzwerken Kommentare von AfD-Anhängern oder Politikern bzw. anderen Rechtsnationalisten lese, die versuchen, ihre Ideologie als demokratisch zu verkaufen, muss ich an Hans Miklas denken. In dem Roman ist Miklas ein eher kleiner Schauspieler an den Hamburger Kammerspielen und ein Verfechter des aufblühenden Nationalsozialismus. Der Tag wird kommen, hört man ihn oft drohend sagen und ähnliche Drohungen liest man immer wieder in rechtsdrehenden Kommentaren. Miklas wird nicht sehr ernst genommen: „…es laufen ja heute Millionen herum wie dieser Miklas. Bei denen gibt es vor allem einen Hass…, so seine Schauspielerkollegen. Doch nachdem die NS-Zeit ihre hässliche Fratze gezeigt hat, äußert sich Miklas mehr als kritisch: „Es ist alles Scheiße … Wir sind betrogen worden“, sagte er. „Der Führer wollte die Macht, sonst gar nichts. Was hat sich denn in Deutschland verbessert, seitdem er sie hat? Die reichen Leute sind nur noch ärger geworden. Jetzt reden sie patriotischen Quatsch, während sie ihre Geschäfte machen – das ist der einzige Unterschied. Die Intriganten sind immer noch obenauf … Den Bonzen aber – denen geht es besser als je. Schaut euch den Dicken (gemeint war Hermann Goering) an, wie der herumfährt in seinen goldenen Uniformen und in seiner Luxuslimousine! Und der Führer selber ist auch nicht besser – das haben wir jetzt erfahren! Könnte er denn sonst all das dulden? Die furchtbar vielen Ungerechtigkeiten? … Unsereiner hat für die Bewegung gekämpft, als sie noch gar nichts war, und jetzt will man uns links liegen lassen...“ Mephisto wurde 1936 veröffentlicht. Und ist immer noch topaktuell – hüben wie drüben! Leider haben Einsichten immer einen gewaltigen Haken: Sie erfolgen häufig zu spät!

 

28/3/22 … INNERE EMIGRATION … Ich schaute bei schönstem Sonnenschein auf die weißblühende Schlehe, die sich später als wilde Sauerkirsche entpuppte. Geklärt sind die botanischen Zweifel nicht, aber es hätte notfalls auch eine friesische Schneepappel sein können. Jedenfalls war es ein unzweifelhaft besonderer Moment und da ich in den seltensten Fällen auch gedanklich schwerelos irgendwo sitzen kann, früchtelte es nicht nur an den Zweigen in meinem Blickfeld, sondern auch in meinem Bewusstsein. Ich kann nicht verneinen, dass auch das Unbewusste seine Finger im Spiel hatte. Eigentlich lag ein Buch auf meinen Knien, das ich zu lesen begonnen hatte, aber unpassender zur Betrachtung eines Naturphänomens nicht hätte sein können: „Bewußtseins-Industrie“ von Hans Magnus Enzensberger. Im Grunde ein erbauendes Buch, aber nicht, wenn die erste erwärmende Frühlingssonne auf der verwinterten Gesichtshaut brutzelt, in der Ferne die Bucht des Klützer Winkels im Licht des Endmärz blinzelt und unser Hund glücklich zu meinen Füßen liegt und um die Wette wittert. Bewusstseins-Industrie wäre vielleicht besser für verregnete Matschjanuartage geeignet, wenn die Laune eh auf Revolution und Widerstand gebürstet ist. Übrigens versteht Enzensberger unter diesem Ausdruck die bewusste und zielgerichtete Manipulation der Verhaltensweisen und Einstellungen der Massen in demokratischen Gesellschaften, um unsere Meinungen, unseren Geschmack, unsere Gedanken zu beeinflussen und zu formen. Das Buch stammt aus dem Jahr 1963, der Inhalt ist aktueller denn je. Doch beim Betrachten der Sauerschlehenschneekirsche dachte ich tief in mir drin, ob mich diese ganze Beeinflussung und Infiltration überhaupt noch erreicht oder an der Abfahrt „Bewusstsein“ weitergedüst ist. Der Autor meint ja, Bewusstsein sei immer ein gesellschaftliches Produkt und somit gar nicht erst möglich, ein privates Bewusstsein zu entwickeln. Ich konzentriere mich mit meinem kompletten Bewusstsein auf die florale Farbexplosion und denke: Bewusstseins-Industrie, du kannst mich mal. Unser Leben als Alleinunterhalter, Programmmanager und Kulturdezernenten in unserer Zwei-Personen-Kommune-plus-Hund bedarf keiner Infiltrationen von außen. Wir genügen theoretisch und praktisch uns selbst. Im Kleingedruckten entdeckte ich bei Enzensberger den Begriff „Innere Emigration“. Einer dieser Begriffe, bei dem ich es schade finde, dass ich ihn nicht erfunden habe. Wir sind längst emigriert, jedenfalls innerlich und die Wildkirsche ist mir gerade Bewusstsein genug.

 

24/3/22 … GUTER MORGEN … Eine Freistunde vom Arbeitszeitkonto (blöde Erfindung) abgeknapst … Morgensonnenstrahlen geblinzelt, kalte Hundenasen im Gesicht genossen, Hundefell inhaliert, Vögel gefüttert, das schönste Bio-Ciabatta-Augenlächeln der Bäckereiverkäuferin auf dem Wochenmarkt aufgesogen und meine Impulskontrolle im Umgang mit neurotischen Hundebesitzern gedrosselt … die elementaren Dinge des Lebens eben … werde mir das täglich Unerträgliche allmählich abgewöhnen!

 

16/3/22 … RENTENCHINESISCH … Ich habe "Die Psychologie der persönlichen Konstrukte" von George A. Kelly verschlungen, habe mich durch "Wider den Methodenzwang" von Paul Feyerabend gelangweilt, habe "Die Philosophie und das Ereignis" von Alain Badiou gelesen und habe alles weitgehend verstanden. Aber who the fuck hat die Informationen zur deutschen Rentenversicherung verfasst? Ich verstehe lediglich Bahnhof und das auch nur bis zur Unterführung!

 

11/3/22 … FAKE DICH INS KNIE … Als Anfang 2020 die Covid-Pandemie ausgerufen wurde, befanden wir uns grade in der Schweiz. Besorgt verfolgten wir die Nachrichten, die wir über unseren „Weltempfänger“ sahen und hörten. Doch … was von diesen Informationen war richtig, was halb richtig und was gequirlter Unsinn? Da sowohl mein Vertrauen in jegliche Regierung nur in homöopathischen Dosen existiert und auch das Gesundheitssystem, in dem ich seit meinem 18. Lebensjahr mit unterschiedlichen Berufen tätig bin, zum Teil nicht unbedingt ein verlässlicher Garant für Wahrheitstreue ist, kam ich ins Schleudern. Als Verfechter des Selbstdenkens setzte ich meinen kognitiven Entscheidungsapparat in Gang: Wie ist mein Gefühl zu den Infos? Wie stehen sie im Vergleich zu anderen Aussagen? Wie passen bestimmte Aspekte zu meinem eigenen Wissen? Würde ich, wäre ich Autor eines Fachartikels oder eines Videos, selbst dahinter stehen können und wäre das, was ich da veröffentliche, von anderen replizierbar? Usw. Und dann erhielt ich die ersten Gegenmeinungen über facebook oder whatsapp geschickt.“ Freunde“, die ich eigentlich für verlässlich hielt, schickten Videos von Analog- und Voll-Medizinern (z.B. Wolfgang Wodarg), die sich gegen die Notwendigkeit von Masken oder Impfungen aussprachen, die Existenz einer Pandemie infrage stellten oder sich gar lächerlich darüber machten. Zweifel tauchten auf, denn hier begegneten mir gleich zwei Faktoren, die oft genug verantwortlich sind, die Gültigkeit einer Aussage als richtig zu unterstreichen: a) die Absender waren durchaus kritische, zudem nette Personen und b) in den Videos sprachen Ärzte mit einem Titel und Titel gehen uns Deutschen ja runter wie Sahnetörtchen mit Puderzuckerbelag. Doch dann stieg ich tiefer in die Videobotschaften ein, die in der Regel mit triefendem „Ich-sag-die-Wahrheit-und-nichts-als-die-Wahrheit-Blick“ vorgetragen wurden. Schon bald fiel mir auf, dass es unter den Followern auffällig viele Menschen gab, die – verfolgte man ihren Posts z.B. auf facebook - sehr krude Meinungen, auch politischer Art veröffentlichten. Plötzlich tauchten die ersten Verschwörungsschwurbler auf, rechtsdrehende Zeitgenossen (oder heißt das dann Kameraden?), sowie Hurra rufende „ich-habe-keine-eigene-Meinung,-sondern-überlasse-das-Denken-ungeprüft-anderen-Kommentierer. Manche Aussage klangen wie: „Alle Zimmerpflanzen sind blau. Wenn du das nicht glaubst, kannst du mal sehen, welchen Infiltrationen du schon unterworfen bist. Werde mal wach, Alter!“ Nun kann ich ja in einem Video durchaus kundtun, dass Zimmerpflanzen blau sind, aber in einer wissenschaftlichen Zeitung für Botanik würde meine Veröffentlichung über dieses Thema Probleme hervorrufen, da es ein sogenanntes Peer-Review-System gibt. Das bedeutet: Meine Blaue-Zimmerpflanzen-These würde von unabhängigen Gutachtern detailliert geprüft und achtkantig aus der Zulassung für eine Veröffentlichung rausfliegen. Aktuell las ich im Deutschen Ärzteblatt für Psychologische Psychotherapeuten … (usw.) unter dem Titel „Fake News in Fachzeitschriften“, dass es seit Beginn der Coronapandemie zu einem exponentiellen Anstieg von Rückrufen kam, da die „…Arbeiten auf falsch gemessenen, fehlinterpretierten oder sogar manipulierten, schlimmstenfalls erfundenen Daten“ basierten. Übrigens waren diese Fake-Artikel von Ärzten mit Titeln verfasst! Es freute mich, dass es letztendlich doch verlässliche Filtermechanismen gibt, um Blödsinn zu enttarnen. Doch was mich am Ende doch zur Verzweiflung brachte: Obschon allgemein bekannt war bzw. wurde, dass es sich um gequirlten Unsinn handelte, wurde die Nachricht hunderttausendfach geteilt und geliked. Das erinnert mich immer an ein derbes Zitat aus meiner Jugend bei den Pfadfindern, das ein Kollege nach der Rückkehr vom Naturklo = Donnerbalken. trocken formulierte: „Leute … esst Scheiße…denn tausend Fliegen können sich nicht irren!“

 

28/2/22 … KRIEGSSPIELE … Großgeworden in einer katholischen Familie, ich ergänze: stockkatholischen Familie, bläute man mir ein, dass das Töten gegen die 10 Gebote verstoße. Man nahm das mehr als genau, weswegen ich das auf der Kirmes beim Dosenwerfen erworbene Plastikgewehr gegen Seifenblasen eintauschen musste. Da beim Schießen eh nur ein bescheuerter Korken vorne rausplöppte, konnte ich den Verlust verschmerzen. In Jugendjahren war ich Mitglied bei den Pfadfindern. Bei einem Schützenfest trugen die älteren Jungs beim Gang zum Schützenplatz ein Holzgewehr auf dem Rücken; ein paar Freunde und ich besorgten uns ausgediente Schrubber und liefen damit im kopfschüttelnden Pulk mit: Wir fanden Waffen scheiße! Als ich allerdings meinen Eltern eröffnete, den Kriegsdienst verweigern zu wollen, musste ich mir blödsinnige Argumente wie wahrhaftes Mannestum oder mangelnde Vaterlandsliebe anhören. Und das, obschon mein Vater aus dem 2. Weltkrieg selbst traumatisiert zurückkehrte. Auf meinen alten R4 klebte ich mir als junger Mann ein zerbrochenes Maschinengewehr (es existiert übrigens immer noch) neben die blaue Friedenstaube, um kundzutun, dass ich Waffen und zwar alle Waffen ablehne. Kurze Zeit später schmierte jemand mit Edding drüber: Linke ins Arbeitslager; tiefergelegtes Denken gab es auch damals schon. Aktuell holt mich diese Einstellung zu Waffen wieder ein; doch ist meine Einstellung radikaler geworden. Je mehr ich über den Menschen nachdenke und ihn kennenlerne – Erfahrungen habe ich aufgrund meiner beiden Berufe genug -, desto mehr zweifele ich an seinem Intelligenzgrad und Entwicklungstand. Denn was, zur Hölle, ist daran intelligent, mit ausgeklügelten Waffensystemen sich gegenseitig auszurotten? Unsere Vorstellungen von den Auswirkungen eines Krieges basieren zumeist auf visuellen oder textlichen Quellen. Dadurch verlieren sie natürlich an Bedeutungskraft, denn wirklich vorstellen kann sich niemand, was Krieg bedeutet, der und die ihn nicht selbst erlebt hat. Offensichtlich können sich das auch vermeintlich friedensliebende Parteien wie die Grünen oder die SPD nicht vorstellen, oder warum geben diese Schwafler ihr OK für eine sündhaft teure Tötungsmaschinerie? Mir selbst war es möglich, Berichte von Zeitzeugen zu verfolgen, die den Zweiten Weltkrieg erlebt haben. Doch wesentlich beeindruckender waren die Schilderungen einer Mutter bosnischer Herkunft, die ich über lange Zeit psychotherapeutisch betreut habe und die mir in den Gesprächen von ihren Kriegserlebnissen berichtete. Es war für sie übrigens anfangs eine Überwindung, mit mir als Mann in einem Raum zu sein, denn Männer waren für sie gleichbedeutend mit brutal, skrupellos und bestialisch. Sie sprach von Hinrichtungen, Vergewaltigungen, willkürlichen Erschießungen, Ermorden aus dem Hinterhalt, Bombenexplosionen, Detonationen, Brandschätzungen und der ständigen Angst, das nächste Opfer zu sein. Sie musste mit ansehen wie man ihren Großvater – einfach so – erschoss, sie sah offene Massengräber und Leichenteile. Auf einer meiner Reisen durch ehemalige Kriegsgebiete in Ex-Jugoslawien kam ich an einer zerbombten Schule vorbei. Es schüttelte mich, ich reckte hilflos die Faust aus dem Fenster und wiederholte mein Gelöbnis, niemals eine Waffe in die Hand zu nehmen. Ein schneller Tod ist im Krieg wünschenswert, alles andere ist ein Töten der Seele auf Raten. Krieg ist legalisierter Mord und jede Waffe ist vor allem eins: Ein Symbol für die galoppierende Dämlichkeit der Spezies Mensch. Eine kleine Patientin von mir – etwa 10 Jahre alt – erzählte mir, dass sie Krieg dumm fände und den Politikern vorschlagen wolle, besser Schach gegeneinander zu spielen. Ihr gebührte der Friedensnobelpreis; vor allem aber zeigt es, dass 10jährige über mehr Intelligenz verfügen als russische Autokraten!

 

24/2/22 ... KRIEG ... Immer dann, wenn ich Soldaten sehe … auf Bildern, in Filmen oder in der Realität … und ich versuche in der Regel ihren Anblick zu vermeiden … dann schaue ich nicht auf ihre grässlichen Uniformen und nicht auf ihre wie erigierte Schwänze präsentierten Waffen … nein, ich blicke ihnen ins Gesicht oder versuche ihnen hinter die Stirn zu schauen … und ich frage mich immer wieder: Was treibt sie zu diesem Irrwitz an? … Tatsächlich: Patriotismus? Blinder Gehorsam? Mordlust? Machtgefühl? Angst vor Repressalien? Oder ist es schlicht und ergreifend Unreflektiertheit und Dummheit? … Würde das Staatsoberhaupt meines Landes zum Krieg aufrufen, ich würde ihm oder ihr den Vogel zeigen … habe ich den Mist angezettelt? Warum soll ich ein Land verteidigen, das seine Menschen in einem Krieg verheizen will? … Ach, ich soll mein Land verteidigen? Soll ich wirklich die Menschen meines Landes verteidigen, oder vielmehr diejenigen, die das Land besitzen? … Nun, dann wäre ich gerne zuhause bei meiner Familie, um notfalls vermeintlichen Aggressoren bei einem Angriff auf Frau, Kinder, Enkel, Freunde und Hund den Schädel einzuschlagen … Die Antwort gefiel dem Gewissensprüfer bei meiner Kriegsdienstverweigerung nicht so gut, aber warum sollte ich lügen? … Schlussendlich wurde ich ausgemustert: Weil ich schlecht sehen konnte … Ich wollte diesen menschlichen Primitivismus nicht sehen … Militarismus ist eines der armseligsten Zeugnisse menschlichen Handelns … Naja, und dann bin ich Psychologe und irgendwer muss ja die Soldaten behandeln, wenn sie traumatisiert nach Hause kommen. So wie mein Vater, der noch Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg weinte, wenn er daran dachte … Ich verachte Menschen, die Kriege anzetteln, ausführen und die Waffen dafür bauen. Ich schäme mich für Kriege – als Mensch!

 

 

22/2/22 … LEISTUNG … Ich war ins Schwärmen geraten … kam mir vor wie mein eigener Großvater, wenn er von alten Zeiten erzählte (wobei ich nie einen Großvater hatte, der von alten Zeiten erzählte). Jedenfalls sprach ich von Damals, als ich 18 war. Damals war Ende der 70er - meine Sturm- und Drangzeit, die nie so richtig abebbte. Wir saßen in Teestuben und ließen uns über Nichtanpassung und Ununterworfenheit aus. Bloß keine Normalität, bloß keine Einbauküchen und Wohnzimmerschrankelemente und erst recht keine Wohnzimmerschrankelementemusik; Widerstand, wo es ging; kein beschissenes Bürgertum, keine Unterwerfung, dafür Anarchie, Antimilitarismus, Antifaschismus, eine offene Gesellschaft, Reisen ohne festes Ziel, kein Establishment (das war geklaut von den 68ern), Spontanität und dann lehnte ich mich zurück, schaute verträumt zur Decke und nach einer Pause fügte ich noch an: Eben gelebtes Leben! Die 18jährige Jugendliche, die mir gegenübersaß, hörte interessiert zu. Wir sprachen über Lebensentwürfe und -träume. Ich habe keinen wirklichen Lebensentwurf, sagt sie und schaute etwas niedergeschlagen. Der Lebensentwurf wird uns vorgegeben und heißt Leistung bringen, Geld verdienen, Erfolg haben und in der Spur bleiben. Das predigen die Eltern, die Lehrer und die Gesellschaft um mich herum. Da ist kein Platz für Träume, sagte sie und sah mich an. Fast schon hilfesuchend. Und für einen langen Moment schämte ich mich für meinen Überschwang - nachhaltig. Noch beim Gassigehen überlegte ich, ob mein Hund nicht wenigstens vor die FDP-Zentrale kacken sollte. Als Erinnerung an ihren Wahlkampfslogan: Frisches Denken für die Zukunft … Leistung muss sich lohnen … Einsatz ist die Tugend der Stunde!

 

20/2/22 … UNNÜTZES WISSEN (1) … "Die Hose wurde ursprünglich erfunden, um das Reiten zu erleichtern." (Aus: Unnützes Wissen). Ich glaube, ich bin höchstens 2x im Leben geritten. Muss ich die dann tragen?

 

"Die Gehirnmasse eines Menschen besteht zu 80% aus Wasser." (Aus: Unnützes Wissen) Mmmh, ich vermute, bei manchen ist das überwiegend Abwasser. Oft riecht es auch so brackig beim Reden!

 

"Beim Küssen verbrennt ein Mensch 26 Kalorien in der Minute. Wenn man eine Stunde lang küsst, sind das 1.560 Kalorien. (Aus: Unnützes Wissen) Schaaaatz...was hast du morgen vor?

 

"Ein Mann, der viel fernsieht, senkt seine Sperma-Produktion um 50%" (Aus: Unnützes Wissen). Ich lebe seit 15 Jahren fernsehfrei. Vielleicht sollte ich mir mal über neue Geldanlagen Gedanken machen.

 

11/2/22 … SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT … Von Selbstverständlichkeit reden wir dann, wenn etwas ohne Zweifel für richtig gehalten wird. Oft schleichen sich mit der Zeit Sachen ein und kein Mensch stellt diese infrage, obschon sie nie eindeutig und für alle gültig geklärt wurden. Und dann sind sie plötzlich selbstverständlich – einfach so! Während sich z.B. die Selbstverständlichkeit durchgesetzt hat, sein Entleerungsbedürfnis im Restaurant nicht neben dem Tisch zu erledigen (wobei es mich nicht wundern würde, wenn es eines Tages chic und auf Instagram dokumentiert wird), schreien andere Sachen nach Selbstverständlichkeit, funktionieren aber vorne und hinten nicht. Stattdessen müssen den Menschen Gebote, Gesetze und andere Riegel vorgeschoben werden, damit – sinnbildlich gesehen – nicht neben den Tisch geschissen wird. Man muss sich wirklich für einen Moment mal auf der Zunge zergehen lassen (oder mit welchem Organ man sonst denkt), wie hochgradig bescheuert es ist, mit dem Auto durch eine Stadt oder ein Wohngebiet mit – sagen wir – 80 Stundenkilometer zu brettern. Unglaublich, oder? Wir Menschen, eine vermeintliche Hochkultur von selbst ernannten Krönungen der Schöpfung brauchen eigenes dafür Verkehrsschilder, damit eben keine Horde von humanoiden Wildschweinen die Wohnstraße unsicher macht. Wahrlich, ich sage euch, ich stehe da manchmal kopfschüttelnd und denke: Lasst mich hier raus – ich will mit der Mischpoke Mensch nichts mehr zu tun haben! Wenn dann durch ein motorisiertes Kamikazekommando das eigene Kind oder der geliebte Hund überfahren wird, ist das Gejammer zwar groß, aber sobald so mancher Keiler, manche Bache hinter dem Lenkrad der wie auch immer gearteten zwei- oder vierrädrigen Killermaschine sitzt, zerfällt jegliche Selbstverständlichkeit zu Feinstaub, wogegen vermutlich auch keine Feinstaubpalette hilft. Noch kürzlich wurde ich in einer 50er Zone meiner Stadt von einem dieser Boliden zum Elefantentöten, auch SUV genannt (es war natürlich ein AUDI!), überholt, da ich dem vermutlich chronisch untervögelten Mittdreißiger zu larmarschig war. Für diese Zwecke habe ich für gewöhnlich, also selbstverständlich eine Kalaschnikow unter dem Sitz liegen. Aber immer dann, wenn ich nach verbissener Verfolgungsjagd den Heizer eingeholt habe – irgendwo kommen die immer zum Stillstand - mein Seitenfenster runterfahre, um das Täterfahrzug zu eliminieren, kommt mir in den Kopf, dass Selbstjustiz ja nicht selbstverständlich ist. Gut, war auch nur ein Gedankenspiel - ich habe ja gar keine Kalaschnikow. Kehren wir zurück zur Selbstverständlichkeit Auto. Wer hat eigentlich festgelegt, dass die Tatsache, einen unförmig gedengelten Blechhaufen unter dem Hintern zu haben, dazu führen darf, sich sozialkompetent wie ein Deinosochus (Urzeitkrokodil) zu verhalten? Die Scheißkarren parken wie und wo sie wollen, meistens hochgradig minderbegabt (der Parkplatz meiner Arbeitsstätte erinnert immer an einen Betriebsausflug von Parkanfängern), die verfluchten Scheinwerfer - vor allem der Großkarossen - blenden auch im Rückspiegel wie bei einem Verhör im Stasigefängnis, auf der Autobahn sitzen einem vom Bluthochdruck gepeinigte Benzinvisagen im Genick, weil sie die Ungeduld, Zeitdruck und/oder sexuelle Deprivation plagt, und als Fahrradfahrer oder Fußgänger muss man aggressives Gehupe über sich ergehen lassen, nur weil man die Frechheit besessen hat, den Motordullis in der Sonne zu stehen. Zwei Stunden Autobahnfahrt und man hat das Gefühl, sich in einer dieser hochgradig bekloppten Computerschießspiele zu befinden. Aber wehe ein Krankenwagen naht: Dann sind die Kraft-durch-Freude-Fahrer aufgeschmissen und nicht mal fähig, ne Gasse zu bilden. Ganz zu schweigen ein hochkomplexes Reißverschlussverfahren!!! Es hat sich eingebürgert und ist damit selbstverständlich geworden, dass Autofahrer überall und immer im Recht sind. Als ich gestern durch einen ansonsten stillen Park lustwandelte, ließ jemand in unmittelbarer Nähe bei seiner 1000 PS-Karre mit mindestens zehn Auspuffen (oder heißt es -püffen?) den Motor aufbrüllen und ich möchte wetten, dass drumherum fünf ausgewachsene Männer standen und sich aufgeheizt durch die für sie lustbetonte Geräuschkulisse munter einen runterholten. Autofahren ist Sex, zumindest Ersatzbefriedigung und auf fünf Worte reduzierbar: „Ich fahre, also bin ich!“ Ja, ich fahre selbst Auto und hey, ich genieße es, aber mir gehen all die PS-Geilomaten tierisch auf den Sack. Und zwar so sehr, dass ich plane, als medienwirksame, künstlerische Großaktion unseren schönen roten Käfer auf dem Telgter Marktplatz in die Luft zu sprengen und auf die brennenden Teile zu pinkeln. Öffentlich! Weil: Das ist – verdammt noch mal – nicht selbstverständlich!

 

8/2/22 … HUNDELEBEN … Seit gut zwei Wochen leben wir mit einem Kurzhaarcollie-Welpen zusammen, der – je nach Laune – auf den Namen Cardhu hört. Cardhu ist einer unserer Lieblingswhiskys und da unser Möchtegernhütehund ursprünglich aus Schottland stammt und die Farbe seines Fells durchaus whiskyresk aussieht, fanden wir den Namen passend und zudem besonders. Allerdings nennen wir ihn auch Schlappohr, Rabenaas, Schorschi, Jack, Emsgraf (er ist adelig), Heinz Eberhard, Kowalksy oder Känguru, was mit seinem noch nicht ganz ausgefeilten Laufstil zu tun hat. Das Leben mit einem jungen Hund ist aufregend, so wie er es umgekehrt mit uns vermutlich auch findet. Immerhin hat er sich an mein Gitarrenspiel und die Rockmusik gewöhnt, hasst dafür Staubsauger, findet Enten hochgradig merkwürdig und liebt alles, was man im Vorbeilaufen anknabbern, zerren oder schlimmstenfalls zerfetzen kann. Den Trick mit Leckerlis hat er längst durchschaut und macht sein Ding – glücklicherweise entspricht es zumeist unseren Vorstellungen. Macht er tagsüber einen auf draufgängerische Kampfmaschine, so zittert er wie Espenlaub, wenn er in die dunkle Nacht muss. Gewöhnen muss ich mich noch an all die geschürzten Lippen und Entzückungslaute von Passanten bzw. zumeist Passantinnen (was natürlich – leider – nicht mir gilt!). By the way: Woher stammt eigentlich die Redewendung „Oh mein Gott, wie süß ist das denn“? Aus den sozialen Medien? Fernsehsendungen für Frühdebile? Aus der theologischen Morallehre? Und dann gibt es ja noch wie in allen Bereichen des Lebens die selbsternannten Bundeshundetrainer. So wie neulich eine junge Frau, die ein straffes Regiment über ihren Hund führte, und mir erzählen wollte, dass es Welpenschutz gibt. Nein, liebe Menschin, den gibt es nicht; das ist eine Legende. Die Diskussion habe ich aber fix abgebrochen. Das Zusammenleben mit einem Hund bedeutet aber auch, dass die ansonsten aufgeräumte Wohnung eher einem Preppercamp nach einer Kampfübung gleicht, man sich als Vegetarier an die miefigen Ausdünstungen von getrockneten Kaninchenohren gewöhnen muss und beim Schlüssel-aus-der-Hosentasche-holen ständig ein paar Leckerlis rauspurzeln. Als meine Frau neulich die Zeitung am Kiosk kaufen wollte, fischte sie statt ihrer Maske eine Kacktüte (natürlich im leeren Zustand) aus der Manteltasche, was ihr aber glücklicherweise frühzeitig auffiel. An die Kacktüten gewöhnt man sich übrigens recht schnell; hat ja im Winter auch wärmende Qualitäten. Allerdings begreife ich bis heute nicht, warum die Krönung der Schöpfung die Dinger anschließend in Büsche hängt, anstatt sie im Mülleimer zu entsorgen. Da fällt mir stets der Ausdruck „Schmeiß-Hirn-vom-Himmel“ ein; vermutlich sucht man auch deswegen dort immer nach neuer Intelligenz. So ein junger Hund hält das Leben auf Trapp, meinte neulich ein älterer netter Herr. Ja stimmt, übrigens auch bis kürzlich das nächtliche Leben. Es ist schon bitter, sich gegen 3 Uhr mit dem im Grund wenig begeisterten Tier geschäftlich auf den Weg zu machen. Inzwischen schläft er durch – wir haben in der nahen Kapelle eine Kerze angesteckt. Nur eine Sache macht mich immer wieder sehr nachdenklich: Während ich mich von der Menschheit im privaten mehr und mehr zurückgezogen habe und mir auch gut ein menschenfreies Leben in der Prärie der Uckermark vorstellen könnte, findet Cardhu Menschen toll. Und zwar alle Menschen: Große, kleine, dicke, dünne, weibliche, männliche, diverse, alte, junge, Radfahrer und Rollatorenschieber, muffelige und fröhliche, fleischfarbene und dunkelhäutige, bärtige und glattrasierte, reiche und arme, rechte und linke. Mich beschämt das etwas, denn während ich einen großen Bogen um den Kotzbrocken ein paar Straßen weiter machen würde, findet Cardhu ihn spannend und umgekehrt auch. Und was soll ich sagen: Wir kamen ins Gespräch und der Typ war ganz ok. Jetzt weiß ich auch was tiergestütztes Lernen bedeutet.

 

19/1/22 … KURT ODER KARL … Damals als es noch Partys gab, also Partys, bei denen man nicht die ganze Zeit am Buffet mit italienischem Kleinzeug abhing, sondern bei denen gegen 23Uhr der Teppich zusammengerollt wurde, um wild zu schwofen oder nach denen man am nächsten Mittag neben einer Frau aufwachte, die man bis dato noch gar nicht kannte … damals gab es auf jeder Party auch Kurts. Oder Karls. Oder Männer mit Namen, für deren Wahl die Eltern zur Strafe eigentlich Sozialstunden hätten ableisten müssen. Tatsächlich waren diese Kurts zumeist Männer. Klingt zwar logisch, aber ich habe zum Beispiel nie Irenes oder Martinas kennengelernt, die wir Kurt waren. Wenn man mit dem von zuhause mitgebrachtem Nudelsalat die Küche der nächtlichen Vergnügungsstätte betrat, um seine Nudelkreation zu den anderen sechs Nudelsalaten zu stellen (es war mal wieder keine Absprache getroffen worden), dann stand Kurt bereits in der Küche. Natürlich hatte er wie immer nichts zum Buffet beigesteuert, da Kurt der offensichtlichen Meinung war, dass seine Anwesenheit gepaart mit seinem vermeintlich phänomenalen und unübertreffbaren Allgemeinwissen zwar nicht den leiblichen, dafür aber Wissenshunger seiner temporären Interaktionspartner stillen könne. Kurt hatte zu allem was zu sagen: Er kannte sich mit der spätantiken und einem steten Wandel unterworfenen Mittelmeerwelt von Justinian bis zum Einbruch des Islam genauso aus, wie – sagen wir – mit der prozentualen Verteilung von Rotwild auf die Uckermark, die mit 29% höher liegt als die 27% in der Oberhavel. Und während er sabbelte und schwafelte, leerte er einen Teller Nudelsalat nach dem anderem, stopfte Baguette mit Tzatziki (davon gabs fünf Varianten) in sich hinein und hatte in seinem Oberlippenbart immer irgendwelche wegwischresistenten Essensreste hängen, die durchaus auch vom Vortag stammen konnten. Beim Anblick von Kurt oder Karl grüßte man freundlich, wurde dann wahlweise in Latein (Salve), mal in verschwurbelter Form (Gott zum Gruße) willkommen geheißen, danach verließ man schnell den Wirkungskreis der Sabbelfutt, um lieber der Gastgeberin beim Kühlen des Biers in der mit kaltem Wasser gefüllten Badewanne zu helfen. Kurt suchte sich seine Opfer wie z.B. Samira, die im richtigen Leben Hildegard hieß, und selbst den Nudelsalat mit heiliger Asche von Sai Baba anrichtete, weswegen er zumeist auch nur von Karl oder Kurt gegessen wurde. Samiras Nudelsalate gingen gar nicht. Aber so war man auch Samira los und kam nicht in das zweifelhafte Vergnügen, von ihr am nächsten Wochenende zu einer spirituellen Andacht bei Räucherstäbchen und verstreuter Asche eingeladen zu werden. Doch irgendwann, spätestens wenn der Hunger doch größer wurde als der Bierdurst oder der Bommerlunder aus dem Eisfach des Kühlschranks geholt werden musste (natürlich war er nie eisgekühlt), kam man – ob man wollte oder nicht (natürlich wollte man nicht) – in Kontakt mit Karl oder Kurt. Meist begann es mit belanglosen Kleinigkeiten; so zeigte er z.B. auf das frisch im Second-Hand-Laden erworbene Jackett und klärte auf, dass das Jackett oder zu Deutsch „die Jacke“ etymologisch aus dem Mittelfranzösischen stamme und dort eigentlich jaquette hieß, womit ehemals eine kleine und leichte Tunika gemeint war. Doch bevor Kurtkarl ausholte und anfing, einen Monolog über den Aufstieg der ägyptischen Stadt Alexandria im Zusammenhang mit dem Bau des Mahmudiyakanals zu halten, deutet man vehement an, dringend aufs Klo zu müssen, um dort bei der Lektüre von rumliegenden Fritz-the-cat-Comics bis zum drängenden Klopfen von außen durchzuatmen. Kurt und Karls starben nicht aus. Je angepasster die Partys wurden, desto mehr gingen einem diese sich selbst beweihräuchernden Laberheinis auf den Sack. Mit zunehmendem Alter wurden die Party seltener bis extrem rar, man wurde plötzlich in irgendwelche spießigen Restaurants eingeladen und Karl oder Kurt – manchmal auch beide -saßen am Ende irgendeines Tisches, weswegen man ihnen nicht in der Küche begegnen konnte. Neulich musste ich an diese Quasselstrippen wieder denken. Nein, Kurt und Karl haben es überlebt und – die schlechte Nachricht ganz zum Schluss – sich vermehrt. Man findet sie jetzt zwar nicht mehr auf Partys, sondern an jeder digitalen Ecke und Kante in den sozialen Medien. Sie heißen nur anders. Wehret den Anfängen!

 

13/1/22 … FREI VON AFD … Die AfD, ein analogpolitischer Verein für fremdüberschwemmte, entheimatete und mit offener Gesellschaft überforderte Zeitgenossen mit Störungen der Impulskontrolle und sozialen Kompetenz, hat im Plenarsaal eine Aufmerksamkeitskampagne gestartet und Schilder mit der Aufschrift „Freiheit statt Spaltung“ hochgehalten. Touché, was für eine geistreiche und überaus einfallsreiche Kampagne. Endlich mal was los in der faden Welt des deutschen Schlips-und-Kragen-Parlamentarismus. Allerdings finde ich, dass der unglaublich sinnreiche Spruch der Nationalfaschisten einen eklatanten Fehler enthält: Es müsste heißen „Freiheit durch Spaltung“. Denn es wäre ein inneres Blumen-auf-der-Wiese-Pflücken, wenn sich diese faschistische Gurkentruppe, dieser Selbsthilfeverein von eindimensionalen Unnütztypen in Wohlgefallen aufspalten würde. Ja super, das muss eine Demokratie aushalten, höre ich immer! Muss sie das? Muss man tagtäglich unkonstruktives, destruktives, einfallsloses und sinnentleertes Geblubber, Falschzitieren, Hetzen, Ausgrenzen, Leugnen, aus-dem-Zusammenhang-Reißen, Drohen, Angstmachen und Lügen (um nur einige Flatulenzen zu nennen) aushalten? Jede in der Sonne brutzelnde Nacktschnecke ist konstruktiver als die alternative Blödbeutelbande der nutzlosen AphTe. Bei jedem Kommentar in den sozialen Medien, bei jeder Nachrichten- oder Zeitungsmeldung läuft ein Schauer des Fremdschämens, Ekels und Entsetzens über mein vermeintlich abgebrühtes Hautorgan. AfD ist (fast) das Ende der Fahnenstange für Mitmenschlichkeit, Gleichheit, Freiheit, Demokratie und gesellschaftlicher Offenheit. Deshalb: Spalten wir die AfD, wo, wann und wie es nur geht. Ich habe keinen Bock mehr auf ihre Volks"moral", ihr Umvolkungsgeschwafel, ihr Gesülze von Entfremdung und Verderb jeglicher Sittlichkeit. Hinfort mit ihnen, von mir aus in die Wüste, auf den Mond oder nach Russland. Freiheit von AfD – ein demokratischer Traum.

 

7/1/22 ... VERSCHWÖRUNG ... September war rückblickend für mich als Geboosteter ne schwere Zeit, da ja nicht nur - wie aus Verschwörungskreisen vernehmbar - mein Tod anstand, sondern auch die Möglichkeit, homosexuell zu werden. Ich vermute mal: Eins von beiden. Ok, mit letzteren hätte ich grundsätzlich kein Problem, schließlich gibt es ne Menge netter Männer, aber bisher ist die Faszination für meine Frau ungebremst. Todsein wäre natürlich sehr doof, fiel aber glücklicherweise aufgrund von übermäßigem Lebendigsein ebenfalls flach. Es ist wie bei den Zeugen Jehovas, bei denen auch die Welt zu ständig wechselnden Terminen untergehen soll. Tja, und dann Silvester. Ich wartete auf meine persönliche Explosion. Um 3 bin ich dann ins Bett gegangen. Es ist aber auch auf nix mehr Verlass. Ich hörte noch, dass einem ein Penis an der Stirn wachsen könnte. Will man ja auch nicht. Obschon ....!?

 

25/12/21 … MAL QUERGEDACHT, DIE ZWEITE … „Ich habe Knie". "Ich habe Knie" ist das tiefergelegte Pendant zu "ich habe Rücken", allerdings ist in meinem Fall mehr drin im Knie als von der Natur ursprünglich vorgesehen: Entzündung im Knochen, Ödeme und andere überflüssige, wie obendrein unangenehme Entgleisungen meines Körpers. Die Ärzte meines Vertrauens haben mich ein paar Wochen aus dem Verkehr gezogen. Entlastung ist die Devise. Nach Bekanntwerden meiner Kniegeschichte geht die Ursachensuche in meinem sozialen Umfeld los: Mein Gewicht, meine Unsportlichkeit, mein Stress, vegetarische Ernährung. Der Arzt sagt "Verschleiß" und normal käme das eher bei Spitzensportlern und älteren Frauen vor. Sportler bin ich nur mental und Frau eher selten. Eine Physiotherapeutin und Kollegin aus meiner Klinik zeigte mir den Knäckebrot-Trick im Gebrauch von Gehstützen: Man solle sich vorstellen, unter dem Fuß des kranken Beins sei eine Scheibe Knäckebrot angebracht, die beim Auftreten nicht zerbröseln dürfe. Ey, ey, Captain Smörebröd! So krückte ich neulich fast krümelfrei zum Kiosk um die Ecke, um mir ne Zeitung zu kaufen. Unterwegs treffe ich einen Bekannten, der mich mit diesem speziellen Blick "Ach du heilige Scheiße" empfängt. "Wer hat gewonnen?", fragt er beim Betrachten meiner Humpelage. Ich erkläre ihm den wahren Hintergrund. Seine Reaktion: "Lass dich bloß nicht operieren. Ich habe neulich noch ne Reportage gesehen, dass 30% aller OP´s überflüssig…!" Ich blocke ab und sage, dass bei dieser Erkrankung OP's grundsätzlich nicht vorgesehen sind. Er hakt weiter nach: "Die geben dir hoffentlich kein Kortison. Ich habe da ne Sendung gesehen…" Auch verneine ich diese Nachfrage. Ich gebe an, mich ärztlicherseits gut versorgt zu wissen. Er wirkt nicht zufrieden, sondern zieht nun seine rudimentärmedizinischen Trümpfe aus dem Ärmel: Es gäbe da eine super Teersalbe, die… Ich belehre ihn, dass Ichtholan ("Ja genau… so hieß die Salbe!" ) eher bei Abszessen oder Furunkeln eingesetzt werde und versuche diese Replik mit einem Hinweis auf mein Wissen als ehemaliger Krankenpfleger zu untermauern. Er wirkt bereits leicht ungeduldig und bedient den „Meine-Oma-hat-immer … Faktor“. Seine Großmutter pflegte nämlich bei Entzündungen eine Mischung aus Quark, Ingwer und Zwiebeln aufzulegen. Mit den Zwiebeln ist er sich allerdings nicht mehr ganz sicher. Mir ist das schon fast unangenehm, aber ich erkläre ihm, dass solche Quarkpackungen sicher nicht schlecht seien, aber da sich meine Entzündung hinter der Kniescheibe befände, würden die Wirkstoffe (falls es überhaupt welche gibt) nicht so tief eindringen. Ich glaube, ich habe ihn leicht verärgert, dass er so gar nicht punkten konnte. Immerhin reicht es noch zu einem „Gute Besserung“. Ich muss an meine Schwiegermutter denken; ihre Hausmitbewohnerin trichtert ihr immer ein, nicht am Fluss spazieren zu gehen. Man fange sich dort grundsätzlich Erkältungen ein. Ne, klar! Ich habe mal einen Artikel gelesen, dass die meisten Bürger - auch die akademisch gebildeten - nicht einmal über ein Minimum an medizinischem Wissen verfügen. Im Schnitt konnten die Testpersonen in einer Untersuchung nur acht von 25 richtige Antworten geben. Daran dachte ich spontan … und auch ein bisschen quer.

 

 

 

19/12/21 … QUERGEDACHT, DIE ERSTE … Ich denke mal quer: Als klinischer Psychologe betreue ich seit 25 Jahren rheumatologisch erkrankte Kinder und Jugendliche. Ich bin kein Mediziner, aber durch die lange spezialisierte Erfahrung und vor allem durch die einzigartige Möglichkeit, im Gegensatz zu den meisten Ärzten den Verlauf der Erkrankungen zum Teil über Jahrzehnte zu beobachten, aber auch durch meine Mitarbeit in medizinischen Leitlinienentwicklungen, habe ich doch inzwischen ein gutes "Überblickswissen" erlangt. Nicht mehr und nicht weniger, aber ein Wissen, das eben nicht aus YouTube-Videos stammt. Neben den Patienten selbst betreue ich auch Eltern und führe z.B. Seminare oder Schulungen durch. In diesen Seminaren geht es immer auch um die berechtigten Sorgen der Eltern bezüglich Wirkungen, aber auch der Nebenwirkungen von Medikamenten. Für den Laien: Rheuma ist eine Autuimmunerkrankung. Das Abwehrsystem richtet sich gegen körpereigene Strukturen. (Es gibt mehrere Hundert Unterformen!) Man könnte sagen, das Immunsystem ist überaktiv und muss in vielen Fällen mit sogenannten Immunsupressiva wie z.B. MTX behandelt werden. Immunsuppressiva hemmen das Immunsystem und lindern überschießende Immunreaktionen, welche Entzündungen und Gewebezerstörungen auslösen.

 

In einem meiner Seminare saß eine junge Mutter, die bzgl. der Auseinandersetzung mit der Erkrankung noch ganz am Anfang stand. Wir kamen in der Gruppe auch auf MTX zu sprechen und sie begann bitterlich zu weinen. Ihre Zimmernachbarin, eine Frau, die vor allem dadurch aufgefallen war, NICHT an unseren vielen Informationsangeboten teilzunehmen, hatte ihr erzählt, die Kinder würden an diesem Medikament sterben, weil dadurch das Immunsystem auf Null runtergefahren würde und somit keinen Schutz vor Erkrankungen mehr bieten könne. Als ich die Mutter aufklärte, dass dies Unsinn sei, da das überstarke Abwehrsystem eben nur auf ein eher normales Niveau runtergefahren würde und nicht auf Null, weinte sie wieder: Dieses Mal aus Erleichterung. Solche und andere Missverständnisse tauchen immer wieder auf. Ich bin überzeugt, so entstehen auch Tendenzen der Impfverweigerung. Laienwissen, mangelndes Verständnis von Forschungs- und Wissenschaftsprozessen, gepaart mit Drittinformationen aus dem Netz führen zu falschen Einschätzungen. Mehr Transparenz der Fachleute - vor allem auf verständliche Weise - könnte helfen.

 

 

16/12/21 … FARBRAUSCH … Beim zweiten Stück Linzer Torte zum Tee stellte ich meiner weltbesten Schwiegermutter die vorsichtige Frage, ob sie mir einen Pullover stricken kann. Es dauerte gar nicht lange, da kehrte sie mit einem Stapel, zum Teil schon in die Tage gekommener Wollkataloge von Junghans zurück. Wenn es ums Stricken oder Schneidern geht, ist SchwiMa in Hochstimmung; sie strickt für ihr Leben gern. Stricken ist bekanntlich eine Wissenschaft für sich, bei der es im Vorhinein zwei essentielle Fragen zu klären gibt: Welche Farbe und welches Muster? Nun bin ich - was Farben anbetrifft - kein Kind der Traurigkeit (sonst eigentlich auch nicht), aber an jenem Sonntagnachmittag wurden all meine bisher existierenden Farbschemata ad absurdum geführt. Während sie Tee nachholte, tauchte ich in die Junghans´sche Farbenwelt ein: Grau, Blau, Hellgelb, Beige, Weiß, Türkis, Gelb, Orange, Rosa, Oliv, Hellgrau, Hellgrün, Bordeaux, Braun, Flieder, Anthrazit, Jeans, Marine, Rot, Natur, Royal, Pink, Offwhite, Rose, Violett, Navy, Blassblau, Lagune, Haselnuss, Senf, Naturweiß, Dunkelblau, Rostrot, Pastellmalve, Hellblau, Pastellrosa, Pastellblau, Pastellgelb, Zitronengelb, Pastellgrün, Basalt, Tinte, Armeeblau, Schilf, Ziegelrot, Creme, Aqua, Bleu, Mint, Limone, Erika, Ecru, Erdbeer, Fuchsia, Dunkel-Altrosa, Lavendel, Kobalt, Ozean, Petrol, Apfel, Silver, Kiwi, Flaschengrün, Schwarz-Creme, Aubergine, Pistazie, Kupfer, Puder, Efeu, Lachs, Koralle, Hummer, Taubenblau, Knallrot, Schiefer, Mango, Curry, Jade, Himmelblau, Greige, Indigo, Rost, Neon Pink, Taupe, Smaragd-Weiß, Mittelgrün, Ultramarin, Linen Sunflower, Denim, Mineral, Snowy White, Stormy Cloud, Sand-Beach, Pebble-Stone, Vintage-Rose, Emerald-Lake, Earthy Brown, Terracotta, Lindgrün, Hanf, Rosenholz, Zimt, Schlamm, Orchidee, Dunkel-Mint, Apricot, Purple, Buntspecht, Delfin, Pfau, Fuchs, Kamel, Papagei, Elefant, Schildkröte, Tabak, Burgunder, Zitronella, Nougat, Braunorange, Salbei, Schoko, Weinrot, Magenta-Pink, Lila, Gras, Pearl, Aura, Steel, Trance, Serenity, Blushes, Türkish Plum, Alabaster, Clay, Aluminium, Rose-Quarz, Frozen, Tawny, Scree, Carbon, Seasalter, Mineral, Ochsenblut, Cognac, Tanne, Dunst, Rotbraun, Sorbet, Berlingot, Arlequin, Fauve, Clacier, Givre, Guimauve, Gazelle, Pampelmousse, Cappuccino, Flocon, Salbe, Erle, Lin, Suie, Glacon, Canard, Eglantine, Vanille, Giftgrün, Khaki, Hortensia, Dahlia, Darmera, Salvia, Daisy, Ivy, Polar Bear, Mouse, Black Sheep, Bee, Night Sky, Sternschnuppe, Gartenparty, Charisma, Zimtschnecke, Honig, Total Eclipse, Thyme, Raffia, Autumn Sunset … habe ich schon Schwarz genannt? Das Problem mit den Mustern wie Rippenmuster, Glatt-Links, Schlauchmuster, doppelt gerippt, Patent, Halbpatentmuster, Perl- und Waffelmuster, Teufelsmuster oder Phantasiezopfstreifen blende ich mal aus. Für mich stellten sich nun ganz neue Fragen: Wer denkt sich so etwas aus und wie sage ich ihr, dass es einfach nur Dunkel-Sand sein soll? Übrigens: Halbpatent.

 

 

13/12/21 … ALLES BLEIBT … Es heißt immer, ALLES wiederholt sich. Ist es nicht vielmehr so, dass ALLES bleibt? Lese aktuell die Autobiografie „Trotzdem“ über den von mir sehr geschätzten Zukunftsforscher Robert Jungk: 1993 schreibt er: „Ich bekam jetzt die ersten anonymen Haßbriefe voller antisemitischer Tiraden und brutaler Drohungen. Sie waren durchweg in einer falschen, auch orthographisch meist fehlerhaften Sprache geschrieben, obwohl die Absender ihre glühende Liebe zu allem Deutschen bekunden.“ Die Briefe sind heute digital und Alltag auf facebook.

 

 

8/12/21 … SOUND OF SPIN ECHO … Mit dem Kommentar, es würde gleich recht laut, setzte mir die nette Assistentin den Kopfhörer auf. Was da in meine Ohren waberte, klang nach dieser breiig-sämigen Entspannungsmusik, wie man sie bei Tchibo in der Grabbelkiste findet. Da hat jemand die Effektleiste bei seinem Keyboard tüchtig malträtiert, dachte ich bei mir. Aber nix für ungut; es hätte ja auch Andrea Berg oder einer dieser deutschen Einbauküchenmusikpopstars sein können. Im Hintergrund hörte ich ein rhythmisches Wummern, das sich anhörte, als wäre die Tür von der Disko nebenan nicht richtig gedämmt. NskNskNskNskNsk – ich musste mich bremsen, nicht mitzuwippen … Dann fuhr meine Liege langsam in die Grube. Nein, es heißt Röhre und hört im normalen Leben auf den Namen Magnetresonanztomographie. Oder unter Freunden: MRT. Güte, was musste ich mir vorher alles für Beileidsbekundigungen und Warnungen anhören: Platzangst, fürchterlicher Lärm, unbequem usw. Ich musste an meinen ersten Besuch in einem Solarium denken, wo ich vorsichtshalber eine Hand raushängen ließ, falls sich die Klappe mal nicht öffnen ließ. Hatte hier im MRT wohl wenig Zweck. Man legte mir eine Klingel auf die Brust, falls Not am Mann wäre. Mich erinnerte das Ding an einen Notrufknopf für Senioren. Dann hörte ich über den Kopfhörer eine charmante Stimme, lieblicher als auf unserem Navi, „der erste Scan dauert weniger als 3 Minuten“ sagen. Jetzt ist Schluss mit Lustig, dachte ich, und dann hörte ich ein metallenes UmpfUmpfUmpfUmpf, gefolgt von einem penentranten Mööööööööööp. Eben - fast - drei Minuten lang. Was mich an diesem Geräusch störte, war die Tatsache, dass das Mööööööööööp taktmäßig nicht zu dem NskNskNskNskNsk passte. Dann wieder Musik aus der Schmunzelsauna und nach kurzer Zeit erneut die Frauenstimme: „Der nächste Scan dauert 3 Minuten“. Jetzt hörte ich ein PlöpPlöpPlöpPlöp und dann dröhnte es Bööööööööööööööö von draußen durch die Abdichtungen des Kopfhörers. Ich überlegte die ganze Zeit, wie man aus all den Tönen einen Song machen könnte. Wenn er fertig ist, nenne ich das Stück „Sound of Spin-Echo“. Ein klein bisschen war ich an diesem Abend froh, früher schon mal Musik von den Einstürzenden Neubauten gehört zu haben. Dagegen ist der MRT-Sound kalter Kaffee. Nach elfeinhalb Minuten hauchte die Stimme: „Der Scan ist beendet“. Fast schon schade. Ich hätte gern gewusst, was die da noch so geräuschemäßig auf der Pfanne haben.

 

 

6/12/21... DATENSCHUTZ … Doch, doch, Datenschutz ist wichtig. Auch wenn es unendlich nervt, ständig vor dem Betreten einer Webseite ein Häkchen setzen zu müssen. Andererseits ist ja jeder Besuch auf Facebook oder Google das reinste Daten-Sich-Nackich-Machen. Und was habe ich 1987 protestiert, gefälscht und boykottiert, als die Volkszählung stattfand und man private Informationen erfragen wollte. Heute reicht ein Blick auf Facebook und man weiß, welcher alternativen Brotbeutelbande ich angehöre. Inkonsequenz, ik hör dir husten.

 

Doch besonders amüsant wird es mit dem Datenschutz in der Arztpraxis. Das geht schon los mit der offiziellen, allseits vernehmbaren Begrüßung. Guten Morgen Herr Illhardt. Sie hatten ja angerufen wegen ihrer Knieprobleme. Ja, antworte ich und bin froh, dass es keine Gonorrhoe ist. Setzen sie sich doch noch so lange ins Wartezimmer. Von dort bekomme ich mit, dass Herr Müller begrüßt wird. Sie kommen wegen Langzeit-Blutdruckmessung, nicht wahr? Ich bin gespannt auf Herrn Müller und als er in meiner Nähe Platz nimmt, sieht man sofort an seiner Gesichtsrötung, dass der systolische Druck arg hoch sein wird. Kein Wunder, er ist Stammgast gegenüber in der Kneipe. Da kann man 1 und 1 zusammenzählen. Dann lausche ich Telefonaten: Frau Koch, genau Helene Koch aus der Mozartstraße, hat offenbar Niereninsuffizienz und Herr Briegel benötigt ein Konsil für den Psychiater. Warte mal, ist Herr Briegel nicht der Nachbar von Gegenüber? Ja guck, ich hatte es doch geahnt.

 

 

4/12/21 … MEINUNGSFREIHEIT(EN) … Ingrid, Anhängerin der AfD, kommentierte auf einer Seite der Nationalfaschisten, "in der Diktatur hier" gäbe es keine Meinungsfreiheit mehr. Als ich ihr recht unaufgeregt schrieb, dass sie so etwas in einer Diktatur aber nicht äußern dürfte, wurde ich vom AfD-Admin gesperrt und mein Kommentar gelöscht. Huch, habe ich vielleicht verpeilt, dass es verschiedene Meinungsfreiheiten gibt?

 

 

1/12/21 … WISSEN … Wenn sich zum Sonntagskaffee Besuch angesagt hatte, nutzte meine Mutter gerne die kleine Bühne, um den Gästen meine Belesenheit als Kind im Grundschulalter zu präsentieren. Da ich diese Plattform einigermaßen genoss, lief ich, nachdem sie z.B. ein Thema angesprochen hatte, wie ein dressiertes Hündchen in mein Zimmer, kehrte mit einem Buch zurück und zeigte den Erwachsenen stolz die Quelle der Information. Darauf folgte zumeist der erklärende und zugleich lobende Spruch meiner Frau Mutter: „Wissen heißt halt, wissen wo´s steht.“ Ich brauchte einige Jahre der Reifung, um zu verstehen, dass dieser Satz einer dieser Bullshitsprüche darstellt, der bei näherer Betrachtung einer Verifizierung nicht standhalten kann. Was hat es mit Wissen zu tun, wenn man zwar das Buch im Schrank stehen, den Inhalt aber nicht verinnerlicht hat? Meine inzwischen auf einige tausend Bücher angewachsene Bibliothek beherbergt unzählige anspruchsvolle Exemplare aus den verschiedenen wissenschaftlichen Richtungen, ich möchte aber nicht behaupten, dass mir der Kern ihrer Aussagen buchflächendeckend geläufig ist. Kant habe ich bis heute nicht verstanden, was aber auch daran liegen mag, dass er mich nicht die Bohne interessiert. Womit bereits eine erste Fragwürdigkeit auftaucht: Macht Wissen Sinn, wenn einen der Inhalt nicht interessiert? Oder umgekehrt gefragt: Ist Wissen besser angelegt, wenn es mit Interesse kognitiv einverleibt wurde?

 

Vor geraumer Zeit kam ich mit einem Arzt ins Gespräch, der zu der eher seltenen Zunft der sprechenden Mediziner gehörte und daher trotz mangelnder Zeit mit mir über die Kunst des „Medizinierens“ philosophierte. Ich werde seine Aussage nicht vergessen, dass es schon einer mindestens zwanzigjährigen (er nannte tatsächlich diese Zahl) Erfahrung bedürfe, um sich als Wissender oder Spezialist in seiner Branche betiteln zu dürfen. Zudem - setzte er nach - hätte das Wissen nur noch halb so viel Wert, wenn man damit hausieren ginge. Womit Neunmalkluge als Halbwissende enttarnt wären. An dieses Gespräch musste ich in Hinblick auf mein 25jähriges Berufsjubiläum als Psychologe (zuvor hatte ich noch einen anderen Beruf) zurückdenken. War ich ein in meinem Bereich Wissender? Sicherlich, da ich für einen sehr speziellen Aufgabenbereich zuständig bin und hier deutschlandweit über einen sehr breiten und anerkannten Erfahrungsschatz verfüge. Dennoch begegnen mir immer wieder Aspekte, die zu neuen Einsichten führen, das Wissen vermehren oder aber hin und wieder Erfahrungen bezüglich ihrer Ausrichtung in Frage stellen. Wissen ändert sich, braucht den Umgang damit nebst ständiger Abgleichung und sollte daher stets hinterfragt werden (können). Mit in Beton gegossenem Wissen lässt sich kein Blumentopf gewinnen. In einer schnelllebigen Zeit, in der wir heute existieren, ist es mit dem Wissen wie mit dem neuen PC: Kaum hat man ihn aus dem Laden getragen, setzt bei ihm der Prozess der Entaktualisierung ein. So und nun ihr lieben Menschen in den sozialen Medien: Woher nehmt ihr all euer vermeintliches So-Als-Ob-Wissen, euer nervöses, tragisch verkürztes Überall-Mitdiskutieren und eure Kommentarfloskeln a la „Wer liest ist im Vorteil!“? Ich möchte es – glaube ich – gar nicht wissen!!!

 

 

25/11/21 … BEHÖRDEN … Meine Schwiegermutter hat ihr Portemonnaie verloren. Selbstredend mit allen Papieren. Vielleicht wurde es auch geklaut. Und dann noch im Krankenhaus! Panik! Nachdem sich der erste Schreck gelegt hatte, rief sie bei der Telgter Polizei an. Nun ist ja die Polizei eine Behörde und vermutlich ist der erste Satz, den man behördlicherseits lernt: Dafür sind wir nicht zuständig. Also empfahl man ihr, sich an die Polizei in Münster zu wenden, da ja die Patte dort auch geklaut worden sei. Was sie natürlich tat. Der freundliche Wachtelmeister bei der Münsteraner Polente war aber auch nicht auf den Kopf gefallen, was Ausreden anbetrifft und verwies sie an die Polizei in Warendorf, weil sie ja schließlich dort im Kreis wohne. Sie entschloss sich, erst einmal nicht mehr bei der Polizei anzurufen. Nachdem also dieses Problem zur Zufriedenheit aller gelöst war, ging es an die nächste Verlustmeldung: Die Krankenkarte. Sie fand eine Servicenummer der Krankenkasse ihres Vertrauens, wunderte sich aber gleich bei der Begrüßung über den Dialekt der Person am anderen Ende des Hörers. Sie war in Augsburg gelandet, was ja bekanntlich in Bayern liegt. Da Schwiegermutter keine Übersetzungs-App besitzt, musste sie zweimal nachfragen. Nein, man sei hier in Augsburg nicht dafür zuständig. Man gab ihr aber, daher vermutlich der Ausdruck Service im Wort, eine Nummer an die Hand, wo sie den Verlust ihrer Krankenkarte melden könne. Immerhin rückte die mögliche Lösung ihres Problems zumindest geografisch näher, denn nun war sie in Hamburg gelandet und mit dem nordischen Dialekt kam sie halbwegs zurecht. Nein, das sei nicht ganz richtig, so die Servicefachkraft, und gab ihr die finale Nummer durch. Statt eines erneuten Dialekts vernahm Schwiegermutter nun ein für sie ungewohntes Pfeifen. Erst später kapierte sie, dass es sich um eine Faxnummer handelte. Ich werde ihr die Tage vorschlagen, ab sofort als Outlaw zu leben. Mal gucken, wie schnell es dann mit den Behörden klappt.

 

 

21/11/2004 … FIRST LOVE … Neulich lief „Music was my first love“ von John Miles im Radio. Normalerweise ein Stück, bei dem ich leiser drehe. Meine Frau - letzte und größte Liebe meines Lebens -schaute nachdenklich und meinte dann, Musik sei tatsächlich ihre erste große Liebe gewesen. Sie sei bei so manchem Song damals ins Schwärmen geraten und habe von der Liebe des Lebens geträumt. Vermutlich wären wir uns damals – was den Musikgeschmack anbetrifft - nie begegnet! Allerdings räumte sie ein, eine Spätzünderin in Liebesangelegenheiten gewesen zu sein. Ich überlegte für mich und kam zu dem Schluss, dass mein Liebesleben schon recht früh in Wallungen geriet. Da war z.B. Doris, die Tochter eines Bielefelder Friseurmeisters (er hätte mich heute sicher frisurbedingt als Schwiegersohn abgelehnt). Ich war 9, sie auch, und ich lernte sie am Strand von Fehmarn kennen, wo ihre Familie den Nachbarstrandkorb gemietet hatte. Doris hatte nicht nur einen süßen Bikini, sondern verfügte auch sonst über alle Eigenschaften, die meines Erachtens eine Frau von Welt besitzen musste: Sie konnte Sandburgen bauen und hatte keinen Schiss vor weißen Meeresquallen. Beim Abschiednehmen am letzten Tag eskalierte allerdings die Situation, da sie mich küsste und das auch noch auf den Mund. Vermutlich hatten das alle Leute am Strand von Burgtiefe mitbekommen, was mir grottenpeinlich war. Aber der Kuss, mein Lieber, hatte es in sich: So feurig, so spontan, so inniglich.

Doris verschwand aus meiner Welt: Aus den Augen aus dem Sinn. Stattdessen traten reifere Frauen in mein zartes Leben. Die eine hieß Nscho-tschi, im richtigen Leben Marie Versini und war die Schwester von Winnetou und – oh Hoffnung - unverheiratet. Ich konnte die Filme gar nicht oft genug schauen, aber nicht wegen der Baller- und Marterphalszenen, sondern wegen Nscho-tschi. Doch eine wahre Ahnung von Liebe, Lust und Leidenschaft bekam ich erst, als ich Daliah Lavi mit nacktem Rücken beim Waschen im Fluss in einem Winnetou-Film sah. Da wusste ich: Es gab mehr als die Unterwäscheseite im Neckermann-Katalog meiner Mutter. Ich schmolz dahin! Mit 11 machte ich eine Woche Urlaub bei meiner Tante, eine Ordensschwester im Soester Krankenhaus. Dort gab es ein Schwimmbad und da sie Sorge hatte, ich könnte in den gechlorten Fluten ertrinken, musste eine junge Schwesternschülerin am Rand sitzen und mich beaufsichtigen. Irgendwie gefiel mir die junge Frau, vor allem ihr süßes Lächeln und so versuchte ich ihre Aufmerksamkeit durch besonders langes Tauchen und gekonnte Arschbomben vom Rand ins Wasser auf mich zu ziehen. Aber sie blieb unbeeindruckt, allerdings reifte hier vermutlich der Entschluss, ein Leben ohne Frau sei ein vergebenes. Und so traf ich M., ein Nachbarmädchen – und sie mich. Mit der Straßenclique hatten wir uns eine Hütte inklusive Kohleofen gebaut. M und ich übten Dauerknutschen bei gleichzeitigem Abdichten des Rauchabzugs, wodurch vermutlich die Zirkularatmung erfunden wurde, die beim Didgeridoo-Blasen eine tragende Rolle spielt. Übrigens kaufte ich mir mit 12 die erste Single. Die Legende besagt, dass es sich um „Whole Lotta Love“ von Led Zeppelin handelte. Aber das ist eine andere Liebesgeschichte.

 

 

 

5/11/21 … GENDERN -VOLLENDET … Endlich ist das unkomplizierte Gendern im Mark der Gesellschaft angekommen: Hörte vorhin, wie ein 13jahriges Mädchen ihre Freundin begrüßte: "Na, du Hurensohn!" Läuft!

 

30/11/21… IMPULSKONTROLLE … Anfang nächsten Jahres bekommen wir ein vierbeiniges Familienmitglied. Einen Hund! Und damit der nicht unsere Enkelkinder anknabbert, Schwiegermutter nicht beim Vorbeibringen der Apotheken-Rundschau verbellt (... obschon…?!) und unseren kleinen Garten nicht in einen Männerspielplatz nach der Invasion eines 8-köpfigen Kegelclubs verwandelt, haben wir uns ein Buch mit dem Titel "Impulskontrolle" gekauft. Ich hatte zwar 19 Jahre einen Hund und viele Tipps laufen auf die Nummer "wie der Herr, so's Gescherr" hinaus, aber dennoch liest man darin ne Menge spannender und einleuchtender Sachen wie z.B. gewisse Kurzbefehle oder Verhaltensweisen.

 

Beim Lesen kam mir allerdings schnell der Gedanke, dass die Anwendung mancher Tricks und Tipps auch bei uns Menschen Sinn machen würde. Seitdem üben meine Frau und ich. Wenn ich mich mal wieder über saudämliche Zeitgenossen aufrege, sagt sie "Klick" und ich lächle jedem Vollpfosten sofort hechelnd zu. Fortgeschritten sind wir auch schon, wenn ich morgens muffelig aus dem Bett steige. Dann ruft sie "Fass" und ich mache mich in bester Kampflaune über den Tag her. Auch mein manchmal hastiges schnelles Essen haben wir mit langsamem Tellerhinstellen und ruhigem Auf-dem-Stuhl-Sitzen bis zum Befehl "Futterchen" deutlich verlangsamt. Und wenn sie aufreizend gekleidet ist, darf ich erst zur Sache kommen, wenn sie "nimm's" sagt. Wir sind auf einem guten Weg und wollen als nächstes meinen Sarkasmus und meinen Aggressionsstau angehen. Allmählich glaube ich, auch in mir steckt eine Art Hütehund. Weiß Mann's?

 

 

14/11/21 … WILDE ZEITEN (2) ... Sie (so gut wie 19) lag in meinem (um die 26) Arm. Wir rauchten, hörten Klaus Schulze und sinnierten in den Tag hinein. Ob ich schon mal in Paris gewesen wäre, fragte sie. Es müsse dort ungemein romantisch sein. Gerne hätte ich ihr erzählt, alle Meere umsegelt und auf jeden Kontinent meinen Fuß gesetzt zu haben. Stattdessen hauchte ich mit dem Qualm der Zigarette aus: Hatte nicht sollen sein. Das sagte man damals so und war die Kurzform von: Eigentlich wäre ich schon 10x da gewesen, wenn nicht widrige Umstände in einer unglücklichen Verquickung von grassierendem Zeitmangel, plötzlicher Geldnot und misslichen Witterungsbedingungen einen Strich durch die Reiseplanung gemacht hätte. Zum 19. schenkte ich ihr eine Selbstgedrehte, liebevoll in Papier drapiert, auf dem zu lesen war: Erst in Paris rauchen! Volltreffer!

 

In einem Anflug von galoppierender Blödheit gepaart mit gestrunzter Lebenserfahrung schlug ich vor, bei Nacht in Paris einzufahren. Ich habe keine Ahnung, wo ich diesen Unfug entliehen habe. Ich hielt das für eindrucksvolle Romantik.

 

Wir erreichten die Seine-Metropole gegen Mitternacht und schauten von einer Berghöhe auf das Lichtermeer. Sie rauchte ihre Geburtstagszigarette, ich hatte mir ne Dose Bier geöffnet. Sie strahlte entzückt, ich war hundemüde.

Ich besaß damals einen zu einem kleinen Wohnmobil umgebauten Renault R4F6 (Kastenwagen). Der Vorteil: Er sah nicht wie ein Wohnmobil aus und machte daher auch wildes Campen möglich. Im Gewimmel der Straßen von Montmartre fuhr ich irgendwo auf einen Seitenstreifen. Wir kletterten hinten in den Wagen, zogen die Gardinen zu und entfleuchten in die französische Nacht. Morgens werde ich!! durch rhythmisches Klopfen aufs Autodach geweckt. Ich schiele durch einen Gardinenspalt und sehe vor meinen Augen rot-weißes Absperrband flattern. Mir schwant Übles. Beim hastigen Aussteigen stopfe ich mir noch fix das Hemd auf Feiertag geköpft in die Hose und öffne die Hintertür. Etwa zehn Bauarbeiter stehen grinsend um das Auto herum. Ich murmle „excusa“, was zwar spanisch ist, aber die Situation auch wenig rettet. Ich ziehe die Schultern hoch, um das Versehentliche der Parksituation anzudeuten. Ich springe galant auf den Fahrersitz und starte durch. Ich winke durchs Fenster den netten Männern zu und die wiederum mir. Ich meine, etwas Sehnsüchtiges in ihren Blicken erkannt zu haben. Derweil richtet sich mein aufgewachter Liegendtransport auf. Was denn los sei. Ich rufe nach hinten: Ich fahr Brötchen holen.

 

 

11/10/21 … TOASTGESICHT … Man kann noch so erholt und voller Tatendrang aus dem Urlaub zurückkommen, es zählt letztendlich vor allem, ob man braun gebrannt ist und ganzkörperlich einem Toastbrot nach zu hoher Zeiteinstellung gleicht. Schon meine Mutter warnte vor einem halben Jahrhundert vor übermäßigem Sonnenbaden. Man altert schneller und bekommt fiese Falten, so ihre Meinung. Tatsächlich traf ich immer wieder teutonische Broilergesichter, die aussahen wie ein zerfurchter Maisacker nach einer Trockenperiode.

Ebenfalls ein halbes Jahrhundert ist es her, da kam meine neun Jahre ältere Schwester mit einer Prinzess-Höhensonne von Dr. Kern nach Hause, um ihren Teint aufzuhübschen. Nach einer gewissen Zeit sollte eine Bräunungswirkung eintreten, stand auf der Verpackung. So sah ich sie manchen Abend mit der froschgrünen Schutzbrille vor dem Gesichtsbrutzler mit den glühenden Heizdrähten sitzen. Nich' ins Licht gucken. Da wirste blind, sagte sie, wenn ich ihr beim Rösten zuschaute. Dann eines Tages, mein inzwischen braungesichtiges Schwesterherz war ausgegangen, holte ich den Gesichtstoaster aus ihrem Schrank und stellte ihn auf meinen Schreibtisch. Heller Hauttyp 50 Sekunden und dunkler Hauttyp 110 Sekunden am Anfang pro Tag, las ich. Oder so ähnlich; Bedienungsanleitungen sind bis heute nicht mein Ding. Wie sollte man mit so luschigen Einstellungen knackig braun werden, bezweifelte ich die Anleitung. Ich wollte immer schon ein gegerbtes Gesicht wie Lederstrumpf, damals mit 11 mein großes Vorbild, haben. Also Froschbrille auf, die Zeitschaltuhr auf 20 Minuten gestellt und ab gings mit dem Grillomat. Als sich die Uhr mit einem Rrrring abstellte und mich aus meiner Verschönerungsmeditation weckte, fühlte sich mein Gesicht an, wie von einer Feuerqualle geknutscht. Egal! Ich stellte mich gespannt vor dem Spiegel. Nachdem sich mein Augenlicht nach temporärer Teilerblindung erholt hatte, bekam ich einen Mordsschrecken. Was mich dort im Spiegel anstarrte, war nicht mehr ich, sondern ähnelte eher einem Negativabzug von einem Brillenbär aus den südamerikanischen Hochanden nach exzessivem Blutegelbefall: Krebsrotes Gesicht mit schneeweißen, froschbrillengroßen Augenringen. Kurz: Ich sah total kacke aus. Für einen Moment spielte ich mit der Idee, vor jeglicher Zivilisation zu flüchten und als Höhlenbewohner in den nahen Klatenbergen mein Dasein zu fristen. Es gab nen riesigen Ärger und zog die größtmögliche Bestrafung nach sich. Ich musste mit dieser Gesichtsentstellung, die noch gut drei Tage anhielt, am nächsten Morgen in die Schule.

 

 

10/10/21 … BÜCHERFLEDDEREI … Dachte heute an das Buch von Elias Canetti „Die Blendung“. Darin regiert der Protagonist Professor Peter Kien sein Volk - seine Bücher. Für ihn ist dies die Welt der einzigen Wahrheit und des reinen Geistes, während draußen in der Wirklichkeit ein alltägliches "oberflächliches Gewirr von Lügen" herrscht. Kein ist Inhaber der größten Bibliothek Wiens. Von einer solchen Bibliothek träumte ich schon als kleiner Junge; als ich das Buch „die Blendung“ vor 30 Jahren las, war ich schon auf einem guten Weg. Heuten brachten wir einen Zentner Bücher zum Umsonstregal. Wird also nix draus. Das Aussortieren der Bücher hatte was von einer Beerdigung. Viele Jahre hatte ich so manches Buch beim Umziehen in Kisten verpackt und von einer Wohnung in die andere geschleppt. Döblin´s Berlin Alexanderplatz zum Beispiel: Ich habe das Buch nie gelesen und ich kam beim Aussortieren zu dem Ergebnis, dass ich es in diesem Leben wohl auch nicht mehr lesen werde. Muss man all die Bücher von Bernd Engelmann oder Günter Wallraff aufbewahren? Oder Bände, die ich mal irgendwann für zwei Mark in der Wühlkiste bei Zweitausendeins gefunden habe? Und wie ich an die Biografie von Marguerite „Peggy“ Guggenheim gekommen bin, weiß ich bis heute nicht. War schon merkwürdig, all die alten Schinken auszulagern, fast schon ein Gefühl von Fledderei. Gibt´s eigentlich schon das Buch: "Friedhof der aussortierten Bücher"?

 

 

5/10/21… REISE REISE … Seemann reise und die Wellen weinen leise … weiß auch nicht, warum mir dieser Song von Rammstein einfällt. Ich mag Rammstein nicht, aber manchmal fällt mir ja auch ein Lied von Helene Fischer ein. Ich stehe an der Bushaltestelle SENDENHORST, neben mir mein kleiner Koffer, und schaue auf meine Arbeitsstelle gegenüber. Mir kommt der Gedanke, dass ich dort in der Woche mehr als die Hälfte meiner bewussten Zeit verbringe. Erschreckend viel … Lange nicht mehr Bus gefahren. Ein Mensch liest ein Buch, der Rest starrt wie hypnotisiert aufs Handy. Man hat ja sonst nichts. Es wird Herbst, denke ich. So oder so. MÜNSTER: Hauptbahnhof. Er ist jetzt noch hässlicher als vor seiner jahrelangen Renovierung, finde ich. Ist ja auch ne KUNST - die Aufrechterhaltung des Hässlichen! Überall stinkt es nach gebratenem Kadaver. Ich kaufe mir ne KONKRET… Reiselektüre, obschon ich nicht ohne unterwegs bin. Wusste gar nicht, dass es die Zeitschrift noch gibt. Lesen, was andere nicht wissen wollen, steht drauf. Auf dem Bahnsteig steht ein anderer Zug als auf dem Plan angegeben. Zum Glück gibt es einen Echtzeitfahrplan. Echt heißt ja auch so viel wie wahr. Aber was ist schon noch wahr, nicht wahr? HAMM: Der Anschlusszug hat selbstredend Verspätung. Echtzeit also. Ein Papierkorb brennt im Raucherbereich. Willkommene Abwechslung. Mein Zug nach BERLIN fährt ein. Wieso kann man eigentlich Digitalanzeigen bei Sonnenschein nicht lesen? Und warum kann man im Jahr 2021 immer noch keine Durchsagen auf dem Bahnsteig verstehen? Alleine reisen hat was Unwirkliches für mich. Der Zug fährt ein. Ich sitze fast allein im Ruhebereich des Zuges - ganz hinten. Fast allein… mit einem unzufriedenen Kleinkind, das den metallenen Müllbehälter für sich entdeckt hat. Immer noch besser als smartphonophile Jungbetriebswirte. Der Zug hält...Irgendwer steht auf den Gleisen. Muss entsorgt werden, wie der Zugführer tatsächlich durchs Mikro charmantisiet. Also natürlich, setzt er nach. BERLIN HBF... Ich schäle mich aus dem Etagengewimmel und finde den Ausgang. Ik glob, ik spinne…2 Jahre nicht hier gewesen und schon sieht es drumherum aus wie in Galactocity. Ab zum Hotel…nebenan klappert es rhythmisch an die Wand. Güte, wie kann man beim Fernsehgucken poppen oder was da immer geschieht. Ich wusel mich durch die Straßen und finde ne adäquate Szenekneipe…Rotwein & Wasser. Reise, Reise Seemann Reise… Jeder tut's auf seine Weise! Angekommen!

 

 

WILDE ZEITEN (1) … 1/10/21 … Sie stand im alten Jovel an der Weseler Straße beim Bierholen im Weg. Das Wesen vor mir war 18 and a little bit, klein, hübsch, hatte meterlange dunkle Haare und besaß eine gewisse jugendliche Drallheit. Ob ich was zu rauchen hätte, fragte sie mich und ich schaute in zwei tiefbraune Augen. Ich lächelte sie an, sagte "aber klar", zog mein DRUM-Tabakpäckchen aus der schwarzen Lederjacke und drückte es ihr in die Hand. Danach setzte ich den Bierholvorgang fort. Güte, ich befand mich noch in der Trauerphase: Vor 7 Tagen hatte mich nach 9 Jahren meine Freundin mitten im Frankreichurlaub verlassen. Deswegen war ich auch in Schwarz; ok, damals trug ich sowieso nur Schwarz. Existentialist eben! Jetzt bloß keine falschen Aktionen. Ich war 26 und das Mädel vor mir … ich kehrte mit zwei Bieren zurück und drückte ihr eins in die Hand. Feuer hatte sie übrigens auch nicht. Ob ich öfter hier wäre…usw…usw… tief in der Nacht brachte ich sie nach Hause und wir trafen uns, so oft es ging. Am Wochenende waren wir unterwegs in angesagten Münsteraner Diskotheken. Oft kam ich vor lauter Rumknutschen gar nicht mehr zum Trauerphase bedingten Biertrinken.

Eines Nachts so gegen 3 Uhr waren wir mit dem Auto auf dem Rückweg vom Albatros in Mesum. Es lief Led Zeppelin; "Stairway to heaven" sei für sie ein musikalischer Orgasmus, sagte sie immer. Und dann schaute sie verträumt in den nächtlichen bzw. frühmorgendlichen Himmel und hauchte: Jetzt müsste man am Meer sein. Ich legte eine neue Kassette ein - The Art of Noise (sie fand das auch erotisch) -, machte eine Vollbremsung und drehte mitten auf der Bundesstraße mit quietschenden Reifen um. Erschrocken starrte sie mich an. Was hast du vor? fragte sie mich. Zum Meer fahren, nuschelte ich durch die Zigarette im Mund und fand mich selbst ziemlich spontimäßig. Sie lächelte mich - es sah wirklich so aus - verliebt an. Als ich Stunden später mit meinem R4F6 auf einem Parkplatz irgendwo am Meer - es war auf jeden Fall die Nordsee - stoppte und "Wir sind da" sagte, war sie neben mir tief und fest eingeschlafen. Ich stieg aus und rauchte mir eine Morgenzigarette. Mit starrem Blick auf die Brandung. Die Beziehung hat nicht lange gehalten. Für Paris hat's noch gereicht, aber das war eine andere Geschichte.

 

 

ON DOPE … 25/9/21…. Mecklenburgische Seenplatte, Rätzsee. Es ist später Morgen und ich hocke auf dem kleinen, recht leeren Campingplatz vor unserem Wohnmobil. Bekleidet bin ich mit einer Fischerhose, einem Band-T-shirt und einer Kimonoähnlichen Jacke. Es ist zwar eigentlich ein FKK-Platz, aber bei der morgendlichen Kälte hüpft hier niemand nackich rum. Da bleibt ein junger Mann vor mir stehen, der mit seinem Kanu auf Tour ist. Ob er mal was fragen dürfte. Klar, sag ich. Was Farasan bedeuten würde. Das Wort, obendrein mit dem Konterfei von meiner Frau und mir versehen, ist auf dem Wohnmobil mehrfach zu lesen. Ich erklär's ihm. Dann hätte er noch eine Frage: Ob ich früher LSD genommen hätte. Erstaunt, aber auch belustigt schaue ich ihn an und frage: Warum? Weil du für dein Alter ganz schön hip aussiehst, ist seine Antwort. Ne, sag ich, dass ist kein LSD, das ist die Liebe. Ich bin naturstoned. Aha, nickt er, wünscht noch ne gute Fahrt und geht zu seinem Zelt. Zwei Tage nach meinem 62. Geburtstag - läuft!

 

 

9/9/21 … METAL AM MORGEN … Mein morgendlicher Weg zur Arbeit (und somit auch der abendliche Rückweg) ist ca. einen halben Kilometer länger als der eigentliche, dafür aber landschaftlich schöner und weniger befahren. So bleibt mir die Qual erspart, alle Nase lang einem dieser Dullis zu begegnen, die ihre aufgestaute Aggression durch asoziales Autofahren kompensieren. Aktuell ist meine Nebenstrecke mit Baustellen übersäht; alle Nase lang wird irgendwo irgendwas verbuddelt. Kein Wunder, dass der Mais so hoch steht: Vermutlich Auswirkungen der ganzen Glasfaserkabel (Endlich habe ich mal meine ganz eigene Verschwörungsfantasie!). Auf halber Strecke an einer unübersichtlichen Stelle steht heute ein gelbwarngewesteter Arbeiter, um den spärlichen Verkehr zu regeln und so komme ich direkt neben einem Bauloch zum Stehen. Wie jeden Morgen ballert aus meinen recht üppigen Lautsprecherboxen irgendein metallophoner Lärm; ich meine mich zu erinnern, es war das Death Metal-Stück „Bleed“ von Meshuggah. Es läuft justement ein Part, bei dem das Schlagzeug endzeitmäßig malträtiert wird und der Sänger röhrt wie ein verendender 12-Ender. Da schraubt sich aus der Grube ein weiterer Arbeiter: In seiner rechten Hand trägt er ein Schweißgerät, mit der linken zeigt er die Pommesgabel, den internationalen Gruß der Metalheads. Der Typ mit dem geknoteten Zopf auf dem Kopf, tüchtigen Muckis an den Armen und Dreck im Gesicht ist so eine Mischung aus braungebranntem Rettungsschwimmer und Wacken-Dauerkarten-Besitzer. Für eine Weile headbanged er zum Takt mit und verschwindet dann sukzessive und grinsend wieder in seinem Loch. Ich war sprachlos und musste vom Durchwinkkollegen eigens zur Weiterfahrt aufgefordert werden. He made my day!

 

 

27/8/21 … WAHLBLABLAKATE … Sagen wir mal, ich würde keine Nachrichten sehen oder hören, so wüsste ich spätestens seit neulich, dass in absehbarer Zeit Wahlen anstehen. Woran ich das sehe? Es hängen überall Plakate – ob ich will oder nicht. Und da auf den Plakaten in zum Teil reihenhausgroßer Anfertigung die Köpfe der ganz großen Politiker:Innen abgebildet sind, könnte ich als potentieller Nichtnachrichtengucker davon ausgehen, dass es sich um Bundestagswahlen handelt und der nächste Kanzler respektive die nächste Kanzlerin ausgeknobelt wird. Nun bin ich, so lange ich politisch denken kann, nicht unbedingt ein Wahlplakatliebhaber, um es mal zunächst vorsichtig auszudrücken. Ich finde sie aus unterschiedlichen Gründen (auch aus ökologischen) mehr als bekloppt. Unter anderem deswegen, weil auf ihnen nichts draufsteht, was in irgendeiner Weise zur politischen Willensbildung (welch galanter Begriff) beitragen könnte. Der überwiegende Teil ist aussagekräftig wie eine Nudel- oder Hundefutterwerbung. Wobei – großes Lob an die SPD – es gibt ein Plakat der Sozis, auf denen 10 - in Worten: zehn - Punkte aus dem Wahlprogramm zu finden sind. Ich muss gestehen, dass ich es bis heute noch nicht geschafft habe, die alle zu lesen. Vermutlich wäre jeder Grafikdesignstudent mit so einem Plakat mit Pauken und Trompeten durch die Aufnahmeprüfung gefallen, da es wahrnehmungspsychologisch den Betrachter überfordert. Aber hey: endlich mal richtige Aussagen! Am besten finde ich - jedenfalls in meiner Stadt - die AfD-Plakate, weil die noch gar nicht hängen! Vermutlich rücken nächtens wieder die Schlägertrupps der Rechten mit riesigen Leitern an, um den blau-weißen Scheiß an die höchsten Laternen zu knüpfen. „Je höher die Wahlplakate hängen, desto mehr stinkt die Politik der Partei zum Himmel.“ (aus Satzzeichen, AI) Was mich aber an all den Wahlblablakaten besonders ärgert, ist die Selbstverständlichkeit der dort zu findenden Aussagen: Wirtschaft und Klima ohne Krise, Gemeinsam für ein modernes Deutschland, Für einen starken Sozialstaat, Respekt für dich, Aus Liebe zur Freiheit … ja du liebe Güte: Sollten das nicht eigentlich Grundvoraussetzungen jeder politischen Organisation sein? Ich finde Parteien, die keinen Respekt haben, nicht sozial denken, eine offene Gesellschaft und Freiheit ablehnen oder einschränken, Umwelt und Klima nicht schützen, besitzen einen unbedingten Arschlochfaktor und sollten bis ans Parteilebensende geächtet werden oder gleich Dresche beziehen, was sich natürlich für mich als Pazifist verbietet. Und genauso schlimm finde ich die Pappnasen, die so einen Scheiß auch noch wählen! Was ich wähle? Unter all den Plakaten fand ich jetzt eins, das mich sehr angesprochen hat. Darauf stand: Gartenträume. Das sagte mir irgendwie zu!

 

 

20/8/21 … MORGENDÄMMERUNG … An so manchem Morgen fühlt sich der junge Tag an wie Alufolie zwischen den Zähnen und der Motivationspegel hängt sackig in schwindelnden Tiefen. Meistens dauert das von Montag bis Donnerstag, manchmal macht auch der Freitag mit. Oft schau ich dann auf meine smartphonale App „Final Countdown“: Noch 1199 Tage, 13Stunden und 53 Minuten steht da. Dann schließe ich für gewöhnlich die Augen und mache eine mentale Zeitreise.

 

Früher Morgen! Meine Frau und ich haben den Wecker auf Sonnenaufgang gestellt, huschen aus dem Bett und stellen uns ans Fenster – flusswärts blickend. Draußen haben sich bereits die ersten Vögel – und wir haben unzählige davon im Garten – am Vogelfütterungsbaum versammelt und verzwitschern uns den Moment. Wir schütten uns ein Gläschen Sanddornlikör vom letzten Darß-Urlaub ein und stoßen auf das träge am Firmament hochkriechende Leuchtgestirn an. Die Zeremonie nennt sich auch Sonnengruß. Natürlich geht's dann noch mal ins Bett; die morgendliche Nachschlummerphase soll besonders glatte Haut machen. Nach dem Gassigang mit dem dann bei uns lebenden Hund Cardhu setzen wir uns auf die Bank vor dem Haus und machen die Welle für die zur Arbeit fahrende Bevölkerung. Vielleicht bastel ich Schilder a la „Faulheit ist der Humus großen Geistes“ oder „Macht mal öfter blau“, um die zur Arbeit Verdammten zu motivieren. Zum Frühstück gibt es selbst gebackenes Brot, selbst geerntete Früchte aus dem Garten fürs Müsli und selbst im Zeitungsladen geholte TAZ, wobei ich natürlich mit meiner Lieblingszeitungsverkäuferin wie immer über den Irrsinn außerhalb der Irrenhäuser - mit Schwerpunkt Telgte -philosophiere. Möglicherweise schließt nach dieser Mahlzeit etwas politische Betätigung an: Ein Schmähbrief an Lusche Laschet oder an den Nörgel-Christian von den Freidemokraten, eine verdeckte Aktion gegen Tierleid bzw. Faschismus oder ich schieß ein paar Paketdrohnen von Amazon ab, die mir den Himmel zu sehr verfinstern und daher auf den Sack gehen. Eventuell stehen auch Staubsaugen, Kelleraufräumen oder spontanes Meditieren auf dem unstrukturierten Tagesplan. Bis hierhin ist der Morgen der Zukunft schon mal geplant. Ach je, und immer noch 1198 Tage - bis zur Rente!

 

 

11/8/21 … ORIENTIERUNG … Mir hängt ja der zweifelhafte Ruf nach, über einen – sagen wir mal - dysfunktionalen Orientierungssinn zu verfügen. Nur weil ich vor gefühlt Jahrzehnten mal Haus Langen (liegt in der Nähe von Telgte) nicht auf Anhieb gefunden habe, obschon ich steif und fest behauptete, früher zigmal dort gewesen zu sein. Seitdem heißt es immer: Na, fahren wir wieder über New York (nervige Stadt in Amerika) nach Haus Langen? Paah, lag ja alles nur daran, dass die dämlichen Straßenbauer mir vorher nicht Bescheid gegeben haben, dass die Wegführung eine andere geworden ist!

 

Nun wurde ich aktuell an diese Sache mit der Orientierung erinnert. Wir schrieben das Jahr 2019 und Corona war lediglich als Biermarke bekannt; ein Gesöff, dass in meiner Top 30 der bevorzugten Getränke nie eine Rolle gespielt hat. Wir hatten unser Wohnmobil gepackt und ich! gab unser Ziel in dem Navi ein: Finkenbach, ein Ort der ist, wie er klingt: Klein. Dort erwartete uns ein Hippiefestival mit psychedelischer Musik, bei der Stücke schon mal 20 Minuten dauern und somit für den Mainstreamhörer von heute eine Katastrophe in Sachen Geduldsprobe darstellen. Vermutlich auch sonst. Love, peace & harmony … und hey, endlich mal wieder vernünftige Menschen; letztere sind nämlich im normalen Leben rar gesät. Finkenbach liegt im Odenwald, der so Pi mal Daumen zwischen Frankfurt und Heidelberg liegt. Wer das nicht wusste, sollte kein Trübsal blasen; das geht einem vermutlich bei anderen Mittelgebirgen wie Taunus oder Spessart genauso. Meine Frau und ich waren beschwingt und guter Dinge ob des besonderen Wochenendes und der damit verbundenen Auszeit von der Doofwelt. Nun muss man erwähnen, dass meine Frau als Orientierungswunder mit Navis auf Kriegsfuß steht und sich gerne schon mal einmischt, wenn ihr die Wegempfehlungen der blöden Digitaltussi nicht in den Kram passen. So auch dieses Mal: Die Kilometerangabe stimme nicht, die Autobahnführung sei merkwürdig und außerdem fand sie Koblenz als Zwischenziel kurios. Ich versuchte zu beschwichtigen, da ja Navis nun mal die Aufgabe hätten, Staus zu umgehen. Spätestens ab Ecke Wiesbaden kam mir die Geschichte auch spanisch vor und wir zogen den guten alten und zerknitterten Autoatlas zurate. Und siehe da: Es gab zwei Finkenbachs: Eins im Odenwald und eins – sagen wir mal – oberhalb von Kaiserslautern. Somit hatte ich das Falsche eingegeben, was einen Umweg von über 100km ausmachte. Shit happens, wer denkt sich auch so bekloppte Ortsnamen aus – und das auch noch doppelt! Da ich die liebste Ehefrau der Welt habe, kommentierte sie den Vorfall damals lediglich grinsend: Gut, dann fahren wir eben über New York nach Finkenbach. Morgen geht´s in gleicher musikalischer Mission nach Waffenrod, was in Thüringen liegt. Vorsichtshalber habe ich recherchiert: Es existiert nur einmal! New York, du kannst mich mal!

 

7/8/21...  SCHWRARZ-GRÜN-ROT … Auf mich kommt ein netter, mir völlig unbekannter Mann zu ... Typ alternativer Ambientbauer im Overall ... "Hier, schau mal, Seifenblasendose von der CDU", grinst er. Dann pustet er ein paar Blasen über den Telgter Markt und zeigt nach oben. Ich weiß noch nicht warum er mich auserwählt hat. "Merkste was? Guck mal die Farben: Rot und Grün!" Er hat voll den Spaß und klopft sich auf die Kniee. "Laschet-Ablenkungsmanöver", sag ich, er zeigt Daumen-Hoch und verschwindet winkend. Das sind die Momente, wo ich die Menschen doch etwas liebe.

 

 

5/8/21 … LASCHET ... Ausgerechnet Laschet! Wohin man schaut, sieht man momentan die Visage eines Politikers, wie man ihn sich sinnfreier und ungeeigneter nicht vorstellen kann. Für mich ist der Typ die Fleischwerdung der galoppierenden Langeweile. Nun kann ja niemand was für sein Äußeres, aber bei ihm bin ich stets froh, dass ich ihn mangels Fernsehgeräts nur auf dem Display meines Smartphones ertragen muss. Nein, es hat nichts oder fast nichts damit zu tun, dass ich seine Partei spannend finde wie eine in der Herbstsonne schlafende Nacktschnecke und es hat auch nichts oder fast nichts damit zu tun, dass ich politisch diametral anders denke und obendrein keinen Kanzler oder andere Führungsstrukturen benötige, aber ausgerechnet Laschet? Dieser bildzeitungsaffine, fremdschämobeliske, aalglatte, lobbylabbrige, aussagefreie und politdysfunktionale Analogfunktionär!? Ok, schon meine Eltern bläuten mir ein: Junge, du kannst nicht Alles haben. Aber hey, bei meiner Frau, meinem Liebes- und sonstigem Leben hat es doch auch geklappt! Laschet oder wie ich ihn gerne nenne: „Lusche“ Laschet erinnert mich stets an Radiomusik wie z.B. auf WDR2: Es läuft jeden Tag das Gleiche, jedes Stück klingt wie das vorherige, man erlebt nie Überraschungen, auf Anspruch wird verzichtet und wenn Pfingsten mal Nothing Else Matter (wer ist eigentlich diese Else?) läuft, denkt man sofort: Oh Güte, was für ein Lärm. Nun gibt es ja den schlauen Satz, dass jedes Volk die Politik und damit auch Politiker kriegt, die es verdient. Aber könnte man nicht einmal eine Ausnahme machen und auch an Leute wie mich denken? Ich hätte gerne mal einen Politiker oder eine Politikerin, der oder die Klartext spricht, die Sachen bei den Wurzeln packt, sachorientiert arbeitet, keiner Partei angehört und Dreadlocks trägt. Ist jetzt nur ein Beispiel. In der nächsten Folge geht es um Friedrich Merz oder wie man sich mit kapitalistischem Denken die zerebrale Moralinstanz wegätzen kann.

 

 

28/7/21… NÜSSE IM KOPF… Meine 8-jährige Enkelin schaut vom Essen auf, blickt mich von der Seite an und fragt: "Opa, hast du eigentlich noch alle Nüsse im Kopf?" Ich erstarre, lass die Gabel sinken. Alle Nüsse im Kopf? Meint sie damit so etwas wie alle Latten am Zaun? Oder alle Tassen im Schrank? Den Moment habe ich gefürchtet, wo meine Enkelin peinliche Alterserscheinungen an mir feststellt. Ich frag also nach. "Wie meinste denn das?" "Naja, ein Junge aus der Klasse hat auch keine Nüsse mehr im Kopf." "Und, wo sind die geblieben?" hake ich nach. "Die hat der Doktor wegoperiert", antwortet sie beiläufig. Mir schwante etwas. "Meinst du etwa Mandeln?" frage ich? "Ja genau", freut sie sich und spießt ne Pommes auf. Irgendwie bin ich erleichtert!

 

 

23/7/21...JANETTE ODER WIE SIE HIESS … Wir nannten uns "die letzte Reihe" und waren ein loser Haufen verpeilter Jungstudenten. Das heißt, jung waren alle außer mir. Als Späteinsteiger in das Psychologiestudium war ich der Älteste in der Runde, was aber in meinem Fall den klaren Vorteil hatte, ALLE einschlägigen Kneipen in Münster zu kennen. Aus der Perspektive von ganz hinten hatte man den besten Überblick im Vorlesungssaal, es fiel aber auch nicht auf, wenn man bei der öden Lernpsychologie (!!!) ein Nickerchen machte. Zwei bis drei Reihen vor uns saß stets eine absolut hübsche Studentin, die ihre weiblichen Reize geschickt einzusetzen verstand, was der Konzentration, vor allem bei den männlichen Studis, nicht sonderlich zuträglich war. Schon gar nicht bei Vorlesungen zur Lernpsychologie. So manches Mal trafen sich meine Blicke mit denen meines Kommilitonen Jürgen. Kurzes Heben der Augenbrauen, ein schwerer Seufzer und es war klar: Auch bei Jürgen herrschte gerade ein lernpsychologisches, hormonbedingtes Blackout. Allein immer dieser Ausschnitt! Diese Figur! Ihre wilden Haare! Sie hieß - glaube ich - Janette, aber niemand hatte mit ihr so richtig Kontakt. Ein nahezu mystisches Wesen. Man grüßte sich, das war's auch schon.

 

Irgendwann später stattete ich der Sauna meines Vertrauens einen Besuch ab. Nach dem Schwitzen begab ich mich ins arschkalte Schwimmbecken. Ich dümpelte da so leicht eingetrübt vor mich hin, da erblickte ich plötzlich durch den Chlor-Schleier vor meinen Augen - wen wohl - Janette. Wie Gott, oder wer es war, sie geschaffen hatte. So ein bisschen Lara-Croft-mäßig stand sie da, während das Wasser ihre Brüste umsäuselte. Hi, begrüßte sie mich mit ihrem reizvollsten Lächeln. Sie stand mir direkt gegenüber. Wie geht's? Ich weiß nicht, was ich geantwortet habe, ich weiß nur noch, auch wenn ich alles andere als prüde war und bis heute nicht bin, froh gewesen zu sein, dass sich der sensible Teil meines Körpers unter Wasser befand.

Als ich am nächsten Tag Jürgen - ich glaube, es war bei der ebenfalls knochentrockenen Vorlesung zur Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychogie - erzählte, dass ich gestern Janette im Saunabad getroffen hatte und zwar splitterfasernackt, war es mit seiner Konzentration vollends vorbei. Irgendwie wurde ich den Rest des Tages das Gefühl nicht los, Neid bestimmte unsere Interaktion.

 

 

13/7/21 ... FUSSBALL ... Die EM ist vorbei. Oder gibt’s noch ein Nachspiel? Ich muss ja gestehen, genau null Spiele geguckt zu haben. Nein – halt – dem Elfmeterschießen im Endspiel habe ich auf dem Handydisplay beigewohnt; vom Hocker gehauen hat es mich aber auch nicht. Fußball ist einfach nicht mein Ding und genau das macht mir etwas Sorgen. Die Betonung liegt auf „etwas“. Die Misere begann als kleiner Junge und Schuld trägt mein Vater. Der hatte nämlich die Einstellung: Gewinnen muss immer der Bessere. Das ist natürlich keine adäquate Fußballfanfrüherziehung, aber heute denke ich, dass dies im Grund eine hochphilosophische Ansicht war. Fußball ist ja auch ein bisschen Glücksspiel und man schaut ja auch keine Flipper-EM. Als junger Gymnasiast merkte ich, dass ich mit dieser Einstellung keinen Blumentopf gewinnen konnte. Montagmorgens beim Warten auf den Schulbus am Telgter Marktplatz wurden nämlich die Bundesligaergebnisse diskutiert. Man war entweder für Schalke oder Borussia, selten für Bayern. Allerdings hatte ich weder einen Bezug zu Gelsenkirchen, Dortmund oder München – warum sollte ich dann ausgerechnet für diese Mannschaft sein? Telgte war damals grade nicht in der Bundesliga und Preußen Münster, was ja Sinn gemacht hätte, auch nicht. Mein Statement, nur für eine Mannschaft zu sein, wenn dort ausschließlich Ortsansässige mitspielen, also z.B. nur Gelsenkirchener bei Schalke, führte zu bösen Diskussionen und man brandmarkte mich als absolute Fußballlusche. Aus Protest entschied ich mich, ab sofort Fan von Bremen zu sein, was aber nur von kurzer Dauer war und so hörte ich auf, für den Montagmorgen die Tabelle auswendig zu lernen. Da man mit den ganzen Fußballdeppen im Gegenzug aber nicht vernünftig über Rockmusik diskutieren konnte, weil die Looser zuhause vermutlich Suzi Quatro oder Gilbert O’Sullivan hörten, sah ich das als gerechten Ausgleich. Jedem das Seine, hätte mein Vater gesagt.

 

Dann wurde mein bereits retardierter Fußballenthusiasmus noch einmal kurz auf Hochkonjunktur gebracht. Vor einem viertel Jahrhundert schenkte ich meinem Patenkind zur Kommunion ein Schalke-Spiel, womit ich neben all den Farbkästen, Bibeln und Puzzlespielen natürlich den Vogel abgeschossen habe. Einziger Haken: Ich musste mit. Premiere! Ich erinnere mich noch: Der Gegner hieß Bielefeld. Also machten wir uns auf den Weg ins Stadion, das damals noch nicht den Namen einer dusseligen Firma trug. Auf dem Weg dorthin lagen bereits die ersten Schnapsleichen, während der gefühlte Rest nur mit Müh und Not, dafür aber schwankend und immerhin grölend das Ziel erreichte. Warum nur hatte ich nicht auch einen Farbkasten von Pelikan verschenkt? Dann segelte Jürgen Möllemann mit dem Fallschirm vom Himmel (dieses Mal aber noch nicht in der Finalversion) und das Spiel begann. Mein erster Gedanke: Ich Echt sieht man auch nicht mehr als im Fernsehen. Dann erste Unterbrechungen: Es wurden Blendgranaten geworfen und menschliche Hulks hingen und rüttelten an den Abgrenzungszäunen und brüllten, als hätte man sie frische auf eine Folterbank gespannt. Mein Patenkind ergriff aus Angst meine Hand und ich dachte wieder an Malkästen. An ruhiges Sitzen war nicht zu denken, wir mussten ständig aufstehen, weil die Meute um uns herum (wir standen im Schalke-Bereich) ständig „Alle die für Schalke sind … Aufstehen!!!“ riefen. Nein: Brüllten. Beim Fußball wird gebrüllt, nicht gerufen! Mich erinnerte das ein wenig an die Karfreitagszeremonie in der Kirche; nur dass es dort ständig „Beuget die Knie“ heißt und der Pastor natürlich nicht brüllt. Ich habe keine Ahnung, wer das Spiel damals gewonnen hat, jedenfalls machten wir uns frühzeitig aus dem Staub, um möglichen Eskalierungen aus dem Weg zu gehen. Seitdem ist für mich Fußball komplett gestorben. Warum, und das ist eine ernsthafte Frage, wird eigentlich nicht jedes Jahr Wacken in voller Länge im Fernsehen übertragen und als public viewing auf dem Telgter Dümmert gezeigt? Die Welt ist so was von ungerecht und einseitig!

 

 

11/7/21 ... GERDA ... Unser eher kleiner, an der Ems liegende Garten fällt vermutlich unter die Kategorie kultivierter Wildgarten. Das scheinen eine Reihe von Tieren sehr zu genießen. Die Menge der Vögel, die bei uns Futter finden, ist beträchtlich: Meisen, Spatzen, Amseln, Kleiber, Buntspechte oder Rotkehlchen. In unserem Ginkgo turtelt Jahr für Jahr ein Taubenpärchen und nistet im Baum nebenan. Eines Tages kam Gertrud - eine Ente - von der Ems hochgewatschelt und leistete uns über Wochen Gesellschaft beim Frühstück oder wenn wir auf der Terrasse saßen. Später präsentierte sie uns ihre Küken, was wir eher suboptimal fanden. Dann lag eines Tages Hornie vor der Tür - ein junges Eichhörnchen. Wir peppelten ihn auf, um dann seine anfangs unbeholfenen, später kapriziösen Kletterkünste zu bewundern. Irgendwann zog es ihn in andere Baumregionen - größere Herausforderungen. Letzte Tage saß plötzlich Gerda im Garten. Eine beringte Taube. Tauben haben einen schlechten Ruf, weshalb es einige Eltern auch legitim finden, wenn die Kinder nach ihnen treten. Gerda wirkte etwas schlapp. Vermutlich war sie auf einer dieser bescheuerten Taubenflugaktionen unterwegs, die ausschließlich einem Spaß machen und hin und wieder Gewinnprämien einbringen: Dem Taubenkasper. Soll sie sich ausruhen, dachten wir. Oft dauert das bei langen Flugstrecken ein paar Tage. Sie wirkte etwas fluglahm, machte aber noch kurze Ausflüge, futterte mit unseren anderen Gartenvögeln, bediente sich an der Tränke und lief uns ansonsten stets ungünstig vor den Beinen rum. Gerda war unglaublich anhänglich: Sie lag am liebsten auf unseren Füßen, liebte die rotlackierten Fußnägel meiner Frau und kam auch schon mal in die Küche gelatscht, um ihre unbändige Neugierde zu stillen. Sie fraß aus der Hand und ich sah mich schon mit ihr auf der Schulter durch die Stadt gehen. Morgens, mein erster Blick: Wo steckt der Vogel? Oft hockte sie schon vor dem Fenster und lugte ins Haus. Da sie beringt war, versuchten wir den Besitzer ausfindig zu machen. Gerda kam laut Ring aus Belgien. Die Suchoption funktionierte nicht. Gestern hatte sie plötzlich Schwierigkeiten, eine Stufe hochzukommen so dass ich ihr helfen musste. Heute morgen lag sie tot im Garten, wo ich sie beerdigt habe. Gerda war uns ans Herz gewachsen. Bei der Recherche erfuhren wir dass dieser Taubensport eine reine Tierquälerei ist. Ach, Taube Gerda, dann hattest du möglicherweise bei uns noch ne feine Zeit. Rest in peace!

 

 

1/7/21 … DISKUSSIONSGRUNDLAGENBERATER … Unterwegs im Land. Etwas plump und ungraziös taumelt die Normalität in den Alltag zurück. Doch egal ob an der Bushaltestelle, im Biergarten oder wie in unserem Fall auf dem Wohnmobilstellplatz, überall tratschen die Leute über die Coronazeit und ihre Nachwehen. Vermutlich ist das so eine Art Katharsis: Sich den aufgestauten Frust von der Seele reden. Allerdings nervt mich dieses ewige Coronarisieren. Gibt's denn wirklich keine anderen Themen? Hier eine kleine Auswahl für die nächste Busfahrt:

  • Warum werden immer die talentfreisten Kandidaten Kanzler?
  • Warum haben wir so eine einfallslose Deutschlandfahne?
  • Sind Raser auf den Straßen tatsächlich chronisch untervögelt?
  • Warum wird eigentlich nie über die Rente ab dem Tod diskutiert?
  • Warum arbeiten Parteien selten bis nie an der Sache, sondern immer nur am eigenen Profil?
  • Warum dürfen Tiere, bevor sie als Kadaver verspiesen werden, eigentlich nie die Sonne sehen?
  • Wann kapieren wir, dass Krieg und Militarismus ausschließlich eins beweisen: Wie dämlich die Spezies Mensch ist?
  • Warum schafft man nicht die gesamte royale society ab?
  • Wieso darf man in der Öffentlichkeit straffrei geschlechtsteilbetonende Radlerhosen tragen?
  • Wann ist ein Mann ein Mann und wieso muss er deswegen karierte Hemden tragen?
  • Und natürlich: Warum machen die Menschen inklusive Sex alles so schnell?

Wie wäre es mit einem neuen Beruf: Diskussionsgrundlagenberater?

 

27/6/21… UFOS…. UFOs! Wohin man am Abendhimmel schaut: Ufos! Der SPIEGEL hat daraus ne fette Story gemacht und all die Verschwörungsdullis laufen mit Schnappatmung durch die Gegend, weil nun endlich doch das geschieht, was immer und ewig angekündigt wurde: Donald Duck im Rotkäppchenkostüm landet auf der Erde und rettet die Menschheit vor der Müslisierung des christlichen Abendlandes. Ey Leute, mal halblang! Ich saß heute Nacht bis Zwei mit meiner geliebten Frau im Garten, die englische Rose duftete mit dem Rosmarin um die Wette, es waren sicherlich zwei Flaschen französischer Rotwein im Spiel und wir planten unsere Reisen für 22 bis 25. Und soll ich was sagen: Über uns schwebten gefühlt sieben Ufos in Herzform und schickten rote Lichtblitze auf uns hinab. So läuft das! Soll ich deswegen gleich an die Presse gehen?

 

24/6/21 … DER DUFT VON SYLT … Meine Schwiegermutter hatte sich für Sylt als Ziel unseres gemeinsamen Kurzurlaubs, den wir dann und wann mit ihr unternehmen, entschieden. Da wollte sie immer schon mal hin; ich eher nicht. Ich stellte es mir nicht sonderlich erquickend vor, in die ewigen Laichgründe der Schickeria abzutauchen, um den tristen Charme der Bourgeoisie miterleben zu müssen. Aber mit Sylt ist es wie mit Mallorca: Was kann die Insel dafür, dass dort so beballerte Leute rumhängen? Doch das vorweggenommene Fazit lautet: Sylt ist ein schnuckeliges Eiland, wenn man einen großen Bogen um Westerland und Sansibar macht.

 

Beim Durchcruisen der Insel stießen wir auf ein großes Geschäft, in dem Accessoires verkauft wurden. Accessoire ist der neumodische Ausdruck für Staubfänger. Wir also rein da und durch die Gänge schwadroniert. Ich weiß ja nie, wer sich so einen Krempel wie Plastikschriftzüge a la „Sweet Home“ oder springende Fische aus Pressholz in die Hütte stellt, aber der Absatz funktionierte reißend, ging man nach der chronisch fröhlichen Laune des braungebrannten Ladenbesitzers. By the way: Ich finde ja als Plastikvermeider Seife am Stück toll und wurde diesbezüglich fündig; ich habe nämlich eine Schwäche für schwarze Herrenseife. Derweil sah man Schwiegermutter in der Duftzone rumstöbern. Als wir uns draußen wiedertrafen, roch Schwima wie ein vierstöckiges Wellness-Center und ließ uns alle an ihrer Bluse und ihren Handgelenk schnuppern. „Ist das nicht ein tolles Parfüm?“ schwärmte sie. Sie hatte sich mit dem Zeug komplett eingedieselt, doch sparsam wie sie ist, hatte sie auf den Kauf verzichtet. Nun ist ja Geruch eine Bandbreite, aber immerhin roch ihr Bouquet besser als so manch pudriges Altdamenparfüm. Wir überredeten sie, noch einmal in den Laden zurückzukehren, um das Parfüm käuflich zu erwerben. Der Besitzer empfing uns mit seinem Premium-Syltlächeln und sagte zu meiner Schwiegermutter: „Die Dame hat sich für das Raumspray entschieden? Eine gute Wahl!“ „Raumspray???“ Schwiegermutter schaute betreten aus der Wäsche, blickte ungläubig auf das recht teure Fläschchen, wurde sich ihrer gewaltigen Dunstglocke bewusst und ließ das „Parfüm“ unauffällig in ihrer Handtasche verschwinden. Aber nichts für ungut, für den Rest des Kurzurlaubs brauchten wir keins dieser bescheuerten, am Autospiegel rumbaumelnden Duftbäume; es roch auch so herzerwärmend. Noch Wochen später!

 

 

21/6/21 … POSER ERSCHRECKEN … Neulich in Fulda. Wir waren aus der Altstadt mit all dem Schaulaufen der haargeglätteten und –pomardierten Eitelkeiten geflüchtet und hatten eine ruhige Kneipe am Rand entdeckt: Die Posaune. Dort gab es zu meiner großen Freude Bier in eisgekühlten Humpen und da es sich bei dem Hopfengetränk um Pilgerbier handelte, war der Abend obendrein göttlich abgesegnet. Eine runde Sache! Der freundliche Wirt teilte meine Freude und wir verstanden uns augenzwinkernd, wenn es einer neuen Füllung bedurfte. Leider hatte der Außenbereich der Kneipe einen wesentlichen Haken: Er lag an der Poserstrecke Fuldas. Für Anfänger: Poser sind so eine Art moderne Hütchenspieler, die meinen, die Welt beglücken zu müssen, aber bei ihrem Erscheinen ungemein nerven. Nur merken sie das nicht, da manche so flach sind wie ihre Autos. Eigentlich handelt es sich um gut aussehende Männer mit riesigen Oberarmen, windschnittigen Frisuren und rattenscharfen Achselhemden. Die meisten wohnen vermutlich noch bei Mutti, um sich ihre 5000PSstarken Superautos mit 25 Auspuffen leisten zu können. Wenn die Monsterkarren mal so richtig aufdrehen, klingt das wie das Brüllen von King Kong, nachdem er grade von einer Salve Maschinengewehrkugeln ins Geschlechtsteil getroffen wurde. Meistens sitzen in den Riesenkarren rasante Frauen mit Ausschnitten bis zum Knie und knappen Minis, wodurch die Hormonsteuerung der Fahrer enorm getriggert wird. Möglicherweise schauen sie deshalb auch immer leicht präorgasmatisch aus der Wäsche. In der Regel läuft aus fetten Bassboxen laute Tekkno-Musik, die mich immer die Zeiten erinnert, als Schallplatten noch Sprünge hatten. Und nicht zu vergessen: Beim Vorbeifahren brüllen sie wie frisch kastrierte Ochsen über die Straße, wofür ich allerdings keine genaue psychoanalytische Erklärung habe.

 

Der göttliche Segen hielt nicht lange an und das Pilgerbier tat seine Wirkung. Wir machten uns auf den Weg zum Wohnmobilstellplatz und ich hörte deutlich in mir den göttlichen Wunsch: Zeig´s ihnen! Ich glaube, in so einer frommen Stadt wie Fulda, ist auch Gott von solchen Flachmaten endlos genervt. Wieder fuhr so ein spermaweißer und tiefer gelegter BMW 25683 an uns vorbei und die Insassen, ein Konglomerat aus bärtigen Lichtgestalten, brüllten über die Straße. Dummerweise musste die Kiste an der nächsten Ampel halten. Ampeln sind für Poser so eine Art Coitus Interruptus! Wieder vernahm ich den göttlichen Ruf „Zeig´s ihnen endlich“ und ich sprintete – aufgetankt mit Pilgerbier – los, erreichte den Boliden an der roten Ampel und schrie so laut wie es mir möglich war - und als echter Metalhead gehört Schreien zur „Wacken“grundausstattung - durch die geöffneten Fenster in den BMW. Nein ich schrie nicht, ich röhrte, wobei jeder Hirsch blass vor Neid geworden wäre. Man kennt das ja aus der Homöopathie: Gleiches mit Gleichem behandeln. Aus dem Auto schauten mir 4 Paar ungläubige und völlig erschreckte Gesichter entgegen. Dann beglückwünschte ich das Team und erzählte ihnen allen Ernstes, dass unser Land stolz auf sie sei, auch wenn ihre Aktion grottenpeinlich wirke. „Jungs“, sagte ich, „genau ihr seid unsere Zukunft!“ Ich hätte gerne alle noch per Handschlag verabschiedet, aber es wurde leider grün. Und das war auch die Gesichtsfarbe meiner Frau, die mein Ende auf den Straßen Fuldas nahen sah. Sie wirkte nicht sehr beglückt, wenn nicht gar leicht angesäuert und ich überlegte auf dem weiteren Heimweg, künftig doch wieder auf faule Eier zurückzugreifen.

 

16/6/21… GEHETZTE ELEKTROBIKER… Früher, als Fahrräder noch nicht Bikes hießen, schlich man mit aufwallender Hochachtung um eine Leeze, um zu checken, ob es sich bei der Gangschaltung um eine Shimano-Sonderedition handelte oder um ein taiwanisches Kettenmassaker. Heute bewundern die Radler die Leistung der Hilfsmotoren, Akkus oder was einem sonst so das Selbstbewegen in Teilen abnimmt. Man mag sich über Technologie, Ökologie und vor allem Ergonomie von e-bikes oder pedelecs trefflich streiten, aber was das Fahrverhalten mancher Zeitgenossen anbetrifft, gehen mir die Pedeljecken auch trefflich auf den Geist. Wir sind Genussradler auf sogenannten, übrigens neuen Bio-Bikes (kommt nicht von mir!) und halten schon mal gerne an, um die Landschaft zu genießen, ein Foto zu knipsen oder glücktrunken rumzuknutschen. Was nicht heißt, daß wir durch die Gegend kriechen. Hey man, wir kommen aus dem fucking Münsterland! Aber ich hasse es wie die Pest, wenn irgendein Analogradler berghoch wie besessen klingelt, weil er seinen selbst gesetzten Zeitdurchschnitt nicht unterbieten darf. Am Ziel wird dann nicht von der geilen Landschaft geschwärmt, sondern von der Fahrleistung und dass man wieder 1km/h mehr Hetzresultat ergattert hat. Nicht jeder ist geschwindigkeitstauglich, was vor allem in Kurven für tieffliegende Frührentner sorgt. Und hat der zumeist männliche Pilot eines Kastenelektrobikes, das mich immer an die Transformer-Serie erinnert, auch noch einen ausladenden Seitenspiegel, wird's auch für mich brenzlig und - frei nach Grönemeyer: Meine Faust möchte in sein Gesicht. Oh Mensch, wenn du unbedingt hetzen musst, dann geh doch nach Sachsen! Und warum muss man eigentlich ab 22 km/h ultradämliche Eddy-Merckx-Klamotten mit bescheuerter Firmenwerbung tragen? Gestern kam uns ein rüstiges Rentnerpaar entgegen. Er schleppte sie wegen Akkuschaden mit langem Seil ab, was zu zahlreichen Verkehrsbehinderungen führte. Ganz ehrlich: Ich konnte mir ein natürlich mitleidvolles Grinsen nicht verkneifen.

 

15/6/21... FRANKREICH:DEUTSCHLAND …Campingplatz am Chiemsee… (Lesen ging eh nicht mehr…eine Live-Mitschrift von unserem Nachbarn, vom Spiel hörte man nix)... Das glaube ich jetzt nicht…meine Güte…will der den Ball jetzt reinpullern, oder was?... das versteht doch kein Mensch…das gibt's doch nicht…üben die noch, oder spielen die schon?...kann mir das mal einer erklären?... Der muss doch vom Platz…ohne Sinn und Verstand…so ein Blindgänger…wie kann man so einen Taubstummen auf den Platz stellen…den hätte ja meine Oma reingemacht…solche Spackos…neeee…(lauter) neeeee… haste das gesehen?...diese lahmen Enten…soll das ein Stürmer sein oder was?...fällt über seinen eigenen Ball, echt jetzt…ooohh… der hat doch vergessen, was der auf dem Platz soll…auch das noch…erst haben die kein Glück, jetzt kommt auch noch Pech dazu…der ist doch sein Geld nicht wert…guck mal, da kommt ein Ball rüber…Dieser Blindfisch…so kann man's natürlich nicht machen (11 Meter) …uuuhh… ooohhh…Donnerklitzki, sag ich nur…die sind doch viel zu durchschaubar…jetzt bohrt der gleich noch in der Nase…ach du lieber Gott…wie kann man denn so was machen…da muss man doch keine Kartenleserin sein…jetzt nimmt der 10km Anlauf für nen Kullerball...dem haben sie doch das Gehirn weggetreten…viel zu langsam…haben die jetzt mal nen Ball getroffen…das war 100% Abseits…den sollte man doch steinigen…wer soll denn das glauben?...(letzte Minute läuft)...was ist denn das für ein Mist da?...den würde ich vom Platz peitschen…früher konnte man einen drauf lassen, dass Tore gemacht wurden…so wird das eh nichts…da kommt zu wenig…wie man nur gegen die blöden Franzosen verlieren kann… der ist doch B-Ware…geht der mit dem Ball spazieren, oder was…(Schlusspfiff) da bricht ja Trauer aus…ich trink mir jetzt einen! (Abgang)

 

 

10/6/21 … BADEMEISTER STEIN … Die Zielfahne meines Navis zeigte an: Hausnummer 42 erreicht! Ich hatte die Adresse in dem zerfledderten und mit unzähligen wilden Notizen gespickten Portemonnaie entdeckt, dass ich neulich vor unserer Haustür fand. Nun wollte ich die Geldbörse der rechtmäßigen Besitzerin, einer Frau S.L. eigenhändig zurückbringen; es existierte ansonsten nur die Kranken- und Bankkarte. Das Zielgebäude lag in der Nähe der alten Badeanstalt, in der ich schon als Kind jede freie Stunde im Sommer verbracht hatte. Ich schellte an der Haustür. Durchs Fenster hatte ich bereits einen sehr alten Herrn erblickt. Hundegebell, eine alte Dame schluffte zur Tür. Ob hier eine Frau L. wohnte, fragte ich. Die Frau verneinte und nun erschien auf Krücken auch der alte bärtige Mann.

 

Plötzlich tauchten Erinnerungen auf. Ich war noch keine Zehn, als mich meine Eltern zum Schwimmkursus anmeldeten. Wenn ich ins Schwimmbad wollte, das noch gar nicht so lange am Rande meiner Heimatstadt existierte, dann müsste ich auch schwimmen können, so ihre Argumentation. Ich vermute, dass zur allgemeinen Abhärtung der deutschlandweit jemals gemessene kälteste Sommertag bzw. -abend als Starttermin für meine private Schwimmstunde bei Bademeister Stein ausgesucht worden war. Wir Kinder, vor allem wir Jungs, hatten einen Heidenrespekt vor dem muskelbepackten Bademeister, der, so erzählte man sich, früher auch Boxer gewesen sei. Er sah haargenau aus, wie man sich einen solchen Badebetriebaufsichtsexperten vorstellte: Weiße Mütze, weiße kurze Hose und Hemd. Und klarer Fall: braungebrannt und mit üppiger Brustbehaarung ausgestattet; nur so konnte in meiner Vorstellung ein wahrer Lebensretter aussehen. Und üppige Brustbehaarung, so mein kindliches Denken, schützte sicherlich auch vor den oberfiesen Witterungsverhältnissen eines solchen Unsommers. Ich besaß kein einziges Haar auf der Brust; wie sollte das gehen? Da stand ich dann bei 10 Grad Außentemperatur als vor Kälte zitterndes Etwas an dem riesigen Wasserbecken und wurde freundlich, aber bestimmt in die eiskalten Fluten geschickt. Sicherlich war ich der einzige Badegast, denn wer außer mir Volltrottel ging freiwillig bei solch winterlichen Temperaturen ins Freibad?! Was für eine bescheuerte Idee. Es war für mich schier unvorstellbar, wie man die vielen Hunderte von Metern (es waren in Wirklichkeit nur 50) durchschwimmen sollte, ohne dabei vor Kälte zum Eisblock zu erstarren und gleichzeitig an der Oberfläche zu bleiben. Herr Stein simulierte die von mir erwarteten Schwimmbewegungen, wobei ich mich nicht mehr erinnere, wie er das mit den Füßen machte. Mit einer riesigen langen Stange ging er am Beckenrand vor mir her, um mich im Falle des Ersaufens kurzfristig zu retten. Wie ich das kalte und nach Chlor stinkende Wasser gehasst habe (und heute immer noch hasse). Zum Glück schaute niemand bei meinen völlig talentfreien Schwimmübungen zu. Nach einer Stunde Qual durch Anstrengung, Wut auf meine lieblosen Eltern und Kälte öffnete der gutmütige, gar nicht so boxermäßige Bademeister die Tür zum Heizraum, wo ich mich menschliche Zitterpapel eine Viertelstunde aufwärmen durfte. Heizräume können das Paradies auf Erden sein!

 

„Sind sie Herr Stein?“ fragte ich den alten Herrn an der Haustür von Nummer 42. Seine Frau „übersetzte“, da ihr Mann schwerhörig sei. Der alte Mann nickte. „Bei ihnen habe ich schwimmen gelernt“, rief ich mit erhöhter Lautstärke und freudestrahlend. „Tja, junger Mann (!!!)“, knurrte er, „ich bin alt geworden.“ Ich wünschte ihm alles Gute, verkniff mir aber zu sagen, dass ich heute Schwimmen als überflüssiges Übel empfinde. Ich sitze lieber am Wasser, am liebsten in einer ollen Hafenbar und kraule die Haare auf meiner Brust.

 

6/6/21 … QUERDENKENDE VOGELSCHEUCHEN … Manchmal, wenn ich auf Tour bin und einen guten Tag habe (und ich habe immer einen guten Tag, wenn ich on tour bin), nehme ich schon mal die Funktion „Autobahn“ aus dem Navi und juckel über Land. Mal gucken, wie man in Barterode, Osterholz-Scharmbeck oder Fretthold so lebt und wohnt. Bei einer solchen Überlanddrömmelei erblickte ich plötzlich auf freiem Feld etwas, was ich gefühlte Jahrzehnte nicht mehr gesehen habe: Eine Vogelscheuche. Potzblitz, dachte ich, Vogelscheuchen sind so was von oldschool. Das Exemplar auf dem Acker hatte alles, was zu einer echten Scheuche gehört: Hut, einen Kopf aus Stroh, eine verschlissene Anzugjacke, Hose und ausgebeulte Gummistiefel. Der Bauer – oder war´s die Bäuerin? - besaß viel Liebe zum Detail, allerdings hinterfragte ich kritisch, warum Vogelscheuchen immer männlicher Natur sein müssen. Gibt’s eigentlich Gleichstellungsbeauftragte im Agrarbereich? Und irgendwie musste ich auch an Pete Seeger denken: Where Have All The Scheuchen Gone?

Bei der Weiterfahrt kam mir ein, wie ich finde, genialer Gedanke. Jetzt, wo die Covid-Seuche (reimt sich übrigens auf Scheuche) und das ganze Drumherum allmählich abklingen, haben ja auch all die Querdenker ausgedient. Es kann natürlich sein, dass sie noch gegen Scheinwerfer an Autos oder die Googleisierung des christlichen Abendlandes demonstrieren wollen; so richtig weiß man ja nie, was sie wirklich wollen bzw. meinen zu wollen. So Querdenker würden sich ja hyperoptimal als Vogelscheuche einsetzen lassen: Sie schreien ununterbrochen Phrasen, wedeln wie blöd mit Fähnchen um sich und stehen bräsig aus der Wäsche guckend in der Gegend rum. Auf so etwas hat keine Saatkrähe Bock! Endlich könnten die „Quers“ auf einem strammdeutschen Weizenfeld positioniert nicht nur quer-, sondern auch noch längs denken. Eine echte Win-Win-Situation. Nichts zu danken; ich helfe gerne.

 

27/5/21 … GURKEN-MARTIN UND DIE AFD … Was ja die wenigsten wissen: Man kann auch in verschließbaren Glasbehältern Lebensmittel hervorragend tiefkühlen! Nein – die platzen nicht! Sollte in 735 Jahren die dann völlig verwaiste Erde von irgendwelchen Kyklonen (Bewohner des Planeten Proxima Centaurus zur Zwischenlandung auserwählt werden, bleibt den Jupiter-Freds der schaurige Fund von überall rumliegendem, unverrottbarem Plastikmüll erspart. Nun lehrte mich neulich meine Frau, nachdem ich ein mächtiges Gurkenglas gründlich gespült hatte, dass sich diese Gefäße zum Einfrieren nur suboptimal eignen. Warum? Einmal Gurkenglas, immer Gurkenglas, so ihre Auslegung. Was bedeutet: Egal, ob man darin künftig den mediterranen Gemüseauflauf oder die Reste der vegetarischen Nudelpfanne einfrieren möchte, die Speisen werden später immer nach Gurken schmecken und/oder riechen. An diese Gurkengläser musste ich denken, als ich in meinem Schmartfoun die Meldung las, dass der Münsteraner AfD-Politiker Martin Schiller seinen Austritt aus der Partei erklärt habe. Der Analog-Politker, der vor allem durch seine allgemeine Unbeliebtheit „schiller“t, will sein Mandat im Rat der Stadt Münster als Parteiloser behalten. Aber egal ob Fascho-Martin in der AfD bleibt, der Parteilosigkeit anheimfällt oder in die CDU eintreten würde, der Gurkeneffekt bleibt. In diesem Fall nationalistisch-miefiger Gestank. Wie beim Gurkenglas – nur ekliger!

 

 

25/5/21 … WO MAN HINSCHAUT: ÄRZTE … Ich nenne sie mal Herta. Nach langem Drängen der Familie war Herta zu ihrer Hausärztin gegangen, wo man sie mit einer schlimmen Diagnose konfrontierte. Richtig schlimm! Die Diagnose hätte sie vermutlich schon vor Jahren bekommen, aber dann hätte man ihr Leiden besser behandeln können. Ich habe da was am Körper, sagte die alte Dame schon mal beiläufig. Aber zum Arzt wollte sie nicht. Die machen ja sowieso nichts, so Herta, und außerdem war Corona. Da konnte man mit solchen Sachen am Körper eh nicht zum Arzt gehen. Das hatte die Nachbarin Frau Lütke Merschmann gesagt, die sich auskannte, weil sie das auch von einer Nachbarin – ich glaub, das war die Frau Bockelkötter - gehört hatte. Und im Fernsehen, auf einem dieser Gurkensender, Herta nannte RTL, da hätte es eine Reportage gegeben, dass eine ähnlich Betroffene von Arzt zu Arzt hätte pilgern müssen und überall hätte man was anderes gesagt. Daraus schloss Herta, dass man bei ihr deswegen sowieso nichts gefunden hätte. Und in ihrem Lieblingsblättchen „Auf einem Blick“ hätte sie einen Bericht über eine Frau gelesen, die aufgrund einer falschen Diagnose auch falsch behandelt worden war. Sie sei dann wegen der falschen Behandlung erst richtig krank geworden. Ein Land voller medizinischer Nichtsnutze.

 

Als sich die Erkrankung nach einer eingehenden Untersuchung verhärtete, rief Herta Renate an. Renate hatte 25 Semester „Apotheken Umschau“ studiert und war medizinische Fachfrau für alle Lebenslagen. Lass dir bloß von den Ärzten nichts aufschwatzen, riet sie Herta. Sie wusste von einem Fall in ihrem entfernten Bekanntenkreis, bei dem wäre die Behandlung ganz schlimm verlaufen. Und auf SAT1 habe sie gesehen, dass es in Castrop-Rauxel eine Frau gegeben hätte, die von heute auf morgen wieder gesund gewesen wäre. Einfach so! Und sei bloß vorsichtig, wenn sie dir Medikamente oder womöglich Cherotherapie (womit sie Chemotherapie meinte) verschreiben wollen, so Renate. Weil, da hätte es noch neulich einen Bericht gegeben, dass jemand an den Tabletten und nicht an der Krankheit gestorben wäre. Herta wirkte beim nächsten Treffen sehr durcheinander. Was sie denn nun tun solle, wo doch Frau Lütke Merschmann, Frau Bockelkötter und Renate … Herta, lenke ich ein, du hast doch neulich deinen Opel in die Werkstatt deines Vertrauens gebracht. Richtig? Sie nickt! Ok, warum eigentlich nicht zu deinem netten Fernsehfritzen, der dir den neuen Anschluss gelegt hat? Herta lacht und antwortet: Blöde Frage, weil der doch keine Ahnung von Autos … dann stutzt sie … Pause … Herta legte Kuchen nach; ein Rezept von Renate. Ich hätte kotzen können!

 

23/5/21… ROCK ´N´ ROLL NEVER DIES … Meine Enkelin (8 Jahre) und ich saßen gestern eng aneinander gekuschelt vor dem Großbildschirm ihrer Eltern und schauten Eurovision Song Contest. Eine gequirrlte Soundsuppe, die ich mir unter normalsterblichen Umständen nicht antun würde. Aber mit Röschen an meiner Seite, Knabbereien und ein paar Glas Rotwein (für mich!) machte aus der musikalischen Körperverletzung eine amüsante Kulturbeutelei. Jeder Auftritt der singenden Nationalbarden wurde von ihr entsprechend kommentiert. Zu wenig an, klingt langweilig, blöde Frisur, doofe Klamotten oder flotte Musik. Letzteres klang zwar eher opa-resk, stammte aber aus ihrem Mund. Italien fand sie auch nicht schlecht, aber Finnland mit der Metalband Blind Channel und dem Song "Dark Side" wurde unser Favorit: Haare, Klamotten, Sound und Choreo…alles bestens. "Opa, das ist deine Musik, oder…?", strahlte sie mich an. "Finde ich auch flott!" Ich weiß nicht, warum ich in dem Moment an musikalische Früherziehung dachte. "Wenn du älter bist", sagte ich ihr später, "dann fahren wir zusammen nach Wacken, abgemacht?" Doch da war sie schon eingeschlafen.

 

20/5/21 … TITEL… Die Familienministerin (oder Ministerin für Familie und Gedöns, wie es der politische Großkotz Gerhard Schröder mal ausdrückte) Giffey verzichtet auf ihren Doktortitel, las ich gestern in den Schlagzeilen. Na und? Ich habe auf meinen auch verzichtet! Vor geraumer Zeit habe ich eine Gruppe Studentinnen in ihrer universitären Endsiechphase bei der Doktorarbeit betreut. Die Professorin der Uni-Münster, die von meinen speziellen Fachkenntnissen wusste, bat mich um diese Betreuung in unserer Klinik. Am Ende der Untersuchungsphase, die vor allem durch Interviews mit Patienten geprägt war, fragte mich die Dozentin, warum ich keinen Doktortitel besäße. Ich antwortete ihr, dass ich mir aus Titel nichts machen würde und diesen vermutlich nach Erhalt als erstes wieder ablegen würde, weil sich durch die zwei Buchstaben vor meinem Namen nichts sonderlich bzw. gar nichts an meiner Arbeit ändern würde. Sie wirkte recht erstaunt bis verständnislos. Titel! Da muss ich immer an den Spruch denken: (sinngemäß) Fiele Manna vom Himmel, bräuchte es unzählige Professoren, um ihre Echtheit und damit Essbarkeit zu prüfen. Bei einem Vortrag bei einem Kongress für Jugendmedizin in Weimar bekam ich beim Einchecken ein Namensschild ausgehändigt, auf dem stand: Prof. Dr. Illhardt. Ich klärte den Fehler auf und bat um ein neues Schild, was allerdings aus technischen Gründen nicht möglich war. So lief ich den ganzen Tag mit einem Professorenschild durch die Gegend, weswegen mich allerdings keiner schief anschaute. In der Klinik erzählte mir neulich eine Patientenmutter, dass man auf der Station über mich häufig als der Dr. Illhardt sprechen würde. Man sieht also, die einen legen ihren Titel ab, die anderen werden ihn nicht los. Daher mein ultimativer Vorschlag: Wie wäre es, wenn man Doktortitel erst dann verliehen bekommt, wenn man sich einer Sache besonders verdient gemacht hat und obendrein mit „Kenne“ glänzt!? Nur mal so!

 

 

11/5/21… AUS DEM GESICHTSBUCH … (FSK 18) Facebook heißt facebook – so meine laienhafte Annahme – weil es dort um Gesichter geht. Gut, manche zeigen auch ihre Turnschuhe oder grottenlangweiligen Autos, aber ein Gesicht ist auch nicht jedem gegeben. Erfreulich ist es, wenn man Freundschaftsanfragen geschickt bekommt. Geht man der Anfrage auf den Grund, entdeckt man vielleicht, dass es der wilde Bernd aus der Grundschule ist oder die fesche Barbara aus der früheren Nachbarschaft. Enttäuschend ist natürlich, wenn Bernd inzwischen bei der FDP ist und Barbara wattierte Steppjacken trägt. Aber gut, das Alter spielt uns allen übel mit. Doch in letzter Zeit bekomme ich immer wieder Freundschaftsanfragen von Frauen, die ich nicht aus der Schule oder Nachbarschaft kenne. Sie heißen z.B. Aisha Osborne, Lefabione Merriman oder auch schon mal Lisa-Renate Neumüller (vermutlich für die älteren Semester) und verfügen wahlweise über große Brüste oder wohlproportionierte Hinterteile. Und alle wollen – ich kann´s ja verstehen – Sex mit mir. In der Regel wird das etwas anders formuliert, aber die Begriffe darf man vermutlich hier nicht schreiben, da sie facebookmäßig zensiert werden. Facebook hat null Problem, die Visage von Friedrich Merz zu veröffentlichen, stellt sich aber an, wenn man ficken sagt. Mist, jetzt ist es doch raus; das gibt bestimmt ne Sperrung. Übrigens verfügen die sexgierigen Frauen oftmals bereits über vier oder fünf männliche Freunde in ihrem Account, die immer so aussehen, als hätten sie aufgrund eines eitrigen Penisfurunkels 20 Jahre keinen Sex mehr gehabt.

Nun werden die Kenner der Materie natürlich sagen: Das kommt davon, wenn man im Internet auf Pornoseiten rumturnt. Aber das ist ja das Problem: Das interessiert mich nicht die Bohne, da ich ein Bonvivant und Anhänger des fantasiereichen Lustgewinns bin und dies in für unser Alter ausreichendem und ausschweifendem Maße mit der Frau meines Herzens real!!! goutiere. Zudem gehören Aisha, Lefabione und Lisa-Renate der Mehrheit oberflächlicher Vorbeileser an, sonst hätten sie vielleicht mitbekommen, dass der facebook-account von uns beiden betrieben wird. Aber in den Fixoficko-Angeboten der drolligen (oder heißt das dralligen?) Damen ist nirgendwo die Sprache von Ménage à Trois. Ich sag nur: Servicewüste Deutschland. Meine Liebste und ich sind zu dem Ergebnis gekommen, die Freundschaftsanfragen abzulehnen. Also sorry, Aisha, Lefabione und Lisa-Renate…nehmt das jetzt nicht persönlich. Aber kann ich euch an einen entfernt Bekannten weiterreichen? Der wirkt immer so chronisch untervögelt!

 

19/4/21… QUERDENKER …Manchmal überlege ich, warum ich eigentlich kein Querdenker bin. Jetzt mal in Ehrlich: Es wäre doch alles viel einfacher! Man müsste nicht mehr nächtelang anstrengende Literatur von allgemein anerkannten (was heißt das schon) Denkern oder Wissenschaftlern lesen, sondern einfach so tun, als wenn man es täte. Man sagt einfach in einer Diskussion, „wer liest, ist im Vorteil“ oder wirft mit Blendgranaten a la „du solltest dich mal mit der Wahrheit auseinandersetzen“ um sich und schon ist die eigene Meinung in Beton gemeißelt. Oder man sagt, dass man jemand kennt, der tief ins Licht der Wahrheit geschaut hat; das gilt auch. Meine Güte, um wieviel entspannter wäre das Leben. Man müsste sich nicht mehr um gesundheitlich Geschwächte, Alte oder sonst wie Gefährdete kümmern, sondern man sagt einfach (brüllen mit Stimmüberschlagung wirkt ebenfalls überzeugend) in jede laufende Kamera: Ich brauche keine Maske: Ich habe ein Immunsystem. Hey, das ist medizinisch unglaublich überzeugend und als Argument in dieser Pandemie, die natürlich gar keine ist, unschlagbar. Und dann immer diese Einkesselei, Tränengassprüherei und das Niedergeknüpple auf normalen Demos. Mit viel Glück bekommt man auf Querdenkeraufläufen sogar von der hübschen Polizistin seines Vertrauens ein mit den Händen formierten Herz zugehaucht. Mit den Freunden von der rechtsnationalen Front im Verbund fühlt man sich sicher wie nie, weil die alle Bodybuilding machen, vorbestraft sind oder Probleme mit der Impulskontrolle haben. Das hat man auf keiner Klimademo! Und wenn mir ein Vertreter der Presse blöde kommt, dann rufe ich einfach Lügenpresse, wofür vorher eigens kleine Zettel zur Textsicherheit verteilt werden oder ich haue dem blöden Reporter eins auf die Maske, was auch null Konsequenzen hat. Ach, so ein Leben als Querdenker wäre undenkbar stressfrei – ein Träumchen. Ich finde, man umgibt sich einfach mit viel zu viel Angestrengtheit. Im nächsten Schritt versuche ich bei Schlagern mitzusingen und Dieter Bohlen post mortem (ach, der lebt immer noch?) gut zu finden. Warum so schwer, wenn es auch mit Einfalt geht?
 

19/4/21 ... GODOT ... Laschet oder Söder? Puh, ich glaube, ich würde Lassie wählen! Ach, Politik ist ne ernste Sache und kein Spaß? Na, dann eben Godot!

 

10/4/21...SPIEGELUNGEN Ich verließ das Haus in der Mittagszeit, hatte den Kragen hochgezogen und ließ mich über Kopfhörer mit monotonen Geräuschen eines Metronoms beschallen. Obschon ich wie immer einen großen Bogen um Gegenden machte, bei denen man Gefahr lief, auf Menschen zu treffen, stieß ich alsbald auf ganze Haufungen. Die Menschen starrten mich an - glotzten. Manche blieben stehen und zeigten mit dem Finger auf mich. Ein dicker Junge mit ausgefallenen Zähnen und Call-Of-Duty-T-Shirt hielt sich seinen Bauch vor Lachen. In dem verstaubten Schaufenster eines Geschäfts für verlorene Zeit betrachtete ich mein Spiegelbild und bemerkte erst jetzt, dass eine etwa zwei Zoll dicke Schraube aus meinem Kopf ragte. Ich drehte mich zu der glotzenden Masse um und rief: Ich bin nicht verrückt. Doch das verschlimmerte eher ihr schadenfreudiges Gemurre und Geplapper. Mich immer wieder umdrehend, um mich ihres Folgens zu vergewissern, führte ich die Menge zu einem Berg aufeinander gestapelter Gitarren. Zu oberst lag die Gitarre von dem Dire Straits Album "Brothers In Arms". Ich erklomm den Berg, nahm das Instrument und begann zu spielen. Sehr schön, wie ich fand. Dann machte ich eine Pause: Seht ihr, rief ich, ich bin nicht verrückt. Doch vor mir stand eine versteinerte, gesichtslose Masse ohne Augen. Hier brach der Traum ab…

 

 

2/4/21 … KAR(L)FREITAG … Aufgewachsen in einem schwarz-beige-bis oben zugeknöpften Katholizismus der besonders strengen Münsterländer Art (danach kommt nur noch Opus Dei), war für mich früher der Karfreitag der schrecklichste Tag des Jahres. Schon morgens wurde ich von meinen Eltern mit Sauerteigmine geweckt, da es an dem Tag immens wichtig war, möglichst traurig aus der Wäsche zu schauen. Christen gedenken an diesem Tag des Leidens und Sterbens „unseres Herrn Jesu Christi“ (Sprachweise zuhause) am Kreuz. Gut, beim Aufstehen ließ sich damals eh ein gewisses Leiden nie vermeiden. Beim Frühstück gab es für jeden nur eine Schnitte vom geschmacksneutralen Reineke-Brot und wenn ich mich richtig erinnere ausschließlich Käse. Marmelade war schon zu viel Lebensfreude und Fleisch sowieso. Vermutlich war dieser Veggie-Day eine Art Wiedergutmachung für das am Sonntag frisch von der Mutterbrust weggebratene Lammfleisch. Mittags ging das Theater weiter: Es gab Kartoffeln mit Heringsstipp (Fische sind ja – Logik, ik hör dir husten – keine Tiere!!!), aber so portioniert, dass man auf keinen Fall satt wurde. An dem Tag wurde nämlich gefastet – wofür auch immer. Der Sinn hat sich mir nie wirklich erschlossen, da bei den eher einfachen Lebensverhältnissen zuhause der große Prassnik sowieso keinerlei Rolle spielte. Am Nachmittag ging man - Pflichtveranstaltung!!! - dann in die Karfreitags-Liturgie, dessen Highlight das Vortragen von zehn Fürbitten darstellte. Nach jeder Fürbitte rief der Pastor „Beuget die Knie“, dann ächzte die ganze Gemeinde auf Kommando - auch die Gläubigen mit Gonarthrose oder Hüftschaden - in die Knie, verweilte dort auf den Brettern, die das Leid bedeuteten, und erhoben sich mit noch größerem Ächzen auf den Zuruf „Erhebet Euch“. Da ich bis heute Sportereignissen wenig abgewinnen kann, habe ich mich anschließend fix vom kirchlichen Acker und auf den Weg zu meinen larifari-katholischen Freunden gemacht. Dort gab es nämlich das Karfreitagsgericht: Ölgebackene Struwen, mit denen man endlich satt wurde und sich eine solide Grundlage für den später geleerten Kasten Billigbier der Marke Sterbehilfe schaffen konnte. Bei Rory Gallagher oder Black Sabbath klang dann der Karfreitag aus, aber immerhin war man am nächsten Morgen selbst das Leiden Christi in Person, was ja auch österlich ist. Heute werde ich der Zeit bei einem guten Gläschen Whisky mal gedenken.

 

25/3/21 … STATTLICHE ZEITEN … In einem Zeitungsartikel über einen namhaften Menschen aus dem Kulturbereich - man nennt so jemanden auch Kulturschaffenden - hieß es, "der stattliche 100 Kilo-Mann" hätte Dies oder Jenes geäußert. Seitdem geistert diese Beschreibung in meinem Kopf herum, schließlich bin ja auch ich zu einem stattlichen 100 Kilo-Mann mutiert. Die Zeiten des drahtigen und durchaus muskulösen Mittdreißiger sind schon länger vorbei. Ich sag nur: Das gute Leben! Schuld ist natürlich vor allem meine Frau, die - vermutlich komplett unüberlegt - den Satz äußerte, sie liebte jedes Gramm an mir. Das motiviert selbstredend nur wenig zur Dezimierung von Jahresringen. Nun entdeckte ich im freien Bücherregal meines Vertrauens eine kleine Schatulle mit einer Abnehm-Challenge. Irgendwie ist heute alles Challenge; vermutlich gibt es auch eine Corona-Pandemie-Eindämmungs-Challenge. Um es kurz zu machen: Ich konnte meine Stattlichkeit um satte vier Kilo reduzieren. Es fehlen noch 400 magische Gramm und es wird zweistellig. Doch dann machte ich meinen donnerstäglichen Wocheneinkauf, da winkte mir beim Rausgehen schon von weitem die rustikal-freundliche Bäckereifachverkäuferin mit dem Kuchenpapptablett zu und rief: "Wie immer eine Lage Streuselkuchen?" Ich konnte nicht Nein sagen, werde aber künftig den Nebenausgang nutzen. Sonst war die ganze Challenge für'n Eimer.

13/3/21 ... TELLERWÄSCHER ... Unsere 2-Personen-Haushalts-Spülmaschine hat das Zeitige gesegnet. Diagnose: Wasserzuleitungsinsuffizienz. Der Techniker meinte schon vor einem Jahr mit bedeutungsschwangerem Blick: Die Monate seien gezählt. Und steckte sich die 96 Ocken für die Reparatur ein. Dann wurde das gute Teil, so eben über der werksverordneten Selbstzerstörung, vom städtischen Abdecker abgeholt. In einer nächtlichen Vollversammlung unserer Ehekommune beschlossen wir, künftig auf den elektronischen Tellerwäscher zu verzichten. Ich las, dass in Deutschland nur 7% das Spülen per Hand mögen. Wie viele davon Männer sind, gab die Statistik nicht her. Jedenfalls genieße ich meinen abendlichen Abwasch. Man kann so herrlich über den Dreck der Welt sinnieren, während man im trüben Wasser fischt. Zudem ist es ein reizvoller Anlass, in Ruhe - naja - Musik zu hören. Weswegen dann meine Frau auch dann und wann sachte die Türe schließt, mir einen Kuss zuhaucht und mich in meiner prilierten Schaumage in Thrash-Dur ahlen lässt. Muss ihr beizeiten nur noch das Unglück mit der entglittenen Kakaotasse beichten!

 

 

3/3/21 …TUNING … Manchmal stehe ich beim Abendspaziergang auf der Günter-Grass-Brücke zu Telgte und schaue dem Treiben auf dem reich frequentierten Parkplatz zu. Eines der mich enorm in den Bann ziehenden sozialinteraktiven Phänomene der Neuzeit sind die Treffen der Tuningszene. Man steht dann dort mit seinem aufgemotzten PKW und unterhält sich durchs Seitenfenster mit dem Fahrer des benachbarten Wagens. Und immer wieder frage ich mich, worüber dort wohl gequatscht wird. Ich habe da keinerlei Erfahrungen, denn während damals die Kumpels schon mit Ford Taunus glänzten, juckelte ich mit einem 6 Volt Käfer durch die Gegend und mein erstes teures Auto war ein gebrauchter R4F6, in dem man immerhin hinten drin schlafen konnte. Da war nix mit Karre-aufm-Parkplatz-rumstehen. Meine Beobachtungen haben ergeben: Selbstredend läuft der Motor und wird durch eindrucksvolles Zwischengasgheben warm gehalten. Bevorzugt sitzt auf dem Beifahrersitz eine kesse Käthe mit Lederimitatleggins, die die ganze Zeit auf ihr mit Strass besetztes Handy glotzt, Pinterest-Fotos durchscrollt und vermutlich den PS-starken PKW mehr liebt als den Fahrer. Ist jetzt nur so ein Eindruck! Aus kühlschrankdicken Bassboxen, für die der Rücksitz weichen musste, donnert irgend so ein Rap-Gesabbel a la „Ich ficke deine Mutter, geh zur Seite, du Attrappe“.
 

Nun fahre ich ja inzwischen einen knallroten Mittelklassewagen mit satt´ PS (also für mich ausreichend), fetter Musikanlage und mit Oben-Ohne-Verdeck. Also, überlegte ich mir, dabei sein ist alles und stellte mich zur Abendstunde auf besagtem Parkplatz in Poolposition. Laufender Motor, Verdeck offen, Fenster runtergedreht und aufs Gaspedal hatte ich einen mitgebrachten Wackerstein gelegt. Das mit dem Mutter-Ficken habe ich mir geklemmt und stattdessen guten alten Punk von Buttocks „Ich will nicht mehr dein Sklave sein, weg mit dem Fick Fack Rotzverein“ in den Player geschoben. Ich dachte mir: Mal was Sozialkritisches kann nicht schaden. Tja, was soll ich sagen. Ne komplette Stunde stand ich auf dem Platz, lässig auf die Motorhaube gelehnt und rauchte eine Schokoladenzigarette nach der anderen. Zwischenzeitig lief ein verlauster Köter vorbei und pisste an eine meiner eigens vorher polierten Radkappen. Erst als der Abend dämmerte, fuhr langsam ein abgehalfterter VW-Golf mit Fünffachauspuff und hochgezogenem Fernlicht zum Platz hinunter und positionierte sich neben mir. Der übelst verpickelte Dicke mit Converse-T-Shirt schnippste seine Fluppe durchs Fenster und quatschte mich blöd an: „Was suchstn hier?“ Ich dachte erst mit einem netten Begrüßungsritual wie „Maul halten; fick deine Mutter!“ zu kontern, konnte mich aber im letzten Moment bremsen. „Gucken, was kommt! Kumpels treffen halt!“ Das Pickelface steckte sich am elektrischen Zigarettenanzünder die nächste Zichte an und zischelte: „Kannste lange warten! Die sind alle ausgestiegen! Ist nix mehr mit Tuningszene hier!“ Ich zerquetschte meine Schokoladenzigarette mit der bloßen Hand und fragte: „Was machen die jetzt?“ Der Dicke zog die Augenbrauen hoch und erwiderte, während er sein Fenster wieder hochfahren ließ: „E-Bike fahren!“ Als der Golf mit durchdrehenden Reifen weggeprescht war, sprang ich galant über die geschlossene Tür auf meinen Fahrersitz (hatte ich erwähnt, dass das Dach offen stand?) und heizte mit Turbokick davon. Alles Luschen, dachte ich unterwegs! Warum nicht gleich Mofa!

 

 

26/2/21 … PSYCHO… Musste heute an einen leicht abgewandelten Pandemie-Witz denken…Die Enkelin fragt: Opa, was ist eigentlich ein Festival?...Opa? Opa, warum weinst du??? … Letztes Wochenende wären wir auf einem Festival gewesen: Winter-Wacken! Verdammter Mist - alles coronafiziert. Immerhin bleiben einem die Erinnerungen, wovon eine bereits über 20 Jahre zurückliegt. Mit meiner damaligen Freundin und einem guten Bekannten waren wir zum Haldern Pop Festival gefahren. Nach der ersten Festivalnacht kletterte ich leicht verkatert aus unserem VW-Bus. Direkter Griff zur Sonnenbrille; die Sonne schien nicht, sie schrillte. Die anderen schliefen noch; Matthes schnarchte in seinem Zelt neben uns. Ich steckte mir eine Selbstgedrehte in den Mund und kickte mit dem Fuß ein paar Bierflaschen, die von der nächtlichen Nachbesprechung liegengeblieben waren, zur Seite. Ich trug eines meiner damals bevorzugten ausgeleierten – natürlich schwarzen - Unterhemden und vermutlich irgendeine verschlissene – natürlich - schwarze Jeans. Da hörte ich plötzlich ein zartes Stimmchen meinen Namen rufen. Ich schaute durch die Zelt- und Wohnmobilfluchten und entdeckte nicht weit von mir ein junges Mädel, das mir zuwinkte. Einen Moment erschrak ich: Eine Patientin von mir. Wir quatschten etwas und verabredeten uns auf ein Bier am Nachmittag. Dann hörte ich, wie ihre drei männlichen Begleiter nachfragten: Wäwandas? Mein Psycho, antwortete das Mädchen und winkte noch mal rüber. Mich glotzten sechs ungläubige Augenringe an. Ich hoffte mal, den schlechten Ruf der drögen Psychotherapeuten mit schwarzem Rollkragen und dunkler Hornbrille etwas auf Vordermann gebracht zu haben.

 

22/2/21 … BLUTHOCHDRUCK … Sicherlich … ich hatte die Zeichen längst bemerkt: Die entsetzten Blicke der Menschen neben mir an der Ampel (unser PKW verfügt über ein Stoffdach), der besorgte Gesichtsausdruck meiner Frau, wenn ich mit Kopfhörern neben ihr auf dem Sofa sitze oder die Frage meines besten Freundes: „Cheffe (so nennt er mich häufig), hast du Probleme mit deiner Aggression?“ Mit den Jahren hatte sich mein Musikgeschmack dramatisch radikalisiert: Nein, kein Oldschool-Schmuse-Metal a la Iron Maiden oder Metallica, sondern Sounds aus den düsteren Kellern des Todes, bei denen sich die Basslautsprecher (für die jüngeren Musik-über-Handylautsprecher-Hörer: Das sind serviertellergroße Membrane zur Schallwellenweitergabe) mit jedem Tritt auf die Bassdrum nach außen wölben, sich Gitarrenwände auftuen, gegen die die chinesische Mauer ein klappriger Gartenzaun ist und der Gesang klingt, als hätte man dem Gehörnten bei lebendigem Leibe kreuzweise die Hoden über die Ohren gezogen. Musikhören ist wie Duschen, antwortete ich oft: Da will man ja auch den satten Strahl!

Irgendwann dachte ich, es wäre der eigenen Psychohygiene vielleicht zuträglich, den Fuß etwas vom Blutrührpedal zu nehmen, wandte mich sukzessive den Klängen softerer Bands zu und lauschte vermehrt psychedelischen oder prog-rockigen Stücken,  die jenseits des Haudraufrocks mit Anleitungen zum Frauenflachlegen liegen und nicht selten über 12 Minuten dauern. In meinem Alter muss man immer auch etwas auf die Grenzen der Gesundheit achten. Doch jetzt las ich aktuell, dass dies ein eklatanter Fehler war. Wie eine anerkannte Studie zeigte, ließen sich bei 89% der Teilnehmer einer großen Testgruppe beim Hören von Heavy Metal hoher Blutdruck, aber auch die Herzfrequenz senken. Dr. Avlanmış, der Leiter der Studie, kommentierte: "Was Heavy Metal angeht, beobachtete ich, dass aggressive Musik den Hörern dabei helfen kann, ihre Gefühle zu verarbeiten, was zu einem besseren Befinden führt." Vielleicht wirkt es sich ja bei angealterten Männern wie mir auch auf die Prostata aus! Heute Morgen klickte ich auf dem Weg zur Arbeit auf „Kataklysm“ und hatte vermutlich das breiteste Grinsen zwischen Telgte und Sendenhorst auf dem Gesicht! Schon bei Alverskirchen sah ich im Rückspiegel, wie sich das ein oder andere „mmHg“ sowohl diastolisch, als auch systolisch im Straßengraben überschlug. Läuft - alles Riva Rocci!

 

21/2/21 … HANAU … Nach den Feierlichkeiten zum Gedenken an die Ermordeten von Hanau und ihre Angehörigen durch einen bestialischen rassistischen Anschlag, fanden sich selbstredend auch rechtsgedrehte Kommentatoren im Netz, die verharmlosten, die Opfer als Feinde des deutschen Volkes betrachteten und mal wieder tief in der Schublade der Tatsachenverdrehungsschwurbelei gruben. Der Mörder sei gar nicht der Mörder gewesen, sondern es handele sich um eine große „antideutsche Verschwörung“. Was lernen wir? Der Trick bei rechter Hassrede: Man verdreht ein Ereignis dermaßen, dass es zum Schluss genau in entgegengesetzter Richtung zur eigenen Einstellung steht. Ach so, stecken dann vielleicht doch messdienerschändende Bischöfe hinter den Anschlägen der RAF? War jetzt nur mal so eine Hate-Übung. 

 

20/2/21 … MORGENBLUES… So manches Mal, wenn mich der Morgenblues ereilte und meine Lust aufs Arbeiten zäh wie angedickte Erbsensuppe war, dachte ich tief in mir drin: Ach komm, notfalls wirst du Präsident der Vereitelten Primaten von Amerika. Die wählen jeden Vollpfosten für so ein Amt. Jetzt ist es zu spät – der Job ist besetzt. Aber heute Morgen lief im Radio "La libertad" von Alvaro Soler, ein Song, bei dem sich bei mir unter normalen Umständen die Fußnägel aufrollen und den ich am ehesten mit leergedrückten Seifenspendern auf Autobahnraststätten assoziiere. Ich zitiere den Refrain: Ei ei ei ei ei. Kann sein, dass ich ein Ei vergessen habe. Und da machte es Ping bei mir: Warum werde ich nicht einfach Schlagerstar: Arnoldo Illato - der heimliche Liebling aller frühdebilen Schwiegermütter? Ich schau mal nach, ob meine Schlaghose aus den Endsiebzigern noch hinten im Schrank liegt! Vielleicht kann mir Schwiegermutter am Bauch einen Keil einnähen! 

 

17/2/21 … DEMOKRATIE …Gestern - Politischer Aschermittwoch … parahumoristische Analogdemokratie. Partei A macht sich lustig über die Parteien B,C,D und E, während sich Partei B über A, C, D und E echauffiert. Dabei wird wahlweise Wasser oder Bier getrunken, Salzbrezelatmosphäre verbreitet und parteiparlamentarische Partylaune vorgetäuscht. Man sagt die Dinge ins Mikrofon, so ein Kommentator in der ZEIT, die die Wähler hören möchten, um sich dann vor den heimischen Bildschirmen köstlich unterhalten auf die lederbehosten oder stofflich sonst wie ausstaffierten Beine zu  schlagen. Allerdings frage ich mich, warum das eigens als politischer Aschermittwoch bezeichnet wird, da doch genau dieser Prozess tagein, tagaus Bestandteil der repräsentativen Demokratie im Land- und Bundestag ist? Ach, was wäre es wundervoll, wenn alle nur noch an der Sache und nicht mehr an sich selbst arbeiten würden.

 

15/2/21 … SEHNSUCHT Gestern den Film "Salz auf unserer Haut" nach dem Roman von Benoîte Groult geschaut. Vor 25 Jahren las ich das Buch mit Schwermut, vor allem aber Sehnsucht nach dieser wilden Form der Liebe. Heute lebe ich sie seit langem selbst. Aber der Film erweckte wiederum Sehnsucht, doch dieses Mal war es eher die Sehnsucht nach dem Hinter-mir-lassen von Konventionen und lebensinkompatiblen Praktiken. Alle Jahre wieder… doch wann folgt die Realisation? Ich möchte nicht, dass man es auf meinen Grabstein meißelt: Ein Leben auf den Spuren der Sehnsucht.

 

13/2/21 …. ROSENMANN … Gestern war Freitag und Freitag ist Blumentag. Eigentlich! Zu Zeiten, als Corona lediglich als Bier bekannt war, brachte ich meiner Frau zum Einklang des Wochenendes jeden Freitag eine Blume mit. Der Statistik nach war es meist eine einzelne Rose. Bloß keine gewöhnliche rote, die mag sie nämlich nicht. Wir sind - muss man wissen - beide Anhänger des radikalen Romantizismus und Valentinstag ist bei uns überflüssig wie ne Salami im Kühlschrank. Im Blumenladen meines Vertrauens war ich bekannt, wurde fast schon familiär begrüßt und oftmals hatte man bereits ein besonders schönes Exemplar zurückgestellt. Die Blumenverkäuferinnen waren, wie mir schien, sehr von meinem Blumenkauf angetan und so wurde ich stets mit „Wie immer?“ begrüßt oder es wurde stets nach einem Urlaub angemerkt, ich sei ja ein paar Wochen nicht mehr da gewesen; offensichtlich besorgt, mit unserer Liebe stimme etwas nicht. Doch dann kam die coronifizierte Rache für das sündige Kadaveressertum über die Menschheit und in meinem Blumenladen wurden nur noch Sträuße verkauft. Warum auch immer! Da gebundene Sträuße immer nach Beerdigung oder einfallsloses Mitbringsel aussehen, verzichtete ich lange Zeit auf den freitäglichen Blumenkauf, was natürlich unserer gegenseitigen Geneigtheit keinen Abbruch tat. Doch gestern dachte ich: Ein Freitag ohne Blumen ist möglich, aber doof. Also parkte ich auf dem Rückweg wie eh und je vor dem Blumenladen und schlenderte lässig und casanovaresk in den Verkaufsraum. Ein Strahlen ging über das Gesicht der mir bekannten Blumenverkäuferinnen und ich wurde mit „Ah, da ist ja endlich wieder der Rosenmann“ begrüßt. Und dann setzt die jüngere nach: „Wir haben auch wieder Einzelblumen!“ Ich war gerührt, denn die Bezeichnung Rosenmann klang so verdammt oldschool-romantisch. Keine Ahnung, warum ich plötzlich an den Song von BAP denken musste: Oho, ich bin der Müsli-Män.

 

12/2/21 ... WIR HATTEN DAMALS NIX … Westberlin, achtziger Jahre: Punk und Straßenschlachten, Hausbesetzungen und ein Leben entgegen aller Bürgerlichkeit. Lese grade das Buch "Aufprall" von Bude, Munk und Wieland. Die deutsche Geschichte ist echt unausgewogen verteilt. Dort, wo ich zu der damaligen Zeit lebte: Geballte Langeweile. Wir hatten ja damals nichts… zu besetzen.

 

 

7/2/2021 ... NAZIS … Ich lese soeben: In Hannover wurden 2019 vermummte Nazis auf einer Demonstration von der Polizei geschützt. Das mit der Vermummung ging o.k., obschon man zur der Zeit Corona nur als Bier kannte. Ich dachte mir beim Lesen, vermutlich ist die Vermummung gar nicht so aufgefallen, da ja auch die Freunde & Helfer stets vermummt sind. Allerdings gibt's immer Ärger, wenn dies Linke tun. Aber das ist sicherlich mein eigener Wahrnehmungsfehler.  Oder, wie die Nazis selbst sagen: Meine Denkblase.
Auf die öffentliche Kritik bezüglich der Nazi-Polizei-Aktion reagierte die Führung, also natürlich die Polizeiführung, die Nazis seien ja vermummt gewesen, weil sie als solche nicht erkannt werden wollten. Ich ließ die Zeitung sinken und begann an mir zu zweifeln. Warum tue ich mich oft so schwer mit der Logik meines menschlichen Umfelds? 

 

5/2/21 ... MEIN BAUCH … Man findet sie überall und vor allem in freien Bücherregalen: Literatur, die kein Schwein braucht. So entdeckte ich neulich ein Buch, das in etwa den Titel "Sinnliches für Sternzeichen" trug. Mir scheint, ich bin empfänglich für derartigen galoppierenden Schwachsinn. Also blätterte ich mich zur Jungfrau durch und fand dort vermerkt, dass die sinnlichste Stelle der Jungfrau der Bauch sei und dass sie - und er wohl auch - es liebe, wenn dieser liebkost, gestreichelt oder sonst wie zärtlich berührt wird. Ich schaute an mir hinunter und verstand plötzlich die Welt und meine prominente Wölbung: Je mehr, desto sinnlicher. Wie fein: Endlich eine Erklärung.

 

3/2/21 ... ISCHIAS ... Ich hatte Ischias - letzte Woche! Ist zwar mieses Deutsch, tat aber trotzdem weh. Sicher, es gibt weitaus Schlimmeres, aber es reichte, um mich gleich 10, ach, was sag ich - 25 Jahre älter zu fühlen. Da der Schmerz in die Pobacke ausstrahlte, bekam mein Gangstil (sagt man auch "gangstyle"?) etwas E.T.reskes. Wenig rund, sagen die Physios. Gut, das fiel jetzt nicht so auf, da viele Männer eh rumlaufen, als litten sie unter chronischer Hodentorsion, aber richtig fies wurde es beim Einsteigen ins Auto. Und da ich kein Fahrzeug besitze, mit dem man Ozeanriesen aufs Trockendock ziehen kann, war das gleichzeitige Kopfeinziehen, Rückenkrümmen und Beinnachheben ein nicht sonderlich galant wirkender Vorgang. Aber nun verstehe ich erstmals, warum es so viele Panzer-SUVs gibt: Alles Ischialgiker. Muss man sich Sorgen um den Gesundheitszustand der Mitmenschen machen?

 

31/1/21 ... VERZWEIFLUNG … Manche sagen, ich könne überall Politisches hineininterpretieren. Kann ich auch. Problemlos. Heute ist unser uralter schwarzer Kater von uns gegangen. Vermutlich ist er in der durch die Regenfälle reißend gewordene Ems ertrunken. Er wird nicht wiederkommen und ein anderer Kater auch nicht. Und was ist daran politisch? Würden Personen wie Trump, Bolsonaro, Erdogan oder Putin ertrinken, würden schon morgen die nächsten Menschenverachter aus den Wasserfluten steigen. Das sind Dinge, die mich verzweifeln lassen.

 

 

29/1/21 ... BEZIEHUNG … Ich erzählte heute einer Jugendlichen, dass ich früher zur Abklärung des aktuellen Beziehungsstatus (aaarg) die „Dame meines Herzens“ (so was von retro!) gefragt hätte, ob sie mit mir gehen wolle. Das machte man früher so, setzte ich nach, um klarzustellen, dass diese etwas duselige Frage nicht auf meinem Mist gewachsen sei. Das Mädel lachte sich über das „mit mir gehen“ scheckig. Wie man - frau auch - das denn heute machen würde, wollte ich wissen, leicht pikiert, ob des etwas herablassenden Belächelns. Man weiß das einfach, sagte die Jugendliche und zog dabei - Ahnungslosigkeit vortäuschend - die Schultern hoch. Ich war irritiert. Also entweder waren wir angesichts solcher Absicherungsfragen zu damaligen Zeiten entsetzlich durchbürokratisiert oder es läuft heute eine ganze Generation in einer - da ungeklärt - Beziehungslosigkeit durch die Gegend. Tempora mutantur – Die Zeiten sind eine Mutation!

 

28/1/21 ... SEKT MIT OUZO … Donnerstag ist mein Einkaufstag. Ich komme am Schnapsregal vorbei, da fällt mein Blick auf Blue Curaçao. Den gibt’s immer noch, denke ich und muss an eine lang zurückliegende Geschichte denken. So Anfang der Achtziger. Mein immer noch bester Freund Josi und ich waren damals in unserem Kreis der Erleuchteten bekannt als Partyveranstaltungsfachleute. Es gab mehrere unvergessliche Events u.a. in Amelsbüren, einem Vorort von Münster, der ja schon vom Namen her nach Partymeile klingt. Erste Regel: Stühle aus dem Raum entfernen; sitzen konnte man noch genug im Rentenalter. Wir dachten, wir bringen mal ein bisschen Kultur in die verstaubte Kommune und planten zur abendlichen Bewusstseinserweiterung neben den obligatorischen Bierkästentürmen eine Cocktailbar einzurichten. Als anerkannte Trendsetter mit allsamstaglicher Kneipenerfahrung hatten wir das irgendwo in Münster City aufgeschnappt. Einziger Haken: Keiner von uns hatte auch nur einen blassen Schimmer, wie und vor allem womit man Cocktails mixt. Gab ja noch keine Apps - DAMALS. Also kauften wir im nahen Supermarkt alles, was irgendwie unnatürlich, also nicht wie Bier aussah. Selbstredend war auch Blue Curaçao dabei – der Farbe wegen. In der Nachbar-WG-Küche stellte sich „Kleine Ingrid“ zur Verfügung, den großen Mischungs-Check vorzunehmen. Es ging morgens los, gegen Nachmittag hatte sie schlussendlich ein paar genießbare Mixturen ausgetüftelt, erlebte aber den Beginn der Party nicht mehr im vollen Bewusstsein. Den nächsten Tag sah man sie auch nicht. Übrigens gab es im früheren „Neuen Krug“ an der Weseler Straße für kurze Zeit als Bückware „Sekt mit Ouzo“. Das geht auf unser Konto! 

 

27/1/21 .. .ALEXA ... Musste neulich an die vielen Tausend bemitleidenswerten Frauen denken, die den gleichen Namen tragen wie die privat finanzierten Abhöranlagen des Ausbeutungsimperiums Amazon. Das ist doch namenstechnisch verbrannte Erde, oder was denkst du, Alexa? Heute stieß ich bei der Freizeitbeschäftigung für Narzissten "ich-google-meinen-eigenen-Namen" auf ARNOLD, wobei es sich um einen Drehverschlussöffner handelt. Ich meine: Hätten die mich nicht vorher wenigstens mal fragen müssen?

 

26/1/21 ... APFELSHAMPOO … Heute auf dem Heimweg plötzlich wilde Geruchserinnerungen: Eine Mischung aus Van Nelle Half Zware, Jasmintee, Whiskey (Billigsorte) Cola und M's Grünes Apfelshampoo. Ich schaute aufs Display meiner Musikanlage im Auto: "Talk To The Wind" von King Crimson - die Platte mit dem schrecklichen Gesicht auf dem Cover. Circa 1976. Frühes Telgte. Gibt's eigentlich noch Apfelshampoo?

 

 

22/1/21 ... ZEITUNG ... In einer alten Korbtasche, die ich mal auf dem Flohmarkt erstanden habe, fand ich den Politikteil einer alten Zeitung von 1989. Das Papier ist schon ziemlich vergilbt und riecht etwas modrig. Ich überfliege die Überschriften und denke bei mir: Es hat sich in den letzten 30 Jahren kaum etwas geändert: Kriege, Umweltkatastrophen, Demonstration mit und ohne Gewalt, Polizeieinsätze mit und ohne Gewalt, Mord und Todschlag, Korruption und Politiker, die regieren, anstatt das Volk zu vertreten. Eigentlich  merkt man nur an dem eigenartigen Schriftbild, dass es sich um eine andere Zeit handelt; ähnlich wie auf früheren Fotos von mir mit Schlaghose.

Wir schreiben das Jahr 2049. Mein Körper hat so ein bisschen was von einer „Schleich“figur bekommen, aber der Geist ist noch wach. Meine Pflegerin, eine sehr nette junge Frau, zudem Klimaaktivistin, was sie mir hochgradig sympathisch macht, erinnert mich stets ein wenig an Sinéad O'Connor in jungen Jahren (was ihr aber nichts sagt). Sie hat mir eine Tageszeitung mitgebracht. Ich solle mehr Interesse am gesellschaftlichen und auch politischen Leben zeigen, meint sie und setzt mich in meinem schon verschlissenen Sessel in Position. Ich schiebe die Zeitung zur Seite und bitte sie, die untere Schublade an dem einzigen Schrank zu öffnen, den ich mit ins Pflegeheim nehmen durfte. Daraus zieht sie eine alte, vergilbte und etwas modrig riechende Tageszeitung heraus. „Die ist ja von 2019“, bemerkt sie erstaunt und schaut mich ratlos an. „Da war ich noch gar nicht auf der Welt!“ „Das war die letzte Zeitung, die ich gelesen habe“, erkläre ich ihr. Sie blättert langsam von hinten nach vorne (genauso, wie ich es früher immer gemacht habe). Ich höre sie murmeln: „Kriege, Umweltkatastrophen, Demonstrationen mit und ohne Gewalt, Polizeieinsätze mit und ohne Gewalt, Mord und Todschlag, Korruption und Politiker, die regieren, anstatt das Volk zu vertreten…Das ist ja alles wie heute!“ Sie schaut mich halb erstaunt, halb belustigt an. „Und wer ist dieser Trump?“, fragt sie mich und zeigt auf das Foto auf der ersten Seite. „Ein Idiot, der von Idioten gewählt wurde“, erwidere ich. Und dann nach einer Pause: „Sehen sie, und deswegen lese ich keine Zeitungen mehr. Es sind in den 90 Jahren meines Lebens ja alles nur Wiederholungen, nur die Trumps heißen heute anders. Das Schlimmste dabei ist, dass die Menschen daraus nichts lernen. Sonst müssten sie in ihrem Feierabend nicht noch Klimaaktivisten sein. … Und legen sie jetzt doch bitte wieder eine CD ein. Aber schön laut. Ich höre ja etwas schlecht.“ Sie schiebt eine CD in die Lade des Players, was sie immer „total oldschool“ nennt und dann höre ich sie beim Lesen des Covers noch vor sich hin sagen: „Death Metal! Was für eine Ironie des Schicksals!“

 

 

20/1/21 ... TEMPOLIMIT ... Kürzlich ging es in der Tageszeitung meines Vertrauens wieder um Tempolimit. Ich bin völlig gegen Tempolimit! Bloß nicht! Wo sollen die ganzen chronisch untervögelten und triebgesteuerten Menschen nur hin mit ihrem Hormonstau? Bei jedem, der mich auf aggressive Weise überholt, denke ich immer: Verdammt, musst du ein beschissenes Liebesleben haben! Und dann ist da immer auch etwas Mitleid!

 

16/1/21... BRUSTWARZEN ... Ich gestehe: Ich bin ein leidenschaftlicher Auf-dem-Klo-Leser.Bei meiner morgendlichen Nachrichtenrecherche stieß ich gestern auf die digitale Nachricht irgendeiner digitalen Gurkenzeitung, dass die Moderatorin eines Null- und Nietenfernsehsenders auf Twitter blankgezogen und sich nur im Badehöschen mit verschränkten Händen über den Brüsten gezeigt hätte. Vermutlich wäre ich über diese Info hinweggeflogen, was interessiert mich der Badeslip einer Drittklassemoderatorin, wäre da nicht der Zusatz: „Und dann entdeckte ein Fan etwas Verstecktes“. Blöd, wie man morgens manchmal ist, fiel ich auf diesen journalistischen Lockvogeltrick rein, und las nach unendlichem Klicken durch sinnentleerte Werbung die Auflösung des Rätsels: In einem fast schon präorgasmatischen Zustand hatte der Fan, natürlich männlichen Geschlechts, den Ansatz einer Brustwarze entdeckt, die natürlich eigentlich verborgen bleiben sollte. Seine mit Schnappatmung vorgebrachte Entdeckung wurde alsbald aber relativiert, da es sich bei dem Brustwarzenhofbraun auch um den Schatten eines Fingers handeln könne. Ich ließ mein Handy sinken und starrte eine Weile auf die vor mir liegende Hautcreme meiner Frau. Könnte es nicht vielleicht sein, dass solche Meldungen von der USA gesteuert sind, so wie früher von den Russen? Zur Ablenkung vom Weltgeschehen?

 

 

12/1/21 ... INTELLIGENZ ... Bei meinen Spaziergängen in der Peripherie meines Wohnortes mache ich immer mal wieder Bekanntschaft mit zunächst eher unscheinbaren Phänomenen, die mich allerdings mehr als unscheinbar ins Grübeln bringen: Fein eingepackt in schwarzer Plastikfolie baumeln wahlweise in Sträuchern oder geschickt drapiert in Buchenhecken die Hinterlassenschaften des vierbeinigen Menschenfreundes, auch bekannt als Hund oder für den Hobbylateiner Canis lupus familiaris. Doch, doch: Ich bin ein großer Hundefreund und hatte selbst fast zwei Jahrzehnte einen stets schwanzwedelnden Mischling an meiner Seite. Aber wenn ich richtig informiert bin – man mag mich gerne korrigieren – gehören die plastinierten Stinkbeutel eigentlich in den Mülleiner und nicht in die Botanik! Richtig? Nun ja, und das sind die Momente, wo ich nachvollziehen kann, warum man ständig im Weltall oder aber in den Tiefen des digitalen Kosmos nach künstlicher Intelligenz sucht. Oder wie ich neulich einmal las: Würde Hirnlosigkeit vor Kopfschmerzen schützen, könnten die Aspirin-Produzenten ihre Läden schließen. 

 

9/10/20 … BERUF: KONVIVIALIST  … Anfang Oktober will mir Facebook meine Berufsbezeichnung "Konvivialist" entziehen. Man hält dies nicht für meinen wahren Beruf. Gut, ich bin neben Konvivialist auch Zeitbewahrer, Blogger, Chaot, Reisender, Autor, Selbstdenker, Libertärer, Romantiker, Wohnmobilist, Kulturarbeiter, Humorist, Zyniker, Rotweinverköstiger, Phantast, Ästhet, Gesellschaftskritiker, Alltagsphilosoph, Aphoristiker, Erotiker, Träumer…ach, das sind keine Berufe, sondern Einstellungen oder allenfalls Freizeitbeschäftigungen? Aber kommt Beruf nicht von Berufung? Ich fühle mich zu all dem und noch mehr berufen. Wozu, zum Henker, ist der Beruf wichtig? Die meisten Menschen haben doch nur einen Beruf, um nicht zwischen ihren 437 Fernsehprogrammen zu verkümmern. Ich definiere mich nicht über meinen Beruf, sondern ausschließlich über unsere Hausnummer. 18 - das bedeutet 2 x 9 oder 3 x 6. Das sollte doch für ein Leben reichen!

 

29/9/20 … MÄNNER AM SPÜLBECKEN … Durch den unbeleuchteten, dichten Wald bahne ich mir den Weg auf das Licht zu. Bei jedem Schritt rappelt und klirrt es. Ich bin auf dem Weg zur Spüle, die außerhalb des Sanitärgebäudes unseres Campingplatzes liegt. Unterwegs stelle ich fest, dass ich meine Kopfhörer vergessen habe. Ich versüße mir die Tätigkeit gerne mit etwas Schwermetall. Später werde ich es bereuen.

 

An Spülbecken 2 steht einer dieser Rentnertypen, die mich mit ihren Multifunktionsjacken und gezackten Bärten immer an Nussknacker erinnern. Hubert - ich nenne ihn mal so - entpuppt sich als wahre Labertasche. Nach dem freundlichen N'Abend steigt er direkt in die Thematik ein. "Na, biste auch zum Küchendienst verdonnert worden?" Ich entgegne ihm, dass man es nicht Verdonnern nennen kann, weil ich es gerne mache. So schnell lässt sich Hubert nicht aus der Reserve bringen. "Naja, man braucht ja auch mal ein bisschen Ruhe vor der Regierung!" Und bevor ich irgendwas entgegnen kann, setzt er seinen vermeintlichen Trumpf nach: "Und ich denke, da gibt wohl niemanden, der das nicht braucht!" Sicher, ich könnte jetzt einfach mal die Klappe halten und mich in die Säuberung des Topfes mit den Pestonudeln vertiefen. Aber ich kann dieses Männergequatsche nicht ab und so antworte ich ihm, dass er heute Abend wohl den ersten Vertreter kennenlernt, der das anders sieht. Ich hätte weder eine Regierung, noch bräuchte ich Ruhe vor meiner Frau, die damit gemeint war. Hubert starrt in seine Spülbeckenbrühe und murmelt, man müsse ja alles auch mal von der ironischen Seite sehen. Er tut mir fast schon leid. Und dann quatscht er mich voll mit Campingplatzerlebnissen, Wetterberichten, Ansichten über Eingemeindungen, Kirchenchorproblemen in Zeiten von Corona und schwärmt schließlich von seinen Ausflügen auf den Spuren Luthers in Zwickau. Ich beiße mir auf die Zunge und sag nicht, dass Luther Antisemit, Frauenhasser, Reaktionär und Sozialrassist war. Er muss nur noch sein Spülbecken und die Tomatensaucensauerei drumherum reinigen. Aber Hubert verabschiedet sich mit einem fröhlichen "schöne Zeit noch" und lässt seine Wirkungsstätte zurück wie unser Kater sein Fresstablett nach einem seiner morgendlichen Hungersnotattacken. Freundchen, denke ich mir, wenn ich dich morgen wiedertreffe, dann reden wir mal Tacheles über die Rolle des modernen Mannes in der Hauswirtschaft. Da kommt die rüstige alte Frau um die Ecke, die mich heute Nachmittag mit ihrem bescheuerten E-Bike fast umgenietet hätte. Ich verschwinde wortlos im Wald und genieße die Stille um mich herum.

 

26/9/20 … 3 MINUTEN DUSCHEN … Duschen auf dem Campingplatz bedeutet immer etwas Survival. Los geht's mit dem Zustand der in der Regel zu kleinen Duschkabinen. Man ist froh über Türen, da Vorhänge immer etwas Pelziges haben. Nun sind leider gerade Männer, was die Säuberungsnachsorge anbetrifft, stets etwas großzügig. Sprich: Der Schaum klebt samt Haaren noch am Boden. Gut, nicht jeder ist bewandert in der Handhabung von meist existierenden Abziehern. Die nächste große Frage: Wohin mit den Klamotten? Da man ja im prüden Deutschland nicht nackig duschen gehen kann, müssen Hemd und Hose, in meinem Fall ein Kaftan, irgendwo hin, ohne mitgeduscht zu werden. Und dann der Höhepunkt: Das Duschsystem. Wahlweise gibt es Duschen mit Wertmarken, die nur kurze Duschfreuden erlauben oder aber man ruiniert sich den Rücken, weil man damit den Eindrückknopf, der für 20 Sekunden das Duschen erlaubt, auf Dauerdruck setzt. Heute hatte ich ein neues Modell: Man kann umsonst 3 Minuten duschen. Dann ist für zwei Minuten Pause, bevor weitere finale 3 Minuten möglich sind. Also alle Utensilien parat gestellt (natürlich gibt's wie immer keine Ablage im Duschraum, weil die irgend so eine Arschgeige abmontiert hat) uuuund… Knopf gedrückt. Verdammt, vor mir war wohl ein Kaltduscher dran. Hier wimmelt es von Surfern, die ja bekanntlich auch auf zugefrorenen Meeren surfen! Also abwarten, bis die Temperatur annehmlich ist. Offenbar kennen diese verdammten Duschbauer keine Männer mit langen Haaren: das dauert, bis alles eingeschäumt und gewaschen ist. Die Uhr zeigt 1:21 - das dürfte noch fürs Einseifen reichen. Ich nutze verpackungsfreie Seifenstücke nebst Haarseife und ausgerechnet jetzt geht der Deckel nicht auf. Hände glitschig! 0:25. Ich bin zwar halb eingeseift, aber dann läuft der Countdown und - zack - 2 Minuten Pause. Da steh ich nun und es weht empfindlich kalt durchs offene Fenster. Vermutlich stecken da auch die blöden Surfer hinter. 2 Minuten - eine verdammt lange Zeit. Was soll ich tun? Meditieren? Kniebeugen zur körperlichen Ertüchtigung machen? Ich beginne, über diesen Text nachzudenken. Bis schließlich das warme Wasser wieder anspringt und ich die letzten 1:39 Minuten eigentlich nur noch blöd rumstehe. Wer denkt sich eigentlich so einen Scheiß aus?

 

 

28/8/20 … DAS TOTENHEMD HAT KEINE TASCHEN … Koslowski lag auf dem Sterbebett. Das etwas gedämpfte Licht seiner Nachttischlampe kaschierte sein bleiches Gesicht. Irgendwo im Trauerhaus hörte man das Schluchzen von künftigen Hinterbliebenen und aus einem Lautsprecher tröpfelte die Instrumentalversion von Atemlos; die Trauergemeinde hielt es für etwas pietätlos, Koslowskis Lieblingslied mit dem dazugehörenden Text zu unterlegen. Koslowski selbst schien eher suboptimal zufrieden mit seinem Ableben. Er hatte sich vorgestellt, sein Leben liefe zu guter Schluss noch einmal wie eine Doku auf Sat3 vor seinem inneren Auge ab. Stattdessen blickte er auf ein nur noch kümmerlich wachsendes Exemplar einer Sansevieria trifasciata, auch als Beamtenspargel bekannt, auf der Fensterbank. Er hatte sich Sterben schöner vorgestellt. Vielleicht mit etwas mehr Lametta zum Schluss.

 

Da klingelte es an der Haustür. Der Sensenmann, dachte Koswlowski, doch es war ein junger Mann von der örtlichen Finanzbehörde, im lockeren Dress und den unvermeidlichen hellbraunen Lederschuhen. Man bat ihn herein und führte ihn an das Bett des Toten in spe. Der dynamische Finanzbeamte, der sich als Schnöselkötter vorstellte, rückte einen Stuhl heran, setzte sich, legte seine Hand auf den Arm des Dahinsiechenden und nickte ihm wohlwollenden zu. Es wäre zwar kurz vor knapp – Schnöselkötter lächelte etwas bei seinem seichten Wortwitz – aber besser jetzt als nie. Mit einem Klicken öffnete er sein Aktenköfferchen und holte ein paar Unterlagen heraus. „Lieber Herr Koslowski, wie wir in Erfahrung bringen konnten, waren sie zu Lebzeiten … Entschuldigung, ich meine bis zum letzten Atemzug … er hüstelte noch einmal … immer ein echter Sparfuchs.“ Koslowski nickte – lächelte gar. „Es ist beeindruckend“, so der Beamte, „wie sie doch stets bedacht waren, jedes Schnäppchen wahrzunehmen. Allein durch ihre Amazonbestellungen konnten sie - sage und schreibe - über 735 Euro einsparen. Beim Kauf ihrer letzten Brille bei Fielmann waren es hübsche 30 Euro weniger als im örtlichen Brillenladen . Respekt! Aber auch die unzähligen Einkäufe, mit denen sie jeweils 50 Cent auf ihrer Habenseiten verbuchen konnten, zeichnen sie als professionellen Pfennigfuchser – wenn ich das so sagen darf – aus! Summa Summarum, lieber Herr Koslowski, sind wir vom behördlichen Finanzamt auf eine stolze Lebenssumme von 4375 Euro und 12Cent gekommen.“ Koslowski wirkte nahezu wiederbeseelt. „Diesen Betrag“, so setzte der Beamte fort, „würden wir ihnen heute gerne gutschreiben, aber …" - und dann zeigte der Staatsdiener mit seinem Zeigefinger auf den Dahinscheidenden - "…das Leichenhemd hat bekanntlich keine Taschen und daher erlauben wir uns vom örtlichen Finanzamt, sie um eine Überschreibung des Betrags in die Staatskasse zu bitten. Wenn sie einmal hier unterschreiben würden.“ Koslowski nahm mit zittrigen Händen den Kugelschreiber entgegen, starrte eine Weile auf das Muster seiner Bettdecke, man konnte ein gewisses Entsetzen in seiner Mimik erkennen … und verstarb.

 

20/8/20 … LACHNUMMER: MILITÄR … In einem der alten Kartons in den unerreichbaren Winkeln meines Kleiderschranks lagern alte Familienbilder, die nach der Auflösung meiner elterlichen Wohnung in meinen Besitz übergegangen waren. Alte verblasste und gezackte Bilder, die zum Teil aus der Zeit des zweiten Weltkriegs stammen. Es sind dort Personen abgebildet, die ich nicht kenne oder nie kennengelernt habe. So wie meine Urgroßmutter, die mit Vierzig schon so aussah wie 80Jährige heute. Beim neulichen Durchschauen fiel aus einem Umschlag eine halbrunde Blechscheibe heraus; in das Metall war die Nummer N.E.A.6 StammKomp. 628. eingestanzt. Ich erinnerte mich, dass mir meine Mutter als kleiner Junge die Bedeutung mal erklärt hatte. Die andere Hälfte dürfte die vermoderten Knochen meines Onkels auf einem Soldatenfriedhof in Italien zieren. Er war im Krieg umgekommen und irgendwer hatte die halbe Metallscheibe abgebrochen und an die Angehörigen weitergeleitet. Soldaten, die im Krieg fielen, nannte man Helden. Ich hätte meinen Onkel allerdings heldenhafter gefunden, wenn er den Blödsinn sabotiert hätte oder gleich desertiert wäre. Aber damals als Kind empfand ich so etwas wie Hochachtung, dass ein nicht einmal 20jähriger für sein Vaterland sein Leben opferte. Man nannte das „gefallen fürs Vaterland“, um den Begriff des Ermordens zu umgehen.

 

Ich selbst bin Kriegsdienstverweigerer und halte Militär für die größte Lachnummer menschlicher Dummheit. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Eine Spezies, der nachgesagt wird, dass sie über Verstand verfügt, rottet sich mit einer immer ausgeklügelteren Kriegsmaschinerie aus. Heute Morgen las ich auf einer Erinnerungstafel für den offensichtlich durch Telgte verlaufenden Friedensweg, dass sich die Menschen damals im 30jährigen Krieg nichts sehnlicher als den Frieden gewünscht hätten. Ach was! Dabei kam mir der bittere Gedanke, dass die Menschen vermutlich deshalb bis heute persönlichkeitsgestörte Führer wählen, die Kriege anzetteln; so stirbt die Sehnsucht nach Frieden auch im 21. Jahrhundert nicht aus. In der Zeitung stand: Symbolträchtige Übung: deutsche und israelische Kampfjets fliegen gemeinsam über das ehemalige KZ Dachau. Mir fiel die halbe Blechscheibe meines Onkels (Nr. 628) wieder ein und ich dachte, es gibt keine blödsinnigere Symbolik als Kampfjets, also Geräte, die Menschen verwunden, verstümmeln, ermorden, Familien zerstören und ausschließlich zum Blutvergießen gebaut wurden. Der Mensch, Krönung einer völlig missratenen Schöpfung!

 

13/8/20 … QUAL DER WAHL … Es sind bald wieder Wahlen! Woher ich das weiß? Ich sag nur: Plakate! Ganze Wälder voller Plakate, so dass man vor lauter Wald … gut, das Phänomen muss man nicht wieder aufwärmen. Manche Plakate sind auch so groß, dass man sie gar nicht mehr wahrnimmt. In einer Münsteraner Uni gab es Toiletten, da stand das H oder D so groß auf der Tür, dass die Buchstaben grundsätzlich übersehen wurden. Ob die Parteien von ihren entsprechenden Plakatdesignern gut beraten wurden, lässt sich bei der Gestaltung so mancher Parteipappe bezweifelt. Parteien – so meine Lieblingsrechercheseite Stupidedia - sind ja Zusammenschlüsse Gleichgesinnter zur Pflege des Frohsinns. Allerdings muss ich gestehen, dass meine Form von Frohsinn sich in keiner Partei wiederfindet, womit ich wohl eine Art parteiloser Mensch bin. Aber das „Lose“ bin ich gewohnt, da ich auch keinen Fußballverein toll finde, also auch fußballvereinslos bin. Danke der Nachfrage, ich komme dennoch gut zurecht.

 

Als ich nun heute so durch die Orte meiner Heimat (das Wort gehört übrigens der AfD) fuhr und über Wahlplakate sinnierte, dachte ich bei mir: Was wäre, wenn du aus lauter Frohsinn, doch mal was wählen würdest, was wäre dann plakatmäßig ausschlaggebend? Ich bin ein visueller Typ, weswegen im Grunde schon die meisten Parteiplakate ob ihrer Optik ausscheiden. Aber fangen wir mal so an: Die Parteien, die ihre Plakate am höchsten hängen, bei denen stinkt womöglich die Politik zum Himmel. Also fällt die AfD schon mal völlig aus der engeren Wahl (woher haben die eigentlich immer diese langen Leitern?) Außerdem mag ich keine Namensabkürzungen, weswegen die meisten Parteien eh keine Schnitte haben. Aber gut, die können ja schlussendlich auch nix dafür, dass irgendwelche unkreativen Gründer aus lauter Einfallslosigkeit einfach die Anfangsbuchstaben zusammengestellt haben. Allerdings bleiben da für mich immer Unklarheiten: Bedeutet das S in der SPD jetzt sozial, sozialistisch oder So-als-ob? Bei dem C vor dem DU ist der Abkürzungsfimmel vermutlich auch wiederum gut, da das Christliche auf diese Weise kaschiert wird. Ist sowieso nix mehr von übrig.

Kommen wir zum nächsten Kriterium: Der überwiegende Teil der Plakate besteht aus schlecht recyclebarem Material. Ich wollte mal ein AfD-Plakat im Altpapier entsorgen und entdeckte unter dem Wortgemetzel auf blauem Grund so eine Schicht aus Alu; das Ding musste dann zum Sondermüll. So etwas lässt natürlich böse Rückschlüsse auf die Umweltpolitik der Parteien zu und im Grunde können nur noch die GRÜNEN punkten: Deren Plakate aus Papier sind sogar – jedenfalls bei uns in Telgte - auf Holzständer geklebt. Sehr sympathisch. Man soll ja nicht nach dem Äußeren gehen, aber Männer im Anzug mit Krawatte und Seitenscheitel sind für mich absolut unwählbar. Wenn die im Amt so walten, wie sie aussehen, dann ist hölzerne Politik noch eine geschmeichelte Umschreibung. Adieu, bunte Welt! Würde ich mich nach den Wahlslogans richten, so wird es ganz bescheiden: Da ist jede Nudelwerbung einfallsreicher. Liebe Wähler, schaut doch mal: Warum muss eine Partei schreiben, dass sie für Zukunft, Umwelt, Familie, Kultur, Menschen oder weiß der Henker was ist? Sollte das – verdammt noch mal – nicht eine Selbstverständlichkeit sein? Ich fühle mich da immer ziemlich verarscht, wenn da nur ein Wort zu finden ist! Oder wenn Politiker dort verewigt haben, dass sie gut zuhören können - so etwas macht mich rasend! Auch diese Einteilungen in Seiten sind doch überflüssig: Wir sollten uns endlich von rechts und links als politische Richtungen verabschieden. Wichtig ist doch, ob sich politisches Denken an Kriterien wie Menschlichkeit, Vielfalt, Frieden, Transparenz und kreativen Lösungen orientiert. Wenn nicht, ist es unbrauchbar und kann weg - ganz einfach! Jetzt bitte keine Diskussion anzetteln, was Menschlichkeit ist! Es ist für mich auch bedenklich, dass es extra GRÜNE geben oder der Zusatz FREI vor DEMOKRATEN stehen muss! Als wenn wir hier in einer Diktatur leben würden. Obschon, ich es gut fände, wenn eine Partei der Liebe existierte; Liebe sollte zwar auch selbstverständlich sein, aber – hey – kann auch nicht schaden bei all der grassierenden zwischenmenschlichen Tristesse.

 

Zwischen all den Wahlwerbungen entdeckte ich heute einsam und verlassen ein Plakat mit der Aufschrift „Gartenträume“. Der Name hat mir ausgesprochen gut gefallen und ich überlege, die zu wählen.

 

 

6/8/20 … ALLES LÜGE … Leute, ich finde es ist an der Zeit, endlich mal sein Maul aufzumachen. Alle, die mich kennen, wissen, dass ich jemand bin, der sein Wissen auf Fakten aufbaut. Ich bin also weit entfernt von Verschwörungsdenken und ungeprüftem Wissen. Gerade deswegen: Seid ihr alle bescheuert, dass ich euch von den mafiösen Machenschaften der Regierung gängeln lasst? Seid ihr wirklich zu blöd, um die Zeichen der Zeit zu erkennen? Man kann es überall lesen, wenn man hinschaut, wenn man seine vom System verklärten Augen aufmacht. Wollt ihr so lange warten, bis euch Gates, Zuckerberg, Merkel und die ganze Achse des Bösen zu Robotern gemacht haben? Habt ihr Trottelherde euch mal die Raute von der Merkel angeschaut, wenn sie irgendwo rumsteht und Freundlichkeit heuchelt? Da sieht doch ein Blinder, jedenfalls wenn er nicht schon von der linksversifften Presse, die von den Grünen und den türkischen Clans finanziert wird, infiltriert wurde, dass diese Raute ein Symbol darstellt! Jawohl ein Symbol und rein zufällig, ihr schwanzwedelnden Regierungsdackel, ist dies das Zeichen der Pyramide und damit einer neuen Weltordnung, in der satanistische Sekten, die aus dem Illuminatenorden hervorgegangen sind, eure Kinder foltern, um ihnen Adrenalin aus dem Blut zu ziehen. Ja, und warum tun sie das wohl, ihr Abnicker und TAZ-Leser? Um unsere Alterungsprozesse zu verlangsamen. Der Tiefe Staat wird durch Firmen wie Harribo und Nivea gesponsert, die natürlich ein Interesse an eurem ewigen Leben haben. Und noch was, ihr Selbstdenkerluschen: Was glaubt ihr wohl, warum es in Beirut eine dermaßen gewaltige Explosion gegeben hat? Das waren die Goldstücke von eurer Angela, die damit allen Flüchtlingen in Deutschland ein Zeichen geben wollten. Denn uns steht unmittelbar die Landung des Raumschiffs der Aldeberaner in Oer-Erkenschwick bevor, die ihren geistigen Führer und Menschenhasser Mohamed Mascal auf die Erde bringen wird, um in Deutschland und Europa alle Andersdenkenden mit Covid-19-Viren zu infiltrieren. Die gibt es nämlich noch gar nicht, sondern werden grade erst in einer gewaltigen Mission in den Rieselfeldern von Münster gezüchtet, um sie dann über Aerosole und nicht über Tröpfchen, wie euch dieser Keine-Ahnung-Drosten immer weismachen will, auf die Menschheit zu verteilen. Genau deswegen werden jetzt schon seit Jahrzehnten Chemtrail-Versuche mit all den Flugzeugen durchgeführt. Und nun ratet mal, wer als einziger nicht infiziert werden wird? Richtig: Angela Merkel, ihr Refugees-Are-Welcome-Gurkennasen. Und warum? Damit sie mit diesem Mohamed Mascal die Alleinherrschaft übernehmen kann. Und noch etwas, ihr linksradikalen Vollpfosten mit eurer Lügenpresse: Das Kapital wurde nie von Karl Marx geschrieben. Das ist Fake! Es war Karl May! Und nun ratet mal, was er mit der Pyramide des Sonnengottes gemeint hat! Na, schließt sich der Kreis? Da könnt ihr ferngesteuerten Merkelchen jetzt mal selbst drüber nachdenken.

 

27/7/20 … SPIEGELBLICKE … Eine Wanderung durch den Bamberger Bruderwald vor einigen Monaten. Eigentlich sollte es ein kürzerer Spaziergang werden, aber wir laufen stundenlang über menschenleere Wanderwege, die uns die Zivilisation nicht vermissen lassen. Warum also zurückkehren? Passend zum inzwischen großen Kaffeedurst und Kuchenhunger spuckt uns die Natur an einem kleinen Ort aus. Direkt vor unserer Nase ein Lokal mit Hirschgeweihen an den Wänden und einer asiatischen Betreiberin. Während wir die Torte in uns hineingabeln und über unser Naturerlebnis philosophieren, schaue ich immer wieder in einen mir gegenüberliegenden, leicht schräg angebrachten Spiegel mit Goldrandrahmen. Die Person, die ich darin sehe, bin nicht ich, sondern ein wesentlich älterer, ca. 80jähriger Mann, der ein paar Tische weiter sitzt. Auch er scheint mich im Spiegel zu betrachten. Ich kann meinen Blick kaum abwenden, denn irgendetwas an meinem Spiegelbild irritiert mich. Meine Frau löst das Rätsel: Tatsächlich hat der Mann deutliche Ähnlichkeit mit mir, nur eben um etliche Falten und Runzeln reicher. Er wirkt eher unkonventionell, strahlt eine gewisse Gelassenheit aus, die mir leider häufig fehlt. Habe ja noch ein paar Jahre! Wir bleiben die ganze Zeit über lediglich per Spiegel im Blickkontakt. Es ist für mich, als könnte ich ein paar Jahrzehnte in die Zukunft schauen. Einerseits unheimlich, andererseits aufgrund seines sympathischen Äußeren beruhigend. Doch was denkt er beim Anblick meiner Person? Fühlt er sich um 20 Jahre zurückversetzt? Dass ich mich mit meinen Eindrücken nicht ganz getäuscht habe, zeigt sich, als er mit seiner Begleitung das Lokal verlässt: Er dreht sich noch einmal um und lächelt mir zu.

 

16/7/20 … ZITTY … Wenn ich damals per Anhalter, Zug oder später mit dem eigenen Käfer nach Berlin gejuckelt bin und die Grenze mit ihren bescheuerten Grenzern (die Freuden der Pflicht) passieren durfte (was regelmäßig zu Problemen führte), war das erste, was ich mir am Kiosk kaufte: die Zitty. Ein anfangs vierzehntägig erscheinendes, dickes Magazin mit allen Infos, die man für ein verlängertes Wochenende in der Metropole brauchte. Zwar lag die Zeitschrift grundsätzlich auch auf dem Klo (wo sonst) meiner Freunde, aber ich besaß gerne ein eigenes Exemplar, das ich wie eine Trophäe mit zurück ins öde Münster nahm. Schaut mal Leute, was in Berlin alles läuft! Eines Tages fand ich in der Zitty den Hinweis auf ein Konzert in einem besetzten Berliner Haus. Eine unbekannte Band mit komischem Namen. Dummerweise ging ich nicht hin. Erst später erfuhr ich, dass es sich um die Band Rage Against The Machine handelte, die unter einem Pseudonym aufgetreten war.

Heute las ich, dass die Zeitung eingestellt wurde. Verdammte Hacke. Es trifft immer die Falschen und es stirbt ein Stück Geschichte.

 

27/6/21 … FUCK OFF … (Achtung: FSK 18) Damals, also ganz damals, noch bevor L. Aelius Tubero Stadthalter von Rom war, wurde der Mensch geschaffen. Wie wir heute wissen, war er eine Montagsfabrikation und stellt im Tierreich noch immer ein einziges Desaster dar. Er hat kein richtiges Fell, rottet sich selbst aus und arbeitet freiwillig wie ein Blöder, weil er sich sonst langweilt und 267 Fernsehsender braucht, um in arbeitsfreien Zeiten nicht in seiner Polstergarnitur zu verenden. Als der Schöpfer oder die Schöpferin die Fehlpressung realisierte, war es für Updates schon zu spät. Als Entschuldigung bekam der Mensch die Sexualitat mit 156 Spielarten geschenkt, damit er neben der Arbeit wenigstens "eine kleine bisschen petit plaisir" habe. Dummerweise wurde vergessen, eine Gebrauchsanweisung mitzuliefern, was aber auch keinen Sinn gemacht hätte, da Mannmenschen grundsätzlich keine Gebrauchsanweisungen lesen. Während sich die Fraumenschen an der Schule der Aspasia orientieren, zogen sich die Mannmenschen ihre Blaupause bei Grzimeks Tierdokus und rammelten deshalb wie wilde Keiler durchs Leben. Ihre Klaviatur der Liebespraktiken ähnelte eher Makrameeknüpftechniken als fantasievollen Spielen der Lust. Später erfanden die Mannmenschen Pornos, um sich wenigstens hier etwas Anleitung für die intimen Stunden nach der Sportschau abzugucken. Wunderschöne und hocherotische Sexspiele hießen plötzlich ficken oder bumsen, was meiner Meinung nach genauso sinnlich klingt wie kacken oder fressen. Aber gut, nichtsdestotrotz ist mit ficken eines der schönsten Zwischenmenschlichkeiten gemeint, nur eben in sprachlich ruinierter Weise.

So und nun kommt mein Problem. Ich lese in letzter Zeit häufig von Aussprüchen wie Fuck AfD, Fuck Trump oder Fuck Tönnies, was ja zum Ausdruck bringen soll, jene Jammerkastraden ficken zu sollen. Aber will man tatsächlich Sex mit diesem homoiden Schabrackentum haben? Gott oder Göttin bewahre, man will sich ja keine Trumporrhoe oder einen Tönniestripper einfangen. Deshalb sollte die Devise lieber heißen: kein Sex mit Nazis, Trump oder Tönnies. Und wo wir grade dabei sind, mit Erdogan und Dieter Bohlen natürlich auch nicht.

 

23/6/20 … KULTUR  … In einer dieser unsäglichen Diskussionen in Corona-Zeiten, wer oder was systemrelevant sei, wurde neulich in den quasisozialen Medien wie immer hart, aber unreflektiert diskutiert, dass Kunst und Kultur ja nicht sooo systemrelevant seien und dass sich die werten Künstler doch bitte nicht so anstellen und bei jeder Krise nach finanzieller Unterstützung durch den Staat betteln sollten. Also Unsinn produzierende Firmen mit Managern, die im Jahr so viel verdienen, dass man davon die Hälfe unserer Mitarbeiter der Klinik bezahlen könnte, dürfen betteln und das mit Erfolg, Künstler, die nun mal in einem anderen Setting arbeiten und auf Bühnen, Veranstaltungs- oder andere Wirkräume angewiesen sind, um so Menschen = Zuschauer oder –hörer erreichen zu können, müssen in die Röhre schauen.

 

Zunächst einmal: Kultur definiert all das, was wir Menschen geschaffen haben, um unser Leben mit Lebendigkeit füllen zu können. Und deshalb gibt es eine Buchkultur, eine Gartenkultur, eine Theaterkultur, eine Karnevalskultur, eine Dorfkultur oder eine Punkkultur. Jede Kultur hat ihre Berechtigung und ist wichtig, damit wir nicht wie ein von der Sonne verdörrter Borkenkäfer vor uns hin vegetieren, also nonstop TV glotzen. Das Ziel sollte natürlich ein gelebtes Leben sein und keine stumpfsinnige Sofamanie mit medialem Verblödungs- und Zeittotschlagprogramm. Da ich aus Klimagründen nur alle fünf Jahre (wenn überhaupt) mit einem Flugzeug fliege, wäre für mich eine Subventionierung der Lufthansa also nicht sooo systemrelevant; für die dortigen Angestellten, nicht für die Manager, schon. Kultur und Kunst sind für mich persönlich dagegen mehr als systemrelevant. Ich brauche die schrillen Kunstausstellungen, die Auseinandersetzung mit künstlerischer Provokation, ich brauche meine Schwermetalkonzerte und –festivals, ich brauche mein jährliches Hippiefestival, ich brauche die kleinen Nischenkinos mit sinnbereichernden Filmen und ich brauche hin und wieder ein gutes Theaterstück oder eine Kleinkunstveranstaltung in einem Schrebergarten in Münster. Ich brauche diese Dinge, um Energie aufzuladen, um mich inspirieren zu lassen, um Vielfältigkeit zu atmen, um mich nicht leer und tot zu fühlen, um mich in dem jeweiligen Setting unter Meinesgleichen zu befinden und für die Zeit der Kultivierung mal all diese entsetzlichen Dumpfbacken vergessen zu können, die meine Welt und das Leben auf ihr ruinieren, veröden oder gar zerstören. Ich brauch all das aber auch, um von meinem systemrelevanten Alltag Abstand nehmen zu können. Ich selbst wirke als Allroundguerilla eher im Abseits, sehe mich mehr als Unterwanderer und gelegentlicher Störer, bin daher nicht auf Galerien oder Bühnen angewiesen. Aber würden um mich herum, was zur Zeit passiert, Kunst und Kultur zusammenbrechen, weil sie irgendwelchen prämortalen Lebensschabracken nicht wichtig erscheinen, würde man mir einen lebendigen Teil meiner Selbst aus der Seele schneiden. Ich wäre dann nicht mehr Ich, sondern eine kulturlose Kreatur und mit der Zange nicht mehr anzufassen. Wagt es also bloß nicht!

 

 

22/6/20 … BEHÖRDEN … Wenn von undurchschaubaren Behördenprozessen die Rede ist, fällt der Name Franz Kafka und sein unvollendeter Roman „Das Schloss“. Das Schloss steht in Kafka´s Werk für einen Apparat, der gewaltig, undurchschaubar und bürokratisch ist. Zudem haben die Dorfbewohner, die durch dieses System kontrolliert und durch eine nicht greifbare Hierarchie reglementiert werden, großen Respekt, ja sogar Angst vor „dem Schloss“. Ich mag Behörden nicht sonderlich, weil mir dieses Autoritätsgebolze und diese Sachlichkeit, hinter der sich so mancher Beamter bzw. so manche Beamtin versteckt, gehörig auf den Geist und bestimmte Körperteile geht. Es ist nicht unbedingt ein Ort, der von Emotionen geflutet ist. Ich wäre da für Nachbesserungen. Allerdings muss ich gestehen, dass meine letzten beiden Behördengänge ok waren. Beim neuen Personalausweis wirkte die Bearbeiterin neutral (kein Lächeln, vielleicht waren aber auch meine Scherze schlecht) und beim Amt für Rentenantragsangelegenheiten empfand ich die zuständige Dame als überaus nett und zuvorkommend. Sie konnte mir zwar nicht helfen, hat mir aber immerhin ein paar Tipps gegeben.

 

Nun gab es kürzlich in Telgte den auch in Zeitungen und Fernsehen viel dokumentierten Vorfall, dass die mir gut bekannten Mieter einer Wohnung in der Innenstadt nach der Inspektion durch das Warendorfer Bauamt von jetzt auf gleich vor die Tür gesetzt wurden, weil sich die von ihnen bewohnte Wohnung sicherheitstechnisch als absolutes Desaster erwies. Bei Nichtbeachtung drohte das Schloss, ich meine natürlich das Warendorfer Bauamt mit einer empfindlichen Geldstrafe. Dass ein Bauamt, das sei vorweggesagt, eine von der Vermieterin wissentlich als menschliche Lebendfalle vermietete Immobilie stilllegt, ist nachvollziehbar und korrekt, aber die Art und Weise des Vorgehens brachte mich ins Grübeln. An anderer Stelle beschrieb ich bereits, wie es sich anfühlen mag, seine anvertrauten vier Wände stante pede verlassen und nachts im Auto schlafen zu müssen. Und genau an dieser Stelle prasseln Fragen auf mich ein: Hätte das Bauamt die Mieter statt zu bedrohen, nicht unterstützen müssen? Wäre es zuviel verlangt, den „Opfern“ eine Bleibe und sei es im Keller des Rathauses anzubieten? Sicherlich besitzt eine Behörde Fahrzeuge und Abstellräume, die man beim Umzug, der ebenfalls hopplahopp durchzuführen war, zur Verfügung hätte stellen können? Wäre es nicht auch selbstverständlich bis logisch, dass diese Institution juristische Folgen durch die Bereitstellung eines guten Rechtsanwalts ausbügelt oder den Opfern sonstwie Rechtsbeistand anbietet? Und die Fragen aller Fragen: Was wäre, wenn mir das morgen passieren würde? Müsste ich dann ebenfalls die dysfunktionale Zwischenmenschlichkeit, die Nach-uns-die-Sintflut-und-ab-16Uhr-ist-Feierabend-Haltung einer Behörde schlucken und mich Tiefschwarz ärgern? Oder würde ich mich publikumswirksam im Eingangsbereich der Warendorfer Behörde mit Schlafsack und Picknickkorb positionieren, nachdem ich ein Transparent vom Dach entrollt hätte? Mir fallen übrigens noch tiefgreifendere Methoden ein.

 

Bei meinen Nachforschungen hörte ich, mit dem Bauamt Warendorf wäre nicht gut Kirschen essen: knallharte Behörde, knallharter Leiter. Und genau hier setzt bei mir noch eine ganz andere Überlegung ein: Wurden Behörden nicht mal irgendwann in grauen Vorzeiten geschaffen, um Bürgern im Umgang mit der zunehmenden Komplexität des Alltags behilflich zu sein? (Aus dem Off höre ich, ich sei ein Träumer!) Muss man es hinnehmen, wenn sich Behördenleiter zu knallharten Typen entwickeln, sich mit einer beängstigenden, autoritativen Art aus dem Fenster lehnen und ihre Tätigkeit zu einem gefühllosen, entmenschlichten Schalten und Walten mutiert? Und sind sich die Verantwortlichen eigentlich dieser Unterstützungsaufgabe noch bewusst oder ist Behörde zu einer Abstraktion geworden: Es gibt sie, aber keiner weiß wofür und am besten, man hat gar nicht erst Kontakt mit ihnen. Ich habe noch einmal auf den Kalender geschaut: Das preußisch-soldatische Beamtentum liegt schon ne Weile zurück. Wie wäre es Zwanzigzwanzig mal mit etwas Aufklärungszeitalter? Ich sehe schon den Aufmacher: "Umsturz fegt Schimmel aus deutschen Amtsstuben." Da gibt´s doch noch gute Parolen aus der APO-Zeit.

 

 

12/6/20 … WUTTKE UND DIE ZIELANALYSE … Wuttke war seit 25 Jahren Chefbademeister des Freibads Müntekotten Süd. Er war von stattlicher Statur und auch wenn sich seine frühere Salinofigur in ein Feinkostgewölbe mit angeschlossenem Bierkeller verwandelt hatte, so machte er in seiner prickweißen Kleidung nebst unvermeidlichem Stirnband tüchtig was her. Und - toi toi toi - bisher war immer alles bestens verlaufen, mal abgesehen von der alten Frau Brüningheide, die auf Dauer atmungstechnisch mit dem zu langen Unterwasserbleiben nicht zurechtgekommen war (sie konnte aber auch, wie sich später herausstellte, gar nicht schwimmen), war alles immer glimpflich verlaufen und alle zurückliegenden Rettungsversuche konnten als erfolgreich verbucht werden. Hin und wieder pfiff Wuttke in seine Trillerpfeife, um Rangeleien am Beckenrand, Döppversuche oder ausuferndes Petting bei Pärchen zu stoppen, aber ansonsten führte er ein glückliches Chefbademeisterleben. Manchmal stand er am Becken, schaute durch seine pornoreske Sonnenbrille auf das wilde Treiben und sagte dann zufrieden: „läuft“, obschon es ja eigentlich „schwimmt“ heißen müsste.

 

Seit ein paar Tagen hatte man Wuttke einen Hilfsbademeister namens Hannemann an die Seite gestellt. Ein junger, dynamischer und drahtiger Baywatchtyp mit 1a-Ausbildung in einer Elitebademeisterschule, der auf- und abwippend neben ihm stand und allein durch seinen Habitus etwas zum Ausdruck brachte, das Wuttke – um es mal harmlos auszudrücken – unangenehm wie billiger Eiersalat aufstieß. Und als er mal wieder sein zufriedenes und eigentlich nur für ihn selbst gedachtes „Läuft“ grummelte, vernahm er, wie dieser Hannemann zum Besten gab: „Nun ja, mir fehlt bei der ganzen Angelegenheit hier doch so eine Art Zielanalyse!“ Wuttke drehte sich zur Seite, starrte den Mister Malibu für Arme an und fragte nach: „Zielanalyse? Was für ein Ziel soll analysiert werden?!“ Darauf Hannemann: „Mir wäre z.B. wichtig zu definieren, wie der Nivellierungsgrad des Hauptschwimmbeckens bezüglich des H20-Gehalts aussehen soll! Man muss immer ein Ziel definieren, um den Ist-Zustand angleichen zu können!“ Wuttke kniff seine Augen noch mehr zusammen als sonst: „Du meinst, ob das Becken voll, weniger voll oder leer ist?“ „Genau“, antwortete der Hilfsbademeister, „solche Fragen müssen klar definiert sein!“ Es entstand eine kleine Pause, in der eine schneidende Schärfe lag, und dann antwortete Wuttke mit aller ihm eigenen und auf jahrzehntelanger Erfahrung fußender Fachlichkeit: „Das Becken ist immer so gefüllt, dass die Badegäste darin schwimmen können. Es ist also: VOLL!“ Hannemann schien sichtlich zufrieden, aber Wuttke verließ das Szenario und ging vor sich hin fluchend in Richtung Bude, um bei Kiosk-Gitti ein Cornetto-Walnusseis-Ultra zu bestellen. Und unterwegs dachte er, es sei an der Zeit, über den Ruhestand nachzudenken.

 

 

7/6/20 … KRIEG IST DUMM … Vor einiger Zeit sprach ich mit einem 12 jährigen Mädchen über das Denken. Ihr Problem sei, dass sie sich zu viele Gedanken mache. Ich stellte ihr mein Ampel-Denk-System vor. Danach gibt es grüne Gedanken wie Alltagsüberlegungen, Planungen oder philosophische Gedanken. Gelbe Gedanken seien solche, bei denen sich immer wieder alles und oft um bestimmte Dinge drehe, man diese aber selbst stoppen könne. Und es gäbe rote Gedanken, die wie Dauerschleifen ablaufen: man geht mit ihnen ins Bett, steht mit ihnen auf und braucht zumeist Hilfe, um sie zu stoppen. Das Mädchen dachte einen Moment über meine Erklärung nach und fragte dann, was philosophische Gedanken sind. Ich sagte ihr, das seien z.B. Gedanken über den Sinn des Lebens, über das Zusammensein der Menschen oder ob z.B. Kriege sinnvoll sind oder nicht. Nein, über Kriege mache sie sich keine Gedanken, meinte sie dann. Kriege seien einfach nur dumm. Das fände ich auch, sagte ich, aber warum sie das denke? Das Mädchen: Bei einem Krieg würden Menschen getötet, die doch gar nichts mit der Sache zu tun hätten. Es mache doch überhaupt keinen Sinn, dass deswegen Bomben auf Schulen oder Kindergärten geworfen würden. Schau mal, führte sie aus, wenn z.B. zwei Staaten einen Streit wegen etwas haben, dann sollen sie doch Schach spielen und der Sieger könne dann seinen Anspruch geltend machen. Schach sei intelligent, Krieg sei einfach dumm.

An dieses Gespräch musste ich heute denken, als ich las, dass sich die Staaten der Erde ihr Militär aktuell fast zwei Billionen Dollar im Jahr kosten lassen. Dumme Menschen! Der Gedanke, Mensch zu sein, quält mich sehr oft. Gelbrot bis rot!

 

 

12/2/19 … WENN DAS HIRN BEIGE WIRD Als kleiner Junge hatte ich in mein Abendgebet den Passus „lieber Gott, lass mich lange leben“ eingebaut. Offenbar war damals schon meine Lebenslust sehr ausgeprägt. An dieses Stoßgebet musste ich zurückdenken, als ich nun in einer dieser Illustrierten mit hohem „Treppenlifter-Reklame-Anteil“ die 33 besten Tipps für ein langes Leben entdeckte. Nicht rauchen, viel bewegen, gesund ernähren, Alkohol meiden und Spaß haben sind schon mal 5 von diesen Grundregeln für den Methusalemfaktor. Donnerschlag, man wäre selbst kaum drauf gekommen!

Doch dann wurde ich nachdenklich: Spaß haben? Im Alter? Während meiner früheren Tätigkeit als Krankenpfleger machte ich die ersten umfassenden Erfahrungen mit den menschlichen Grauköpfen. Von den vielen hundert Versuchspersonen meiner unfreiwilligen Altersforschung fielen nur ein paar Handvoll aus dem Rahmen einer riesigen Kohorte  verbiesterter und verholzter Zeitgenossen. Das macht man nicht, das tut man nicht, das gehört sich nicht und das gibt’s doch nicht sind bis heute bei vielen die mantraartig runtergebeteten und selbst auferlegten Verhaltensregeln. Man hat das Gefühl, die alten Herr- und Damenschaften sind in einem undurchdringbaren Kokon des So-und-nicht-anders-Sein gefangen. Und weil sie sich ständig einem Verfall der Werte und einem Wegbrechen von Traditionen hilflos ausgesetzt sehen, weil früher alles besser war und überhaupt die zunehmende Verlangsamung der inneren und äußeren Beweglichkeit Verhaltens- und Denkveränderungen erheblich erschweren, ziehen sich die Mundwinkel immer weiter nach unten, wird die Kleidung auf ein geschlechtsneutrales Beige runtergetrimmt und die innewohnende Grimmigkeit verbal bis zum Abwinken ausgelebt. Man mokiert sich über schlecht geputzte Fenster der jungen Familie gegenüber, regt sich über Parksünder auf als seien es Schwerstverbrecher und denunziert Nachbarn beim Ordnungsamt. Überhaupt ist das Ordnungsamt nebst örtlicher Polizeistelle eine Art jüngstes Gericht vieler Beige-Bürger, denn über all den Falten und Runzeln schwebt die in Stein gemeißelte Obermaxime: Ordnung muss sein! Wie sagte damals Dieter Hildebrandt, angesichts einer solchen Schunkelbürgergruppe: „Und die dürfen auch noch wählen!“ 

 

Nun bin ich in meinen Überlegungen und wüsten Aussagen zwei Denkfehlern aufgesessen. Erstens dachte ich, die beschriebene Engstirnigkeit verbunden mit Traditionsfetischismus und Ordnungsvernarrtheit sei ein Phänomen der Kriegs- und frühen Nachkriegsgeneration und das Übel hätte spätestens dann ein Ende, wenn die Woodstock-Veteranen nebst Alt-68ern die Rente einreichen würden. Denkste Puppe, selbst viele von denjenigen, die damals lauthals mit oder ohne „Mao Tse-tung“ nach Revolution gerufen haben, dümpeln heute im Brackwasser konservativer Spießbürgerlichkeit und latschen als Teil einer gigantischen beigen Wanderdüne durch Stadt und Land. Und der zweite Fehler: Die verknorrzte Lebenshaltung und starre Denkweise ist kein alleiniges Ü60-Problem und funktioniert auch ohne graue Haare. Viele Jungspunte haben sich schon jetzt in eine Art mentalen Altersvorruhestand mit fortschreitender Denkinsuffizienz  begeben. Nur kurz, so mit 17, begehrten sie auf, mimten den ungehorsamen Rebell, um dann sukzessive mit vorergrautem Hirn in einen prämortalen Dämmerzustand zu verfallen. Und irgendwie habe ich das Gefühl, die Hirnergrauung setzt immer früher ein. Erschreckend, oder?

Neulich erwischte ich mich dabei, über einen Falschparker zu mäkeln, der auf meinem Gehweg stand. Ist das ein erstes Menetekel an der Friedhofsmauer?

 

 

Aus dem Archiv

7/10/17 … TOTE UND HALBTOTE … Ich finde: Es sterben viel zu viele Rockmusiker. Jaki Liebezeit von Can, Chris Cornell von Soundgarden, Walter Becker von Steely Dan und - nicht zu vergessen - Daliah Lavi, um nur einige zu nennen. Daliah war zwar keine Rockerin, aber die erste erwachsene Frau, in die ich mich als kleiner Junge unsterblich verliebt habe. Damals, als sie in ihrer Rolle als Halbindianderin Paloma Nakama im Im Karl-May-Film Old Shatterhand mitspielte. Es kann aber auch sein, dass ich mich mit Marie Versini vertue. Als nun neulich Tom Petty endgültig den Stecker aus seiner Gitarre zog, dachte ich ganz still in mir drin: Warum können nicht mal Politiker sterben? So ein Trump, Erdogan oder al-Assad? Die Buddhisten sagen ja, man solle den Toten fröhliche, wertvolle Gedanken mitgeben. Vielleicht würde ich Trump den Witz von dem blödesten amerikanischen Präsidenten erzählen, da kurz vor dem fiktiven Flugzeugabsturz statt mit einem Fallschirm, mit dem Tornister eines kleinen Jungen abspringt. Dann hätte er auf dem Weg in die hoffentlich ewigen Jagdgründe noch was zu lachen.

 

20/3/14 … ÜBER DAS WICHTIGE … Abends, wenn ich müde vom Geschäft in die Sofapolster sinke, werfe ich als notorischer Nichtfernsehgucker einen Blick in die Tageszeitung meines Vertrauens, um mich über den Zustand der Welt im Allgemeinen und meinen Wohnort im Speziellen zu informieren. Dabei stolpere ich immer wieder über die Rubrik „Menschen“ auf der letzten Seite, die in etwa so spannend daherkommt, wie ein Tatort mit - sagen wir - Reiner Calmund in der Hauptrolle. Und jedes Mal stelle ich mir die Frage: Wer zum Teufel – außer mir natürlich – liest diesen gequirlten Blödsinn? Ich gebe da mal ein aktuelles Beispiel. Katrin Sass, die ich zwar nicht kenne, aber offenbar eine bekannte Schauspielerin ist, möchte gerne ein Bett erfunden wissen, das blubbert. Wahnsinn, oder? Claudia Schiffer offenbart, wenn sie einen Wunsch offen hätte, würde sie gerne kochen können und Madeleine, von Beruf schwedische Prinzessin, schwärmt von Leonore, was offensichtlich ihre Tochter ist. Es gibt aber durchaus noch tiefer gelegtere Meldungen. Ich meine gelesen zu haben, dass Brad Pitt schon mal gerne Döner isst und Heidi Klumm keine buntgemalten Ostereier in welchen Strauch auch immer hängt. Hier kann ich mich aber auch irren, es mag sich bei dieser sensationellen Auskunft auch um Harald Glööckler, also den mit dem aufgeklebten Bart handeln. Lebt der eigentlich noch? Die Welt ist ja so schnelllebig. Während ich dies schreibe, kann es durchaus sein, dass Jennifer Lopez soeben zum Besten gab, dass sie schon wieder zugenommen hat und das Ehepaar Geissen Ärger mit einem Häusermakler hatte. Um es zusammenfassen: Es sind alles ungemein wichtige und überlebenswichtige Informationen. Was kümmert mich die Krim oder der nächste Nahrungsmittelskandal: viel interessanter ist doch, dass David Beckham demnächst ins Dschungelcamp zieht. Es mag sich aber auch nur um ein Gerücht handeln.

 

 

 

 

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